# taz.de -- Verfassungsschutz und NSU: Das Rätsel Andreas Temme
       
       > Die Rolle des Verfassungsschützers wird dubioser. Er führte mehr V-Leute
       > als bekannt – trotz Mordverdacht sollte er früh in den Dienst zurück.
       
 (IMG) Bild: Was tat Andreas Temme?
       
       Wiesbaden/Berlin taz | An viel erinnert sich Heinrich Sievers nicht mehr.
       Aber dass ein Verfassungsschützer an einem Mordtatort war, das sei
       „einmalig“, sagt der 72-Jährige, einst Referatsleiter im
       Landesinnenministerium, am Montag im NSU-Untersuchungsausschuss Hessen.
       Selbst wenn es Zufall war: „Ein solcher Mann ist als Mitarbeiter des
       Verfassungsschutzes nicht länger tragbar.“
       
       Nun gerät dieser Verfassungsschützer wieder in den Fokus: Andreas Temme. Im
       April 2006 wurde Halit Yozgat in seinem Internetcafé erschossen. Es war der
       neunte Mord des rechtsterroristischen NSU. Temme war vor Ort, meldete sich
       als einziger nicht als Zeuge und behauptet bis heute, nichts von dem Mord
       mitbekommen zu haben.
       
       Noch eine Stunde vor der Tat aber telefonierte der Geheimdienstler elf
       Minuten lang mit dem rechten V-Mann Benjamin G. Und, so wird nun bekannt:
       Temme war noch an der Führung von mindestens einem weiteren Neonazi-Spitzel
       beteiligt. Bisher hieß es, der Verfassungsschützer habe neben G. nur fünf
       V-Leute unter Islamisten betreut. Wusste Temme mehr über die Tat als er
       zugibt?
       
       Den hessischen NSU-Ausschuss interessiert am Montag auch, warum die
       Behörden mit Temme nach dem Mord so pfleglich umgingen – obwohl dieser
       anfangs gar als tatverdächtig galt. Offenbar gab es schon im Juli 2006
       Bestrebungen, Temme im Verfassungsschutz zu reaktivieren. Der linke
       Abgeordnete Hermann Schaus zitiert aus einem abgehörten Telefongespräch
       zwischen Temme und einem Vorgesetzten aus dem Landesamt vom 7. Juli. Da
       wird ein Treffen für den 12. Juli in Wiesbaden vereinbart: Temme soll die
       „Ermächtigung“ für den Geheimschutz zurückerhalten, also seinen Dienst
       wieder aufnehmen können. Als wäre nichts gewesen.
       
       ## Wahrheitswidriger Eindruck
       
       Doch die Operation „Reaktivierung“ muss abgeblasen werden. Am 6. Juli wird
       intern bekannt, dass die Bild von dem Tatverdacht gegen Temme erfahren hat.
       Am 13. Juli erscheint die Geschichte. Bereits am nächsten Tag kommt es im
       Innenministerium zu einer Besprechung, Minister Volker Bouffier (CDU) und
       der Verfassungsschutzdirektor sind dabei. Sie versetzen Temme in den
       Landesdienst außerhalb des Verfassungsschutzes.
       
       Am 17. Juli berichtet Bouffier, heute Ministerpräsident, erstmals den
       Abgeordneten von dem Vorgang. Er erweckt – wahrheitswidrig – den Eindruck,
       er habe erst aus der Zeitung davon erfahren. Zu dem Verdacht gegen Temme
       sagt er: „Der Mann ist unschuldig“, und greift Polizei und
       Staatsanwaltschaft damit vor.
       
       Dem Ausschuss geht es auch darum, warum der Verfassungsschutz eine
       Vernehmung von Temmes V-Leuten damals ablehnte. Der seinerzeit zuständige
       Abteilungsleiter, Wolfgang Hannappel, begründet, dass Temme zum damaligen
       Zeitpunkt nicht mehr dringend tatverdächtig gewesen sei. Deshalb sei der
       Schutz der V-Leute, vor allem aus der islamistischen Szene, wichtiger
       gewesen.
       
       Den Abgeordneten reicht das nicht. Auch im Bundestag soll Temme nun noch
       einmal Thema werden, im dortigen NSU-Ausschuss. „Seine Rolle wird zunehmend
       unklarer“, kritisiert die dortige Grünen-Obfrau Irene Mihalic. Sie forderte
       von den Behörden „detaillierte Informationen“ ein. Auch müsse Temme als
       Zeuge vor den Ausschuss geladen werden.
       
       19 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christoph Schmidt-Lunau
       
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