# taz.de -- Dancepop von Jenny Wilson: Brutal und roh, nicht poetisch
       
       > Die schwedische Künstlerin arbeitet autobiografisch. Ihr neues Album
       > „Exorcism“ dokumentiert auch eine erlittene Vergewaltigung.
       
 (IMG) Bild: Jenny Wilson schreibt Songs, die ihr Leben wiedergeben
       
       „Ich hab mir das Thema nicht ausgesucht. Das Thema hat mich gefunden“ –
       erklärt Jenny Wilson und guckt sich etwas gestresst um. Der 42-jährigen
       Electro-Singer-Songwriterin aus Stockholm ist offenbar unbehaglich zumute,
       während sie auf Durchreise in einem gut besuchten Cafe in Malmö sitzt und
       via Skype über ihr neues Album „Exorcism“ redet. Was wenig erstaunt, denn
       ihr inzwischen fünftes Werk handelt von einer Vergewaltigung. Während die
       Menschen um sie herum plaudern und Milchschaumgetränke zu sich nehmen,
       berichtet Wilson von krassen Erlebnissen.
       
       Die Geschichte der Vergewaltigung ist ihre eigene, dementsprechend schafft
       das Album Redebedarf, in den letzten Tagen hat sie etliche Interviews
       gegeben. „Dadurch, dass ich darüber spreche, geht es mir besser“, bekundet
       sie. Wenn auch vielleicht ein vollbesetztes Cafe nicht unbedingt dafür
       geeignet ist. Wilson macht es sich jedenfalls nicht leicht.
       
       Vor zwei Jahren wurde sie auf dem nächtlichen Nachhauseweg überfallen. Und
       weil sie von jeher autobiografisch arbeitet – auf ihrem Solodebüt „Love &
       Youth“ (2005) reflektierte sie mit fragilen elektronischen Pop ihre bis zum
       frühen Tod der Mutter unbeschwerte Jugend, auf dem deutlicher kantigeren
       letzten Album „Demand the Impossible!“ (2013) verarbeitete sie eine
       Krebserkrankung – so erklärt sie, musste sie auch über die Vergewaltigung
       Songs komponieren.
       
       Und nun auch darüber sprechen. Nicht, weil es sie damit an die
       Öffentlichkeit zog oder sich von der künstlerischen Auseinandersetzung
       Katharsis versprach. Sondern, weil alles andere bedeutet hätte, zu
       verstummen. Metaphorisch zu arbeiten, wie etwa auf besagtem Vorgängeralbum,
       das ging diesmal nicht. „Demand the Impossible!“, erzählt sie, „handelte
       davon, krank zu sein. Aber ich beschäftigte mich auch mit soziale Themen,
       mein Körper wurde Metapher für die Gesellschaft und umgekehrt. Bei
       „Exorcism“ habe ich schnell gemerkt: Abstraktion geht hier nicht.“
       
       Sie erzählt, wie sie mit Erzählhaltungen experimentiert hat, zwischendurch
       versuchte, das Erlebte zu intellektualisieren. Unter anderem spielte sie
       mit der Idee, die Geschichten unterschiedlicher Frauen zu verarbeiten, gar
       Texte aus der Perspektive des Täters zu schreiben. „Letztlich musste ich
       jedoch nah an meinem Innersten bleiben und die Songtexte so brutal und roh
       wie möglich angehen, frei von Metaphern, und also so wenig poetisch wie
       möglich.“ Diese Unmittelbarkeit dringt auch aus dem Sound von Wilsons
       Album, allerdings auf eine bisweilen ins Euphorische gewendete und dadurch
       irritierende Weise. Weitaus elektronischer aufbereitet als früher und
       ziemlich knallend kommen einige der neuen Songs daher. Zu „Predication“
       etwa möchte man am liebsten tanzend durch den Park rennen, so der Eindruck
       der Rezensentin. Wilson ergänzt: „Oder ganz schnell mit dem Auto fahren.“
       
       Zwar gibt es roboterhafte Verfremdungen ihrer Stimme und abgründige Klänge,
       die Dräuendes vermitteln, aber eben auch bouncy Beats, schräge Soundeffekte
       und flirrende Euphorie. Text und Sound klaffen bisweilen weit auseinander.
       Eine ähnliche Diskrepanz findet sich übrigens auch im Video zur Vorabsingle
       „Rapin“: So ästhetisch ansprechend der in einen Animationsfilm übersetzte
       Song daherkommt, so verstörend sind die konkreten Bilder. „Um über dieses
       schreckliche Erlebnis singen zu können, musste ich eine musikalische
       Umgebung schaffen, in der ich mich gern aufhalte. Düstere, traurige Songs
       hätten nicht funktioniert“, erklärt Wilson. Und dass sie eben sehr auf
       House, Techno und HipHop stehe, auf Musik, die bei ihr physisch etwas
       bewege.
       
       ## Blumen um die Ohren hauen
       
       Dann sind noch Songs wie „Your angry bible“, die von der Herabwürdigung in
       einer Beziehung erzählen, von Blumen, die Wilson beim romantischen Lunch um
       die Ohren gehauen kriegt. War der brutale Überfall für sie der
       Ausgangspunkt, um über verschiedene Formen von missbräuchlichem Verhalten
       nachzudenken?
       
       „Nach dem Trauma hatte ich meinen inneren Kompass komplett verloren, meinem
       Bauchgefühl konnte ich nicht mehr trauen. Ich habe mich in eine destruktive
       Beziehung fallen lassen. Und dort noch mehr Gewalt erlebt, auch wenn die
       mentaler Natur war. Bis dato hatte ich gedacht, dass ich gut auf mich
       aufpassen kann.“ Für #MeToo und die daraus entstandene Diskussion ist sie
       übrigens sehr dankbar. Mit der Kompositionsarbeit am Album war sie zu dem
       Zeitpunkt fast fertig.
       
       „Ich war unglaublich erleichtert, dass ich nicht eine Art Sprecherin im
       politischen Sinne werden musste. Das war zunächst meine große Befürchtung.“
       Die Geschichte ihrer Vergewaltigung und des Gefühlstumults, die daraus
       folgten: Jenny Wilson erzählt sie auf eindrückliche, musikalisch
       verblüffend vielschichtige Weise – als persönliche und doch ziemlich
       universelle Geschichte.
       
       23 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stephanie Grimm
       
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