# taz.de -- Nach der Wahl in Ungarn: Zwischen Jubel und Verzweiflung
       
       > Fast 800.000 Menschen haben Ungarn verlassen, seit Viktor Orbán an die
       > Macht kam. Vor allem Junge werden von Zukunftsängsten geplagt.
       
 (IMG) Bild: Auswanderungsproblem: Wegen Orban wollen viele Ungarn einfach nur weg
       
       Budapest taz | Timea, die an der Universität in Pécs Soziologie studiert
       hat, würde am liebsten ihre Sachen packen und umziehen: „Aber im sechsten
       Schwangerschaftsmonat geht das leider nicht. Sie ist aber entschlossen,
       dass ihr Kind den Kindergarten nicht in Ungarn besuchen wird: „Vielleicht
       in Österreich oder Deutschland.“ Wie Timea und ihr Mann hatten viele in
       Ungarn die hohe Wahlbeteiligung am Sonntag als Zeichen gesehen, dass die
       Bevölkerung Viktor Orbán satthat. Das Gegenteil ist der Fall. Die
       Regierungskoalition aus Fidesz und KDNP wird wahrscheinlich [1][über eine
       Zweidrittelmehrheit verfügen].
       
       Während Fidesz-Fans die ganze Nacht vor dem futuristischen Gebäude des
       Bálna-Einkaufszentrums nahe der Freiheitsbrücke mit Fahnenschwenken und
       viel Alkohol feierten, herrschte bei der Opposition Katerstimmung. Die
       enttäuschten Anhänger der Opposition links der Mitte sammelten sich am
       Oktogon nördlich des Stadtzentrums und weit weg von der ausgelassenen
       Fidesz-Jubelfeier. Auch die Kindergärtnerin Paulina sieht der neuen
       Regierung mit unguten Gefühlen entgegen. Sie arbeite in einem privaten
       Kindergarten und hoffe, dass der Staat ihre Arbeit nicht stärker als bisher
       versuchen werde zu beeinflussen. „Aber genau davor fürchten sich meine
       Kollegen in öffentlichen Einrichtungen.“
       
       Die Wahlen vom Sonntag brachten bei einer relativ hohen Wahlbeteiligung von
       über 67 Prozent einen deutlicheren Sieg für die Regierungsparteien
       Fidesz-KDNP als allgemein erwartet. Die Opposition hatte gehofft, eine
       absolute Mehrheit für Viktor Orbán verhindern zu können. 48,5 Prozent
       reichen aber für viel mehr. Voraussichtlich werden die Parlamentsfraktionen
       von Fidesz und der christdemokratischen KDNP mit zusammen 133 Sitzen über
       eine Zweidrittelmehrheit verfügen. Das vor sechs Jahren reformierte
       Wahlrecht macht es möglich.
       
       Die rechtsextreme Jobbik mit 19,5 Prozent der Stimmen kommt auf 26 Mandate,
       die sozialdemokratische MSZP auf 20. Die linksliberale Demokratische
       Koalition – eine Abspaltung von der MSZP unter dem linksliberalen
       Ex-Premier Ferenc Gyurcsány wird 9 Abgeordnete ins Parlament schicken, die
       grün-konservative LMP 8. Der Rest der insgesamt 199 Mandate verteilt sich
       auf Splittergruppen und die Minderheiten der Deutschen und Roma.
       
       Grund zum Feiern hat Lőrinc Mészáros, ein Jugendfreund von Viktor Orbán,
       der in wenigen Jahren vom Gasinstallateur zum Oligarchen und
       Großgrundbesitzer aufgestiegen ist. Die mehrheitlich von ihm gehaltenen
       Aktien der in Budapest notierten Holdinggesellschaft Konzum erlebten am
       Montag einen Höhenflug von plus 15 Prozent. Champagnerlaune bei Orbáns
       Günstlingen und Katzenjammer im Lager der Opposition. Jobbik-Chef Gábor
       Vona und der MSZP-Vorsitzende Gyula Molnár traten noch in der Nacht von
       ihren Posten zurück.
       
       Jobbik hat zwar das Wahlziel, stärkste Oppositionskraft zu werden,
       erreicht, verlor aber 0,7 Prozentpunkte und fiel auf 19,5 Prozent. Vonas
       Versuch, die martialisch-faschistisch auftretende Partei in eine
       konservative Zentrumskraft zu verwandeln, ist nicht aufgegangen. Anhänger,
       die den moderaten Kurs nicht goutieren, fühlten sich von Orbáns
       nationalistischer und xenophober Rhetorik besser bedient. Die Zustimmung
       der Sozialdemokraten wurde von 25,6 auf 12,4 Prozent sogar halbiert.
       
       ## Animositäten spalten die Opposition
       
       Der Politikwissenschaftler Zoltán Balázs, der am Oktogon seinem Frust Luft
       machte, warf den Oppositionsparteien vor, sie hätten nicht eng genug
       zusammengearbeitet. Der Eigensinn der grünen LMP und der Protestpartei
       Momentum, die ihre Kandidaten nicht zurückziehen wollten, hätte den
       Parlamentseinzug von fünf bis sechs Oppositionskandidaten verhindert.
       
       In den Einerwahlkreisen, wo eine einfache Mehrheit genügt, um das Mandat
       abzuräumen, wäre mehr möglich gewesen, wenn sich die Opposition darauf
       geeinigt hätte, den jeweils aussichtsreichsten Kandidaten zu unterstützen.
       Aber die Animositäten zwischen den ideologisch teils weit
       auseinanderliegenden Kräften haben diese geschlossene Front gegen Fidesz
       nicht zugelassen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Hass eine
       erfolgreiche Taktik sein kann“, kommentierte das ein Intellektueller.
       
       Vor allem die jungen Menschen werden von Zukunftsängsten geplagt. Sie
       glauben, dass Orbán seinen Feldzug gegen progressive und liberale
       Nichtregierungsorganisationen fortsetzen wird. Sie ersetzen zum Teil die
       politische Opposition, weil sie Skandale aufdecken und
       Menschenrechtsverletzungen anprangern. Organisationen, die Geld aus dem
       Ausland bekommen, müssen eine Strafsteuer bezahlen, wenn das Gesetz
       beschlossen ist, das derzeit im Parlament liegt. Auch die Central European
       University, die vom ungarischstämmigen Milliardär George Soros gegründet
       wurde, soll vergrault werden. Dort werden Studierende aus ganz Europa im
       Geiste liberaler Werte ausgebildet. Ein unterschriftsreifer Vertrag, der
       ihren Fortbestand sichern soll, wird von der Regierung seit Wochen
       ignoriert.
       
       Die Dichterin Eva wäre schon längst weg, wenn sie nicht gerade ein Haus
       baute: „Aber sobald es fertig ist, gehe ich nach London.“ Zwischen 700.000
       und 800.000 Ungarn haben das Land verlassen, seit Orbán regiert. 2010 kam
       er an die Macht. Ungarn habe daher kein Einwanderungsproblem, sondern ein
       Auswanderungsproblem, sagte Bulcsú Hunyadi vom Thinktank Political Capital
       in Budapest im Ö1 Radio. Es seien zwar nicht alle aus politischen Gründen
       ausgewandert, doch viele fühlen sich, so wie die Poetin Eva, in dem in
       ihrem Land herrschenden Klima nicht mehr wohl.
       
       9 Apr 2018
       
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