# taz.de -- Bücher zur Biennale in Venedig: Die Kunst aus dem Getto geführt
       
       > Die Kunsthistoriker Anthony Gardner und Charles Green sehen die Inflation
       > der Biennalen positiv. Joanna Warsza warnt vor vorschnellen Boykotten.
       
 (IMG) Bild: „Death of a Collector“ von Elmgreen und Dragset und Besucher, Venedig 2009
       
       Ein umgestürzter Panzer vor dem amerikanischen Pavillon, der britische
       Pavillon ist zu einer orientalischen Karawanserei umgebaut, vor den
       nordischen Pavillons schwimmt die Leiche eines Kunstsammlers im
       himmelblauen Pool. Wer in Gedanken noch einmal über die bunten Jahrmärkte
       der letzten Venedig-Biennalen flaniert, fühlt sich an Peter Schjeldahls
       Verdikt der Großereignisse erinnert.
       
       Es könne ja sein, schrieb der genervte Kunstkritiker des New Yorker 1999,
       dass Marcel Broodthaers mit der Erfindung der schlecht zu vermarktenden
       Installationskunst dem Kapitalismus ein ästhetisches Schnippchen habe
       schlagen wollen. Inzwischen setzten die Biennalen weltweit aber fast nur
       noch auf diese aufgeblasene Effekthascherei. Damit, so sein frühes Urteil,
       seien sie zu Orten des „Festivalism“ regrediert.
       
       Wenn Anthony Gardner und Charles Green in ihrem jüngsten Buch das Wort von
       der Biennale als „Spektakel-Kultur des Neoliberalismus“ aufgreifen, geben
       sie zu erkennen, dass sie sich der derzeit gängigen Kritik an der
       „Biennalisierung der Kunst“ bewusst sind. Dennoch, die beiden
       Kunstgeschichtsprofessoren – Gardner in Melbourne, Green in Oxford – wollen
       dezidiert ein in Verruf geratenes Format „entdämonisieren“.
       
       Zum Super-Kunstjahr 2017 kommt der Band also gerade recht.
       Standortspektakel, Gentrifizierungsmotor, Raumschiff. Gardner und Green
       schlagen sich nicht vorschnell auf die Seite der Kritiker, die das
       ausufernde Biennale-Wesen mit solchen Vokabeln überziehen. Sie wollen
       verstehen, wie dieses Format zustande kam und was es bewirkt hat. Nicht
       alles, was sie bei dieser historisch angelegten Analyse zutage fördern, ist
       dabei wirklich grundlegend neu.
       
       Etwa, dass der Schweizer Kurator Harald Szeemann mit seiner Documenta 5
       „Befragung der Realität, Bildwelten heute“ 1972 den Grundstein für das
       Aufkommen des Starkurators und der Biennale als „Meta-Ausstellung“ gelegt
       hat, die das Institut „Ausstellung“ immer gleich mitreflektiert. Oder dass
       der Nigerianer Okwui Enwezor mit seiner postkolonialen Documenta XI 2002
       die Meistererzählung der Westmoderne zu den Akten gelegt hat.
       
       ## Der blinde Fleck
       
       Spannender wird ihr Band bei den Entwicklungen im blinden Fleck der
       eurozentrischen Wahrnehmung. Wer weiß schon in Berlin-Mitte, dass es im
       Sommer 1955 eine „Biennale de la Méditerranée“ im ägyptischen Alexandria
       und 1974 „The First Arab Biennale“ in Bagdad gab? Und dass nicht die 1984
       gegründete Biennale von Havanna das Biennale-Wesen vom „Süden“ her
       aufrollte, sondern schon die Triennale von Delhi 1968. Alle drei wollten
       die Himmelsrichtung als Zone von Energie und Kreativität statt von Armut
       und Ausbeutung ins Bewusstsein rufen.
       
       Gardner und Green beschreiben als ideologischen Kern dieser zweiten Welle
       der Biennalisierung das Herausbilden einer Alternativstruktur von der
       Peripherie her, die sich explizit gegen das ästhetische und institutionelle
       Monopol Venedigs richtet. Im Lichte dessen klingt Adam Szymczyks Idee vom
       „Süden als eines Geisteszustands“ als Topos der Documenta 14 jetzt in Athen
       und Kassel wie der lauwarme Aufguss eines mehrmals benutzten Teebeutels.
       
       Eloquent, kenntnisreich und quellensicher dröseln die Autoren Vor- und
       Nachteile der diversen Modelle auseinander. Die „Emergency Biennale“ 2005
       in Tschechien findet vor ihren Augen als einer der wenigen Versuche Gnade,
       auf die politischen Konflikte des Landes aufmerksam zu machen und
       gleichzeitig den Künstlern vor Ort zu helfen. Die Biennale von Moskau im
       selben Jahr dagegen gilt ihnen als Prototyp der „Legitimation von Macht
       durch Kultur“.
       
       Die Instrumentalisierung der Biennalen hat zu einer Welle von
       Biennale-Boykotten geführt. Die polnische Kuratorin Joanna Warsza, 2012 mit
       Artur Żmijewski Ko-Kuratorin der 7. Berlin-Biennale, hat zusammen mit gut
       40 AutorInnen, von Ahmet Ögüt bis Vesna Madzoski, die entsprechenden
       Manifeste in einem Band zusammengetragen. Sie handeln von der Manifesta in
       Sankt Petersburg (2014), vom Ausstieg des Gründers und Sponsors Transfield
       in Sydney (2014) bis zur Rolle des Koç-Konzerns in Istanbul (2013/15).
       
       ## Debatte statt Ausstieg
       
       Als Leiterin des Public Program von Kasper Königs Manifesta in Sankt
       Petersburg stand Warsza im Kreuzfeuer der Debatte, ob es angesichts der
       russischen Politik in der Ukraine oder des Gesetzes gegen Homosexuelle
       nicht besser wäre, die Wanderbiennale zu boykottieren, wie es die russische
       Gruppe Chto Delat gefordert hatte. Warsza entschied sich gegen Boykott und
       Ausstieg. Stattdessen ließ sie all diese Fragen in dem von ihr
       verantworteten Rahmenprogramm diskutieren. Die Debatten, die sie auslöste,
       lassen ihre Bilanz, dass es richtig war, zu bleiben, als begründet
       erscheinen. Auch in repressiven Kontexten müssen Biennalen nicht
       umstandslos zu Cheerleadern von Spektakelkultur oder repressiver Regime
       werden.
       
       Für Gardner und Green haben sie es trotz aller Konstruktionsmängeln zudem
       geschafft, die Kunst aus ihren „often hermetic, often politically
       reconstructive, avant-garde and experimental origins“ herausgeführt zu
       haben, „into the realm of the global public attention to contemporary art“,
       ohne deswegen „a mere handmaiden to globalization“ zu sein.
       
       Damit könnten die Biennalen die nationalen Kunstgeschichten in ein „global
       narrative“ überführen helfen. Auf diesen epochalen Paradigmenwechsel lassen
       wir uns gern auch mal mit Zuckerwatte oder rosa Elefanten stoßen.
       
       11 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arend
       
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