# taz.de -- Der Berliner Anschlag und Anis Amri: Der Ex-Gefährder
       
       > Sechs Monate lang gab es keine Hinweise, dass Anis Amri eine
       > islamistische Gewalttat plant. Hätte man ihn trotzdem weiter überwachen
       > sollen?
       
 (IMG) Bild: Der Tatort in Mailand, an dem Anis Amri getötet wurde, wird gesichert
       
       Karlsruhe taz | Vom Ende her betrachtet fällt die Schlussfolgerung leicht:
       Der Tunesier Anis Amri hat am 21. Dezember in Berlin zwölf Menschen
       getötet. Zuvor war er von den Behörden als „Gefährder“ eingestuft und
       überwacht worden. Also haben die Sicherheitsbehörden offensichtlich
       versagt. Aber so einfach ist es nicht.
       
       Anis Amri geriet Ende 2015 ins Blickfeld der Behörden, als er in
       Nordrhein-Westfalen zu einem islamistischen Kreis um den Prediger Abu Walaa
       stieß. Über das Innenleben dieses Kreises wusste das zuständige
       Landeskriminalamt gut Bescheid, weil es dort eine V-Person (einen Spitzel)
       platziert hatte. Im Zuge der Ermittlungen gegen Abu Walaa wurde auch das
       Telefon von Amri überwacht. Er galt dabei aber nicht als Beschuldigter,
       sondern nur als „Nachrichtenmittler“ für Abu Walaa.
       
       Ab dem 14. Februar 2016 wurde Amri vom LKA als Gefährder eingestuft. Als
       Amri von NRW nach Berlin zieht, ermittelt die dortige
       Generalstaatsanwaltschaft ab dem 14. März wegen Verabredung zu einem Mord.
       Es bestand der Verdacht, dass Amri einen Mann in Falkensee töten wollte, um
       an Geld für Waffen- und Sprengstoffkäufe zu kommen. Amri wurde daraufhin
       überwacht.
       
       Ein halbes Jahr später, am 21. September, beendet die Berliner Justiz die
       Überwachung. Der ursprüngliche Verdacht hatte sich nicht bestätigt,
       Kontakte zur Abu-Walaa-Gruppe konnten nicht mehr festgestellt werden, und
       auch sonst hatten sich nur Hinweise auf Kleinkriminalität im Drogenmilieu
       ergeben.
       
       Diesen Ablauf muss man im Blick behalten. Denn die Hinweise, dass Amri sehr
       gefährlich sein könnte, sind fast alle schon rund ein Jahr alt: Wohl im
       November 2015 erzählte Amri der LKA-V-Person, dass er sich Sprengstoff und
       eine Kalaschnikow besorgen will, um etwas in Deutschland zu „unternehmen“.
       Kurz vor Weihnachten 2015 informierte sich Amri im Internet über den Bau
       von Rohrbomben und Sprengstoffherstellung.
       
       ## Düstere Behördeneinschätzungen
       
       Anfang Februar 2012 versuchte Amri Kontakt zu IS-Kämpfern aufzunehmen. Die
       Behördeneinschätzungen aus dieser Zeit klingen entsprechend düster. Das
       Bundesamt für Verfassungsschutz hält im Januar 2016 fest, dass Amri durch
       Deutschland reise und offensiv bei Islamisten um Mittäter für Anschläge
       werbe.
       
       Das Düsseldorfer LKA schreibt im Februar, „zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ sei
       davon auszugehen, „dass Amri seine Anschlagsplanungen ausdauernd und
       langfristig verfolgen wird“. Anschließend wurde Amri sechs Monate lang
       genauer überwacht.
       
       Die Behörden, die im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ)
       zusammenarbeiten, haben die Hinweise also angemessen ernst genommen. Was
       aber sollten die Behörden tun, wenn sich während sechsmonatiger Überwachung
       keine weiteren Hinweise auf islamistisch motivierte Straftaten mehr
       ergeben? Hätten sie auch ohne konkreten Verdacht im September einfach
       weiter überwachen sollen (nach dem Motto: „Wenn wir nichts finden, muss er
       besonders gefährlich sein“?). Eine solche Haltung wäre nicht nur
       rechtsstaatlich bedenklich, sondern würde auch zu einer
       Ressourcenverschwendung führen.
       
       Wenn aber die Bewertung der Überwachungsergebnisse im September 2016
       nachvollziehbar ist, so stellen sich doch Fragen bezüglich der Qualität der
       sechsmonatigen Überwachung zuvor: Haben die Berliner Beamten geschlampt?
       War die Berliner Überwachung zu oberflächlich angelegt? Hat man Amri bei
       seinen Reisen durch Deutschland zu oft aus den Augen verloren? Oder hat
       Amri erst im Herbst seine Anschlagspläne wieder aufgenommen?
       
       Und es gab noch die Warnung des marokkanischen Geheimdienstes DST, der am
       19. September und 21. Oktober auf Amri hinwies; dieser plane einen Anschlag
       in Deutschland. Hatte der marokkanische Geheimdienst neuere Erkenntnisse,
       oder bezog er sich nur auf die bekannten Verdachtsmomente aus dem Frühjahr?
       
       Noch steht die Analyse erst am Anfang.
       
       5 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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