# taz.de -- Erzbischof über Mitmenschlichkeit: „Es brauchte erst den Anschlag“
       
       > Der katholische Erzbischof Stefan Heße begrüßt den Abschiebestopp nach
       > Afghanistan. Das ist für ihn keine Frage von christlich oder
       > unchristlich.
       
 (IMG) Bild: Kein sicherer Ort: Kabul nach dem Anschlag vor der deutschen Botschaft
       
       taz: Herr Heße, braucht es einen bundesweiten Abschiebestopp nach
       Afghanistan? 
       
       Stefan Heße: Ich begrüße den Abschiebestopp in Schleswig-Holstein sehr. Wir
       als Kirche sind ja nicht grundsätzlich gegen Abschiebungen. Aber ich halte
       es bei der gegenwärtigen unsicheren und unübersichtlichen Situation in
       Afghanistan nicht für verantwortbar, Menschen dorthin abzuschieben.
       
       Ist die Abschiebung von Menschen, die um Schutz bitten, denn grundsätzlich
       dem christlichen Glauben und der Kirche vereinbar? 
       
       Es gibt Kriterien, nach denen Asyl gewährt oder eben leider nicht gewährt
       werden kann. Aber wenn Leute abgeschoben werden, müssen sie dahin kommen,
       wo sie sicher leben können. Und das scheint mir in Afghanistan nicht der
       Fall zu sein. Deswegen wird ja jetzt die Lage, wie es im Politikerdeutsch
       heißt, neu bewertet. Ich glaube, das ist ein ganz gutes Zeichen.
       
       Kommt dieses Zeichen zu spät? 
       
       Es brauchte leider erst einen Anschlag vor der deutschen Botschaft in
       Kabul. Das UNHCR …
       
       Also die Flüchtlingskommission der Vereinten Nationen. 
       
       … hat bereits 2016 im Bericht über die Sicherheitslage in Afghanistan
       geschrieben, dass eine Unterscheidung zwischen sicheren und unsicheren
       Gebieten nicht mehr möglich sei. Das halte ich für sehr signifikant.
       
       Daniel Günther, CDU-Landeschef und künftiger Ministerpräsident in
       Schleswig-Holstein, hat sich gegen den Abschiebestopp nach Afghanistan
       ausgesprochen. Ist das unchristlich? 
       
       Wir als Christen müssen die Fakten nehmen und sie mit dem Evangelium, mit
       der Botschaft von Gottes Liebe, konfrontieren. Dann müssen wir gucken:
       Passt das oder passt das nicht zusammen? Und da braucht man jetzt gar nicht
       über christlich oder unchristlich zu streiten. Angesichts der Situation in
       Afghanistan halte ich Abschiebungen dorthin für unzumutbar.
       
       Bezieht die Kirche als Instanz, die für Mitmenschlichkeit steht, stark
       genug Stellung, wenn es um Flüchtlinge geht? 
       
       Wir bringen unsere Stimme ein: in den politischen Diskurs vor Ort, aber
       auch auf der übergeordneten Ebene. Was aber meiner Meinung nach noch mehr
       wiegt, ist das Engagement der vielen Menschen. Das ist auch eine Stimme.
       Wenn man katholisch und evangelisch zusammen nimmt, gibt es über 200.000
       Freiwillige, die sich in Deutschland für die Flüchtlinge einsetzen. Daneben
       gibt es eine ganze Reihe von Hauptamtlichen. Allein katholischerseits haben
       wir seit 2015 deutschlandweit die Zahl der Hauptamtlichen auf etwa 6.000
       verdoppelt. Es ist allerdings immer auch die Frage, wie viel
       Berücksichtigung diese Stimmen dann in den Medien finden. Wir können aber
       zugegebenermaßen auch noch einen drauflegen.
       
       Wo denn? 
       
       Menschen, die hierher kommen, müssen mit Würde empfangen werden. Und wenn
       es zu so harten Maßnahmen wie einer Rückführung kommt, muss das auch mit
       Würde geschehen. Dabei denke ich einerseits an die Menschen, die
       abgeschoben werden. Aber auch an die vielen Helfer. Sie haben ja ein hohes
       Maß an Solidarität mit den Flüchtlingen entwickelt. Auch für sie sind
       Abschiebungen daher sehr schmerzvoll. Sie leiden mit und sehen sich
       womöglich in ihrem Engagement nicht ernst genommen.
       
       Ist das Engagement für Geflüchtete auch eine Chance für die Kirche? 
       
       Interessanterweise schließen sich den kirchlichen Hilfsorganisationen auch
       Menschen an, die mit Kirche nicht unbedingt viel zu tun haben, sondern die
       das Engagement einfach sinnvoll finden und unterstützen möchten. Ich finde
       es gut, wenn wir jetzt miteinander kooperieren und es die Möglichkeit gibt,
       mit Leuten in Kontakt zu kommen, die wir vielleicht sonst gar nicht so im
       Blick haben.
       
       Wie wird der Kirche denn derzeit begegnet? 
       
       Es gibt wahrscheinlich alles, aber als Grundtenor nehme ich eigentlich
       wahr, dass Politik und Verwaltung dankbar für das Engagement der Kirche
       sind. Dieses Engagement entspricht unserem Selbstverständnis als Christen.
       Christ sein ist nicht nur eine persönliche Sache zwischen Gott und mir.
       Christen leben in der Welt und deswegen müssen sie sich auch in die Welt
       einbringen. Und das können sie, weil sie eine klare und gute Botschaft
       haben, die den Menschen helfen soll. Und weil sie oft Menschen sind, die
       ein hohes Maß an Engagement an den Tag legen.
       
       Sehen Sie in der Bereitschaft zu diesem Engagement eine Entwicklung? 
       
       Aufgrund der Dauer sind natürlich gerade die Ehrenamtlichen sehr gefordert
       und emotional angespannt. Ich hoffe, dass sie nicht wegbrechen. Im Moment
       sagen mir die Verantwortlichen in den Hilfsorganisationen, dass das
       Engagement ungebrochen sei, auch in den Kirchengemeinden beobachte ich das.
       Dafür bin ich sehr dankbar. Aber ich glaube, wir müssen die Helfer gut
       unterstützen.
       
       15 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lena Eckert
       
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