# taz.de -- Sexualdelikte im ÖPNV: Der Belästiger vom Sitz gegenüber
       
       > Fast täglich notiert die Polizei sexuelle Belästigungen in Bussen und
       > Bahnen. BVG und S-Bahn ermutigen Fahrgäste, Fälle anzuzeigen.
       
 (IMG) Bild: Berliner U-Bahn
       
       Berlin taz | Ein Mittwochabend, kurz vor Mitternacht, in der Ringbahn. Vom
       Abendessen bei der Freundin in Prenzlauer Berg nach Hause sind es nur
       zwanzig Minuten Fahrt. Zeit, im gerade angefangenen Buch weiterzulesen.
       Doch eine Bewegung im Augenwinkel lenkt von der Lektüre ab. Direkt
       gegenüber, an der anderen Fensterseite des Waggons, sitzt ein Mann. Seinen
       Rucksack hält er mit der rechten Hand auf dem Schoß fest. Linker Arm und
       linke Hand sind in Bewegung, rühren in seinem Schritt. Immer wieder streift
       sein Blick die Frau auf der anderen Seite.
       
       Was tun, als Frau, in so einer Situation? Schneller Blick nach rechts und
       links. Der Waggon ist fast leer, erst am anderen Ende sitzen wieder
       Fahrgäste. Aufstehen, umdrehen, weggehen. Wegsetzen in einen Vierersitz, wo
       schon eine andere Frau sitzt. Tief in die Jacke kriechen. Vielleicht war ja
       nichts, vielleicht gibt es eine andere Erklärung für seine Handbewegung als
       die, dass er sich gerade einen herunterholt.
       
       Aber wenn doch: Soll er damit durchkommen? Nein. Also besser noch mal
       hingehen. „Was machen Sie da. Lassen Sie das“ sagen. Der Mann erwidert:
       „Was haben Sie? Ich mache nichts.“ Zweifel und Unwohlsein bleiben den Rest
       der Fahrt gleich stark, das Buch bleibt in der Tasche. Wer so ein Erlebnis
       am nächsten Tag erzählt, hört schnell ähnliche Geschichten. Von der
       Freundin, vor der an einem Sonntagmorgen in der U1 ein Mann masturbierte.
       Von einer 16-Jährigen im Bekanntenkreis, der Ähnliches passiert ist.
       
       Knapp 300 Sexualdelikte hat die Berliner Polizei im vergangenen Jahr im
       ÖPNV, also in U-Bahnen, S-Bahnen, Tram, Bussen und in Bahnhöfen erfasst.
       Laut Polizei hängt es auch vom Eindruck der Anzeigenerstatter*in ab, ob ein
       sich entblößender und masturbierender Mann als sexuelle Belästigung oder
       als Exhibitionismus gewertet wird.
       
       ## Tätliche Beleidigungen
       
       Seit der Neufassung des Gesetzes zur sexuellen Selbstbestimmung im November
       2016 wertet die Polizei allerdings auch „tätliche Beleidigungen“, also
       Grapschen und Tätscheln, als Sexualdelikt, die sie vorher unter
       „Beleidigung auf sexueller Grundlage“ erfasst hatte. Das mag eine Erklärung
       dafür sein, dass die Statistik für 2017 mit 295 Sexualdelikten weit mehr
       Fälle zu sexueller Belästigung im ÖPNV aufweist als 2016, wo die Polizei
       156 Sexualdelikte registriert hatte und 170 „Beleidigungen auf sexueller
       Grundlage“ zählte. 2017 waren es 43 solche Beleidigungen.
       
       Direkt vergleichbar sind die Zahlen für die vergangenen Jahre also nicht.
       „Wir sehen auch eine neue Haltung und ein Selbstbewusstsein von vielen
       Frauen, die sich Belästigungen nicht mehr bieten lassen wollen“, sagt Petra
       Reetz, Sprecherin der BVG. „Wir ermutigen alle Fahrgäste, solche Fälle
       anzuzeigen.“ Betroffene müssten außerdem nicht hilflos in der Situation
       verharren. „Es gibt auf jedem Bahnsteig einen Notrufknopf, wenn Sie dort
       drücken, sind Sie direkt mit einem Menschen bei uns in der
       Sicherheitsleitstelle verbunden. Dort sitzt auch rund um die Uhr ein
       Polizist“, sagt Reetz.
       
       Die Mitarbeiter könnten die Videos der Überwachungskameras aus der Bahn
       oder vom Bahnhof sichern, sodass die Polizei sie später sichten könne. „Wir
       können nicht versprechen, dass die Menschen darauf zu erkennen sind, aber
       wir haben selbst ein großes Interesse daran, wenn zum Beispiel jemand immer
       wieder in der U1 unterwegs ist und Frauen belästigt, ihn anzuzeigen oder
       zumindest Hausverbot zu erteilen“, sagt die BVG-Sprecherin.
       
       In den U- und S-Bahnen selbst gebe es an jeder Tür einen Knopf, über den
       Fahrgäste direkt Kontakt zu den Fahrer*innen aufnehmen könnten. Bei der
       S-Bahn rät man außerdem dazu, nachts in den ersten Wagen zu steigen und zur
       Not Fahrer*in oder andere Reisende anzusprechen.
       
       „Die Fahrer können wiederum die Polizei verständigen – und auch mal die
       Fahrt verlangsamen, sodass die Bahn oder der Bus zeitgleich mit der Polizei
       an der Haltestelle ankommt“, sagt Reetz. Wer in Not gerate, sollte diese
       Möglichkeiten auch nutzen. „Es gibt aus unserer Sicht keinen Grund, abends
       und nachts die U-Bahn zu meiden.“
       
       „Wir raten dazu, in der Situation laut und deutlich zu benennen, was los
       ist, und ‚Stopp!‘ zu sagen“, sagt Anita Eckhardt vom Bundesverband der
       Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. „Wir wissen aber auch, wie schwer
       das vielen fällt.“ Ein nächster Schritt könnte sein, Mitreisende
       anzusprechen. „Da hilft es auch, wenn Anwesende auf die Betroffenen zugehen
       und Hilfe anbieten, wenn ihnen etwas auffällt“, sagt Eckhardt.
       
       Wer einen Übergriff erlebt habe, könne sich auch im Nachhinein an eine
       Beratungsstelle wenden. „Es muss gar nicht immer eine Anzeige sein, aber es
       hilft vielen Betroffenen, darüber zu sprechen und sich darüber klar zu
       werden, was sie brauchen oder beim nächsten Mal tun könnten“, sagt sie.
       „Auf keinen Fall sollte man denken: Das war nicht schlimm genug.“
       
       19 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uta Schleiermacher
       
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