# taz.de -- Debatte Türkei und Justiz: Ein Fall für Interpol
       
       > Deutsche Strafverfolgungsbehörden müssen endlich gegen jene ermitteln,
       > die in der Türkei Menschen als Geiseln festhalten.
       
 (IMG) Bild: Ein türkischer Polizist wartet in Sirvili vor einem Gericht. In der Nähe ist das Hochsicherheitsgefängnis
       
       Die Bild-Zeitung behauptete im Juli: Deutsche Diplomaten sind überzeugt,
       dass die türkische Regierung mit den in Haft sitzenden deutschen
       Journalisten und Menschenrechtlern die Bundesregierung veranlassen will,
       türkische Staatsbürger nach Ankara auszuliefern, die nach dem Putschversuch
       im Sommer 2016 nach Deutschland geflüchtet sind. Erdoğan soll bereits vor
       Wochen „diskret“ angeboten haben, Deniz Yücel gegen zwei Exgeneräle
       auszutauschen. Eine Geiselnahme also.
       
       In der alten Bundesrepublik gab es eine „zentrale Erfassungsstelle für
       DDR-Unrecht in Salzgitter“, die seit 1961 Spuren von Rechtsbrüchen durch
       DDR-Stellen, Staatsanwaltschaften und Gerichten sammelte. Deren Sammlungen
       führten nach dem Ende der DDR zu zahlreichen Strafverfahren gegen
       DDR-Strafverfolger: Justizangehörige, Angehörige von „Sicherheitsorganen
       (MfS, Polizei), von Justizverwaltungen.
       
       Anders als NS-Richter wurden Richter und Staatsanwälte der DDR
       flächendeckend verurteilt, wenn sie an politischen Verfahren beteiligt
       waren. Sie hatten zwar das geschriebene und praktizierte Recht des
       Heimatstaates angewandt, gleichwohl: Bei „offensichtlichen Willkürakten
       seitens der DDR-Justiz“ durften sie nicht auf den Bestand dieses Rechts
       vertrauen, wenn sich ihre Entscheidung als unerträgliche
       Menschenrechtsverletzung darstellt – auch wenn man die Beurteilung
       maßgeblichen Rechts der DDR zugrunde legt und berücksichtigt, dass im
       SED-Staat von rechtsstaatlichen Grundsätzen abweichende Wertvorstellungen
       herrschten.
       
       Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 13. Dezember 1993
       (Bundesgerichtshof in Strafsachen BGSt 40, 30) als möglichen
       Rechtsbeugungstatbestand „schwere Menschenrechtsverletzungen durch die Art
       und Weise der Durchführung von Verfahren“ aufgezeigt. Namentlich betrifft
       das Strafverfahren, in denen die Strafverfolgung und die Bestrafung
       überhaupt nicht der Verwirklichung von Gerechtigkeit (Artikel 86 der
       DDR-Verfassung), sondern der Ausschaltung des politischen Gegners oder
       einer bestimmten sozialen Gruppe gedient haben (BGHSt 40, 30, 42 f.).“
       Mindestens Letzteres scheint etwa im Falle Yücel den Stellungnahmen
       zahlreicher bundesdeutscher Politiker und Medien zu Folge gegeben.
       
       Bedeutsam war im Falle der DDR-Richter auch die Tatsache, dass die DDR den
       Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten
       Nationen ratifiziert hatte und Meinungsäußerungs- wie auch allgemeine
       Freiheitsrechte damit innerstaatliches Recht geworden waren.
       
       ## Deutsche Justiz gefragt
       
       Für die Vorgänge in der Türkei ist die deutsche Justiz zuständig: Neben dem
       im deutschen Strafrecht geltenden Weltrechtsprinzip richten sich die
       „Geiselnahmen“ von deutschen Staatsangehörigen gegen Personen, die durch
       die deutsche Rechtsordnung auch international geschützt sind. Grundsätzlich
       dürfen und müssen die deutschen Strafverfolgungsbehörden also auch wegen
       des Verdachts der Geiselnahmen von Deutschen in der Türkei strafrechtlich
       ermitteln.
       
       Die an der konkreten Verfolgung Beteiligten und ihre Hintermänner sind
       bekannt, sie genießen großenteils keinen Schutz vor Strafverfolgung etwa
       als Folge eines Immunitätsstatus, wie er zum Beispiel dem aktuellen
       politischen Führungspersonal zukommen dürfte.
       
       In der Türkei gibt es Normen, die denen der Freiheitsberaubung in
       Deutschland entsprechen. Die Türkei unterschrieb am 15. 8. 2000 den Pakt
       über bürgerliche und politische Rechte, IpbpR. Dieser Pakt wurde am 23. 9.
       2003 ratifiziert und ist seit dem 24. 12. 2003 in der Türkei in Kraft. Er
       wurde am 16. 12. 1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen
       verabschiedet und stellt einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag dar.
       Er ist folglich von den türkischen Strafverfolgern zu beachten. Auch in der
       Türkei gibt es zudem Normen zum Schutz der Freiheit (Artikel 174 –
       Verbrechen gegen die politische Freiheit, 179 – Freiheitsberaubung, 188 –
       Nötigung).
       
       Ausnahmezustände rechtfertigen diese Geiselnahmen ersichtlich nicht: Nach
       der sogenannten Radbruch’schen Formel können sich die Handelnden nicht auf
       Normen berufen, bei denen der Widerspruch zur Gerechtigkeit aus einer
       objektivierenden Perspektive ein „unerträgliches Maß“ erreicht hat. Und
       auch nicht auf Normen, bei denen Gerechtigkeit nicht einmal subjektiv
       erstrebt wird. Das Verhalten von Richtern, Staatsanwälten, Ermittlern und
       deren Anstiftern, die Journalisten und Menschenrechtler über Monate,
       möglicherweise Jahre ohne Anklage oder gar Urteil, auf der Grundlage nicht
       rechtsstaatlich umgrenzender Normen („Terrorismus“) einkerkern, um eine
       Auslieferung gänzlich mit den „Taten“ der Journalisten und
       Menschenrechtlern unverbundener Personen in Deutschland zu erpressen,
       können sich auf gesetztes Recht nicht berufen.
       
       ## Bei Fluchtgefahr: Haftbefehl
       
       In einem solchen Falle müssten strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen
       werden. Die Normen, gegen die diese Tatverdächtigen – Richter und
       Staatsanwälte – verstoßen, stellen großenteils Verbrechenstatbestände dar,
       die beim Vorliegen von Fluchtgefahr auch den Erlass von Haftbefehlen
       rechtfertigen können. Diese wiederum könnten Anlass geben, Red Notices an
       Interpol zu geben. (Wie das geht, können sich die deutschen Ermittler von
       den türkischen Behörden im Falle des in Spanien verhafteten deutschen
       Schriftsteller Doğan Akhanlı abgucken).
       
       Das führte zu einer direkten Konfrontation der an den Geiselnahmen
       Beteiligten mit Bewegungseinschränkungen und Risiken für den Fall, dass
       sich diese Leute außer Landes begeben. Diese Red Notices könnten und
       sollten öffentlich kommuniziert werden. Das führte bei den Beteiligten zu
       Risikoabwägungen und einer Verdeutlichung der deutschen Position, dass
       Menschen in der Türkei nicht straflos als Geiseln genommen werden dürfen.
       
       Tatverdächtig sind selbstverständlich auch deren politische und
       institutionelle Anstifter. Die Erfahrung der ehemaligen
       Regierungsverantwortlichen der DDR erweist, dass deren Schutz vor
       strafrechtlicher Verantwortung verloren gehen kann, sobald das Amt weg ist.
       Auch sie wurden strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.
       
       29 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Eisenberg
       
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