# taz.de -- Neuer Berliner Häuserkampf: „Wir kaufen uns die Stadt zurück“
       
       > In Berlin-Kreuzberg soll ein Symbol des sozialen Wohnungsbaus an eine
       > Investorengruppe verkauft werden. Nun regt sich Widerstand.
       
 (IMG) Bild: Aufwärts am Kotti – das bedeutet für Investoren auch höhere Mieten
       
       Berlin taz | Ganz oben schwebt man wie über den Problemen. Wer aus dem
       Fenster in der achten Etage des [1][Kreuzberger Zentrums], des
       langgezogenen Betonmonsters am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg, schaut,
       kann den Blick vom Funkturm bis zum Fernsehturm schweifen lassen. Eine
       privilegierte Lage – und sofort wird klar, wieso Investoren hier viel Geld
       verdienen wollen.
       
       Zurück auf der Straße, zwischen Imbissen, Spielcasinos und Spätis, ist man
       wieder auf dem Boden der Tatsachen. Das Kottbusser Tor, das von der hier
       oberirdisch fahrenden U-Bahn durchschnitten wird, ist so großstädtisch wie
       überfordernd. Am frühen Abend wuseln Menschenmassen durcheinander, auf
       ihrem Weg in die umliegenden Kneipen, zum türkischen Gemüsestand, der bis
       spät in die Nacht geöffnet hat, oder einfach, weil sie immer hier sind, wie
       die Drogenabhängigen, die direkt hinter dem Stand ihren Stammplatz haben.
       
       Mehr als 2.000 [2][Straftaten] hat die dauerpräsente Polizei hier im
       vergangenen Jahr registriert, vor allem Taschendiebstähle und
       Drogendelikte, aber auch mehr als 200 Raubüberfälle und Körperverletzungen.
       Es ist einer der gefährlichsten Orte der Stadt, sagt eine anonyme
       Polizeiquelle. Der Kotti, wie er von vielen dennoch liebevoll genannt wird,
       ist ein Symbol. Je nach Perspektive für [3][eine verfehlte Stadt]- oder
       Integrationspolitik oder für die Buntheit der Stadt und ein soziales
       Gefüge, das auch Außenseiter integriert.
       
       In dem im Jahr 1974 fertiggestellten Kreuzberger Zentrum, damals vor allem
       von türkischen Gastarbeitern bezogen, leben heute in knapp 300 Wohnungen
       1.200 Mieterinnen und Mieter aus dreißig Nationen; dazu kommen 90
       Gewerbetreibende. Schmelztiegel sagen die einen, Kreuzberger Mischung die
       anderen. Die aber droht nun zu kippen.
       
       ## Normaler Wahnsinn?
       
       In der vergangenen Woche hat die 360 Personen zählende
       Eigentümergemeinschaft den Verkauf an einen Bieter namens Juwelus
       Investitions- und Beteiligungs GmbH & Co KG beschlossen. Der Verkaufspreis
       soll bei 60 Millionen Euro liegen. Es wäre ein ganz normaler Deal im ganz
       normalen Wahnsinn einer Stadt, in der nicht nur die Zahl der Bewohner in
       die Höhe schießt, sondern auch die Immobilienpreise explodieren. Einer aber
       will sich mit diesem Wahnsinn nicht abfinden. Sein Name ist Florian
       Schmidt, einst Stadtteilaktivist, seit Dezember grüner Baustadtrat im
       widerspenstigen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
       
       Schmidts Parole lautet: „Wir kaufen uns die Stadt zurück.“ Das Mittel
       dafür: das Vorkaufsrecht der Berliner Bezirksverwaltungen in Gebieten, in
       denen ein sogenannter Milieuschutz gilt. Wenn ein neuer Investor die Mieter
       verdrängen will, indem er Spielräume bei der Mieterhöhung ausnutzt, kann
       der Bezirk als Käufer einspringen und das Gebäude zum Beispiel an eine
       landeseigene Wohnungsbaugesellschaft übertragen. Das Kottbusser Tor liegt
       in einem solchen Milieuschutzgebiet, wie 45 Prozent der 280.000 Wohnungen
       des Bezirks.
       
       Der grüne Stadtrat weiß mit der Gewobag eine der sechs Berliner
       Wohnungsbaugesellschaften an seiner Seite, die auf den Ankauf von Wohnungen
       spezialisiert ist. Bis 2025 will Berlin die Zahl der landeseigenen
       Wohnungen von derzeit 300.000 auf 400.000 erhöhen. 30.000 Wohnungen sollen
       bis 2021 neu gebaut werden, so steht es im Koalitionsvertrag des
       rot-rot-grünen Senats. Der Rest wird gekauft. Das Mittel des Vorkaufsrechts
       solle „verstärkt“ genutzt werden, heißt es auch im Koalitionsvertrag. Die
       linke Bausenatorin Katrin Lompscher unterstützt diese Politik, ebenso der
       SPD-Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen.
       
       Beim Kottbusser Tor hat die Gewobag mitgeboten, bestätigte eine Sprecherin
       der taz. Über den gebotenen Preis will sie nichts sagen. Florian Schmidt
       sagt: „Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen.“ Angeblich habe die Gewobag nur 1
       Million Euro weniger geboten als der Käufer. Wenn der Kaufvertrag Mitte
       April unterschrieben wird, kann Schmidt seinen Trumpf aus dem Ärmel
       zaubern. „Dann machen wir unser Recht geltend, das Haus als Bezirk zu
       kaufen.“ Zwei Monate hat er dann dafür Zeit. Für ihn ist klar: „Wir machen
       am Kotti ein Modellprojekt des Vorkaufs in Berlin.“
       
       Bereits dreimal hat Friedrichshain-Kreuzberg von diesem Recht Gebrauch
       gemacht. Altbauten, einige Dutzend Wohnungen. Das Kottbusser Tor, da hat
       Florian Schmidt recht, wäre eine größere Nummer. Hier hatte in den
       siebziger Jahren der flächendeckende Abriss von Altbauten durch den
       Westberliner SPD-Senat begonnen. Und hier endete diese Kahlschlagsanierung
       auch am Widerstand der Bewohner. Den Investoren hatten Rio Reiser und die
       Scherben damals den Song „Das ist unser Haus!“ entgegengeschmettert.
       „Schmeißt doch endlich Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus“,
       hieß es weiter – gemeint waren die Bauherren des Zentrums Kreuzberg.
       
       Aber um klare Aussagen ist auch er nicht verlegen. In den sozialen
       Netzwerken hat er den Verkauf des Kreuzberger Zentrums mit den Worten
       kommentiert: „Wenn sich da mal nicht jemand verspekuliert hat.“ Für solche
       Worte bekommt Schmidt derzeit viel Beifall. Seit dem Scheitern des
       ehemaligen Staatssekretärs für Wohnen, Andrej Holm, ist der Kreuzberger
       Baustadtrat so etwas wie die personifizierte Hoffnung auf eine Wende in der
       Berliner Wohnungspolitik. Ein Nutzer hielte das für „weit mehr als ein
       Signal in den Immo-Markt. Es könnte zum Wendepunkt werden.“
       
       Doch eine Frage ist bislang ungeklärt. Zu welchem Preis darf die
       öffentliche Hand einem Investor ein Gebäude vor der Nase wegschnappen?
       Gerade erst hat der Bezirk Tempelhof-Schöneberg einen Prozess verloren,
       weil er den Verkauf von 48 Wohnungen durch die Bundesanstalt für
       Immobilienwirtschaft (Bima) gestoppt hat. Die Bima hatte die Häuser für 7,8
       Millionen Euro an einen Investor verkauft. Zu viel, fand der Bezirk und
       ließ den Verkehrswert auf 6,35 Millionen Euro schätzen. Zu Unrecht, befand
       das Landgericht Berlin. Der Kaufpreis übersteige den Verkehrswert nur um
       23,41 Prozent – dies sei als Ausdruck des Marktgeschehens vertretbar.
       Diesen Mehrpreis hätte laut Gericht auch die mitbietende Gewobag aufbringen
       können.
       
       Florian Schmidt will sich von diesem Rückschlag nicht entmutigen lassen,
       auch wenn er weiß, dass der Kaufpreis zur Schlüsselfrage beim „Rückkauf der
       Stadt“ werden wird. Sollte den Bezirken auch künftig versagt werden,
       Objekte zum Verkehrswert zu übernehmen, bliebe ihnen nichts anders übrig,
       als den verlangten Preis zu zahlen und damit die Kosten für Wohnraum mit
       nach oben zu treiben.
       
       ## Im Grunde hat die Stadt das Ding schon ein paar Mal gekauft
       
       Beim Kreuzberger Zentrum wäre das besonders absurd. Finanziert wurde es mit
       Krediten wohlhabender Privatpersonen, die durch das sogenannte
       Berlinhilfegesetz mit großzügigen Steuerabschreibungen belohnt wurden.
       Hinzu kamen die üppigen Förderungen für den sozialen Wohnungsbau. Bereits
       in den Siebzigern stand der Komplex zweimal vor der Insolvenz. Der
       Brückengang über der Adalbertstraße war baufällig, die meisten Läden
       standen leer, der Spielplatz auf dem Parkhausdach war demoliert, in den
       Unterführungen und verschachtelten Treppengängen verrichteten
       Drogenabhängige und Alkoholiker ihre Notdurft. Das Zentrum Kreuzberg wurde
       für viele zum Ghetto, das gesprengt gehörte.
       
       Im Jahr 2004 folgte die nächste Beinaheinsolvenz. Damals sollten die
       Fördermittel des sozialen Wohnungsbaus auslaufen. Statt die Darlehen
       zurückzufordern, verzichtete die landeseigene Investitionsbank Berlin für
       weitere zehn Jahre. Jahr für Jahr verliert die öffentliche Hand Millionen,
       doch das Objekt ist immer noch mit mehr als 40 Millionen Euro verschuldet.
       
       Im Grunde hat der Staat das Ding schon ein paar Mal gekauft – so sehen es
       Ryan Harty und Marie Schubenz, die dem im Dezember neu gegründeten
       Mieterrat angehören. Sie sitzen in Möbel Olfe, einer großräumigen Bar,
       deren grüne Leuchtbuchstaben auf dem Dach des Zentrums prangen. „Der Senat
       sollte nicht mehr zahlen müssen als die Schulden“, sagt Schubenz, eine Frau
       mit roten Locken und schwarzer Lederjacke.
       
       Soweit die politische Sicht. Als Mieter haben sie aber vor allem Sorge
       wegen der Investoren. Noch zahlen sie im Durchschnitt knapp 6 Euro pro
       Quadratmeter kalt. Wer hinter der höchstbietenden Juwelus steckt, ist nicht
       bekannt, auch deren Absichten sind unklar. Sie hoffen deshalb ebenfalls auf
       das Vorkaufsrecht. Für den 33-jährigen Harty, der bereits seit neun Jahren
       ganz oben über Möbel Olfe wohnt, ist die „Dorfgemeinschaft“ in Gefahr. Bei
       allen Problemen des Platzes, das Miteinander der Bewohner und
       Gewerbetreibenden, so unterschiedlich sie auch sind, funktioniere gut –
       „auch wenn es manchmal eine hohe Toleranzschwelle braucht“, wie Harty sagt.
       
       ## Laut sein für die Heimat
       
       „Wir müssen jetzt alle zusammenhalten“, flüstert eine ältere Deutsche ihrem
       türkischen Nachbarn zu. Wie 50 weitere Mieter und Gewerbetreibende sind sie
       am Dienstagabend in die Vierte Welt gekommen, einem Kunstraum auf der
       Galerie im ersten Stock – zur ersten Bewohnerversammlung, mit der der
       Mieterrat über die Verkaufspläne informiert.
       
       Ercan Yasaroglu, Betreiber des Café Kotti, übersetzt die Infos über
       Milieuschutz, Vorkaufsrecht und Mietobergrenzen im sozialen Wohnungsbau ins
       Türkische. Als die anschließende Diskussion über Gegenwehr, die erste Demo
       am kommenden Samstag und Transparente am Haus nicht so richtig in Schwung
       kommt, ist er es, der den Widerstandsgeist hochhält: „Wir werden nicht
       leise sein, sondern laut. Das ist unsere Heimat.“
       
       31 Mar 2017
       
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