# taz.de -- Türkische Band Baba Zula: „Die Welt ist dystopisch genug“
       
       > Baba Zula aus Istanbul feiert 20-jähriges Bestehen. Bandgründer Murat
       > Ertel über „No“-Kampagnen, Aslı Erdoğan und das Jubiläumsalbum „XX“.
       
 (IMG) Bild: Nicht nur brillentechnisch ihrer Zeit voraus: Baba Zula. Murat Ertel ist ganz rechts im Bild
       
       taz: Murat, Sie haben gerade ein „20 Jahre Baba Zula“-Jubiläumsalbum
       veröffentlicht – wird es auch in der Türkei erscheinen? 
       
       Murat Ertel: Bislang will es in der Türkei niemand veröffentlichen. Falls
       jemand fragt, werden wir darüber nachdenken. Wir legen es aber gerade auch
       nicht darauf an, solange der Staat und seine Gesetze in solch ungewissem
       Zustand sind. Wer weiß, vielleicht findet irgendjemand Songs oder das
       Artwork beleidigend. Wir wollen eigentlich warten, bis der Ausnahmezustand
       beendet ist.
       
       Sie haben einen Song namens „Özgür Ruh“, was so viel wie Freigeist
       bedeutet. Wie ist es derzeit, als Freigeist in Istanbul zu leben? 
       
       Die Idee des Songs ist es, seinen freien Geist zu bewahren – egal, wie die
       Bedingungen sind. Ob man im Gefängnis ist, ob man Sex hat oder ob man
       gerade ein wissenschaftliches Experiment durchführst: dass du deine
       geistige Freiheit schützt, ist das allerwichtigste.
       
       Wie sehr ist die Musikszene aktuell in Istanbul bedroht? 
       
       Was das Musikalische betrifft, kann man eigentlich machen, was man will –
       wenn man es nicht darauf anlegt, reich und berühmt zu werden. Aber was die
       Songtexte betrifft, muss man vorsichtig sein, was man sagt. Für Interviews
       gilt dasselbe. Man kann wegen eines Retweets oder Facebook-Posts verhaftet
       werden.
       
       Ich nehme an, in der Türkei sind Baba Zula um einiges bekannter als hier.
       Müssen Sie nun auf jeden Ihrer Schritte achtgeben? 
       
       Wir sind auch in der Türkei nicht gerade berühmt. Wenn man in der Türkei
       bekannt werden will, muss man in Fernsehshows auftreten – das tun wir
       nicht.
       
       Sind Sie gefragt worden? 
       
       Ja, sie haben uns gefragt, ob wir Playback auftreten wollten, das haben wir
       abgelehnt. Viele unserer Songs sind seit vielen Jahren – noch vor der Zeit
       der AKP-Regierung – für Radio und Fernsehen verboten. Natürlich gibt es
       einige Radiostationen, die uns spielen, aber die sind unbedeutend. Wir
       können die Leute daher nur über Mund-zu-Mund-Propaganda erreichen. Oder
       aber Medien werden auf uns aufmerksam.
       
       Wie kommen diese Ausschlusslisten zustande und welches waren die Gründe
       dafür? 
       
       Ich verstand es selbst nicht. Also rief ich bei der Radio- und
       TV-Kommission an. Ich sprach mit einer Frau, und sie sagte: „Wegen Ihrer
       Musik ist es nicht“. Ich fragte sie, ob es wegen unserer Texte sei, und sie
       sagte: „Könnte sein.“ Wir singen nicht über Liebe wie 90 Prozent der
       Musiker in der Türkei es tun. Das gefällt den Behörden natürlich, sich
       nicht mit ernsthaften Themen auseinanderzusetzen. Wir tun das aber. Unsere
       Songtexte thematisieren zum Beispiel Frauenrechte oder Tierrechte. Wir
       wollen Leute in positiver Art und Weise zusammenbringen und die Grenzen von
       Sprache, Geschlecht und Religion aufbrechen. Das stört viele. Über Frieden
       zu sprechen ist gefährlich.
       
       Sie haben auch einen Song über die inhaftierten Journalisten in der Türkei
       geschrieben, oder? 
       
       Aus meiner Familie waren einige betroffen. Über sie habe ich Songs
       geschrieben. Mit manchen bin ich also tatsächlich befreundet oder verwandt,
       das macht es um so schlimmer. Die Leute werden in Haft übel behandelt, Aslı
       Erdoğan sagte in einem Interview nach ihrer Entlassung, man habe ihr
       mehrere Tage nicht mal Wasser gegeben. Eine andere Sache: Gefangene haben
       heimlich einige Pflanzen hochgezogen, und als die Aufseher das bemerkt
       haben, haben sie sie zerstört und dabei gelacht. Das alles ist nicht
       menschlich. Ich meine, Pflanzen und Wasser, come on!
       
       Erdoğan ist nicht mehr weit von der von ihm gewollten Verfassungsänderung
       entfernt. Inwiefern ist Protest dagegen in Istanbul möglich? 
       
       Es gibt „Nein“-Kampagnen im Vorfeld des Referendums, auch viele Künstler,
       Fanclubs von Fußballvereinen haben solche Initiativen gestartet. Wir wollen
       Demokratie, Gesetze, Gleichheit, ein Minimum an Menschenrechten. Aber nicht
       nur mein Land kollabiert. Mein Land hat Probleme, aber Ihr Land hat genauso
       Probleme. Die Naturkatastrophen werden gewaltiger, es kann jederzeit alles
       passieren. Wir sollten uns grenzenübergreifend zusammentun. Kunst kann die
       Welt verändern, aber dieser Wandel geht ziemlich langsam voran. Außerdem
       ist die Kunst ziemlich dystopisch im Moment. Die Welt ist dystopisch genug,
       für die Zukunft brauchen wir neue Utopien.
       
       Sie haben kürzlich gesagt, Sie wüssten nicht, wie die Zukunft von Baba Zula
       aussieht. Wie meinten Sie das? 
       
       Es gibt immer wieder Probleme. Zum Beispiel haben die deutschen Behörden
       zweien unserer Mitglieder zunächst keine Visa gegeben. Ohne Visum können
       wir nicht kommen. Oder, anderes Beispiel: In der Silvesternacht haben wir
       in einem Club in Istanbul gespielt. Jeder hat schon geahnt, dass etwas
       passiert. Der Typ mit dem Maschinengewehr ist nur zufällig in einen anderen
       Club marschiert. Man weiß nie, was passiert. Wir haben jetzt noch diese
       Europatour und eine Australien-Tour – es könnte sein, dass es die letzte
       ist.
       
       Haben die Bandmitglieder denn inzwischen ein Visum (das Gespräch fand am
       vergangenen Mittwoch statt, Anm. d. Red)? 
       
       Bis jetzt noch nicht. Wir haben einen Anwalt eingeschaltet und ihnen noch
       mehr Dokumente eingereicht. Wenn etwas verdächtig ist, kann man denjenigen
       fragen, aber wenn ein Typ von Baba Zula seit 20 Jahren Musik macht, ist
       dieses Vorgehen sehr unverständlich.
       
       Rock und Psychedelic Rock hatte vor allem in den 60ern und 70ern eine große
       Tradition in der Türkei. Haben Sie aus dieser Zeit Vorbilder und Helden? 
       
       Sicher! Als allererstes Selda Bağcan, sie hat eine unglaublich tolle
       Stimme. Aber aus dieser Zeit habe ich viele Helden, Barış Manço etwa und
       viele mehr. Diese Musiker haben traditionellen Folk mit modernen westlichen
       Instrumenten neuinterpretiert. Wir sind beeinflusst von ihnen, aber wir
       kopieren sie nicht. Unsere Instrumentierung ist anders, wir spielen mit
       elektrischer Saz, elektrischer Oud, Daluka, türkische Percussion und
       Samplern.
       
       Man kennt Sie in Deutschland vom Soundtrack zum Fatih-Akin-Film “Crossing
       The Bridge“. Sind Sie noch in Kontakt mit ihm? 
       
       Er kommt immer zu unseren Konzerten, wenn wir in Hamburg spielen. Wir sind
       sowohl mit Alexander Hacke, mit dem wir zusammengearbeitet haben, als auch
       mit Fatih Akin in gutem Kontakt. Ich kannte ihn damals gar nicht, aber ich
       fühlte mich von Beginn an mit ihm verbunden.
       
       Ist es gerade jetzt wichtig, ein internationales Netzwerk zu haben? 
       
       Mit Leuten zusammenzuspielen, die dich inspiriert haben, ist eine schöne
       Sache. Vielleicht ist das sogar meine Definition von Erfolg.
       
       7 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
       ## TAGS
       
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