# taz.de -- Pro und Contra Merkel tolerieren: Das kleinere Übel
       
       > Der Bundespräsident fordert von der SPD Gespräche zur Regierungsbildung.
       > Sollte sie stattdessen eine Minderheitsregierung tolerieren?
       
 (IMG) Bild: Ist für die SPD bald wieder Murmeltiertag?
       
       ## Ja
       
       Wenn Politiker Erwartungen wecken, die sie dann ohne Not enttäuschen,
       betreiben sie Raubbau am Rohstoff der Demokratie: Vertrauen. Genau das wird
       passieren, wenn die SPD zum dritten Mal in eine Merkel-Regierung eintritt.
       Denn die SPD-Spitze hatte nach der Wahl geschworen, dies keinesfalls zu
       tun. Das Nein zu Merkel wurde zwar allzu selbstgefällig vorgetragen, hatte
       aber einen rationalen Kern. Die Große Koalition hat nicht nur der SPD
       geschadet – sondern auch der AfD genutzt. Wenn die SPD nun umfällt und
       wieder Ministersessel besetzt, ist das der Stoff, mit dem die AfD
       Affektpolitik macht.
       
       Allerdings ist die Alternative ähnlich miserabel. Neuwahlen wären eine
       Bankrotterklärung der politischen Mitte. Drei Viertel der WählerInnen haben
       für SPD, Union, Grüne und FDP gestimmt. Wenn diese Parteien nun unfähig
       sind, eine Regierung zu bilden, ist das Wasser auf die Mühlen der Rechten.
       
       Wenn man sich mit zwei gleichermaßen üblen Alternativen konfrontiert sieht,
       ist es klug, eine dritte zu suchen. Die gibt es: Die SPD muss Merkel
       offensiv eine Tolerierung anbieten.
       
       Das zentrale Argument gegen Minderheitsregierungen lautet, jedenfalls in
       Deutschland, dass sie unzuverlässig seien. Aber diese Konstruktion kann
       stabil sein. In den Grundzügen der Außen- und Europapolitik herrscht
       zwischen Merkel und der SPD ohnehin viel Konsens.
       
       Die SPD würde damit zwar das Risiko eingehen, für eine Politik
       verantwortlich gemacht zu werden, deren Autor sie nicht direkt ist. Das ist
       nicht ideal. Aber schlimmer wäre es, als opportunistische Umfaller zu
       gelten oder für Neuwahlen verantwortlich gemacht zu werden, die womöglich
       doch nur zu einer Großen Koalition führen.
       
       Tolerierung ist das kleinste der drei Übel. Nicht nur für die SPD. Auch für
       die Demokratie. Stefan Reinecke
       
       ## Nein
       
       Wie elendig ist der Zustand der SPD, dass aus Angst vor Neuwahlen in der
       Partei jetzt ernsthaft über die Unterstützung einer Minderheitsregierung
       der Union diskutiert wird. Die Sozialdemokraten können nur darauf hoffen,
       dass sich Angela Merkel nicht darauf einlässt. Es ist schon skurril, dass
       die Genossen jetzt plötzlich über Tolerierungsmodelle nachdenken, über
       deren Für und Wider bereits die Grünen in den achtziger Jahren mit Inbrunst
       gestritten hatten – um sich dann von ihnen zu verabschieden. Das Problem:
       Tolerierung bedeutet, auf einen eigenen administrativen
       Gestaltungsspielraum zu verzichten. In der Konsequenz führt das dazu, dass
       politische Erfolge auf den Konten der Regierungsparteien verbucht werden,
       während für eventuelle unpopuläre Entscheidungen jedoch die tolerierende
       Partei in Mithaftung genommen wird.
       
       Noch eine zweite Variante wird diskutiert: Eine Minderheitsregierung Angela
       Merkels könnte mit wechselnden Mehrheiten regieren. Dann bräuchten die
       SPD-Abgeordneten nur bei unterstützenswerten Vorhaben die Hand zu heben.
       Klingt gut, oder? Es gibt allerdings einen kleinen Haken: die derzeitigen
       Mehrheitsverhältnisse im Bundestag. Die Vorstellung ist gruselig: Wenn es
       um Sozialabbau, die Aufweichung der Klimaziele, die Abschaffung des Soli
       oder die weitere Aussetzung des Familiennachzugs geht, kann sich die Union
       im Zweifel auf die Hilfe der FDP und der AfD verlassen. Wer die Union
       „entlarven“ will, dem mag das gefallen. Aber kann das der SPD reichen?
       
       Sollte die SPD deswegen in die Große Koalition? Keineswegs. Sie sollte
       anfangen, glaubwürdig für eine progressive Mehrheit jenseits der Union zu
       kämpfen. Denn eine Perspektive hat die traditionsreiche Partei nur als
       linke Alternative zur Union, nicht als ihre wie auch immer geartete
       Juniorpartnerin. Pascal Beucker
       
       23 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
 (DIR) Pascal Beucker
       
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