# taz.de -- Umstrittene Praxis: Hamburg schiebt wieder nach Afghanistan ab
       
       > Fereidun Sadigi kam mit neun aus Afghanistan nach Deutschland und sollte
       > am jetzt nach Kabul zurück. Die erste Massenabschiebung seit Jahren fand
       > ohne ihn statt
       
 (IMG) Bild: Unsicheres Land: Soldaten brauchen in Afghanistan sehr viel Nato-Draht
       
       HAMBURG taz | Nach dem jahrelangen Abschiebestopp beteiligt Hamburg sich
       jetzt wieder an Massenabschiebungen nach Afghanistan: Mittwochnacht wurde
       der 35-jährige Fereidun Sadigi in seiner Hamburger Wohnung festgenommen und
       nach Frankfurt gebracht. Noch am selben Tag sollte er von dort abgeschoben
       werden. Nachdem die Menschenrechtsorganisationen Pro Asyl und
       Flüchtlingsräte auf den Fall aufmerksam machten und MedienvertreterInnen
       bei den Behörden nachfragten, wurde die Abschiebung Sadigis im letzten
       Moment gestoppt. Nicht aber die Massenabschiebung: Die Chartermaschine nach
       Kabul mit 50 AfghanInnen an Bord sollte starten.
       
       Angeblich hätten gesundheitliche Gründe den Ausschlag für Sadigis Rettung
       gegeben, sagte seine Schwester Sanita Sadeqie der taz. Sadigi muss
       dauerhaft Medikamente nehmen. 21 Jahre lebte er mit einer Duldung in
       Hamburg, war seitdem nicht mehr in Afghanistan. Er arbeitet seit einigen
       Monaten in Vollzeit, ist verheiratet und hat ein drei Monate altes Baby.
       Seine ganze Familie lebt in Hamburg.
       
       Sanita Sadeqie schilderte die Festnahme ihres Bruders wie einen Überfall:
       Um zwei Uhr morgens sei die Familie aus dem Schlaf gerissen worden, 16
       PolizistInnen hätten in ihrem Treppenhaus gestanden und Sturm geklingelt.
       Im Dunkeln hätten die BeamtInnen gebrüllt: „Polizei, aufmachen!“, und
       mehrmals gegen die Tür getreten. Als Sadeqie öffnete, seien die BeamtInnen
       an ihr vorbei gestürmt, hätten ihre Mutter in einen Sessel geschubst und
       Fereidun Sadigi festgenommen. „Wir durften nicht mit ihm reden, sie sagten
       uns nicht, wo sie ihn hinbringen“, sagt Sanita Sadeqie. „Wie einen
       Schwerverbrecher haben sie ihn abgeführt.“
       
       Damit ist Realität geworden, was viele AfghanInnen seit einigen Wochen
       befürchteten: Im Gegensatz zu den meisten Bundesländern setzt Hamburg eine
       Richtlinie des Bundesinnenministeriums um und schiebt Geflüchtete in das
       Kriegsland ab. Erst am Montag war der Fall eines afghanischen Hindus
       bekannt geworden, der nach Hamburg floh, weil er in Afghanistan wegen
       seiner Religion verfolgt wurde. Auch er soll gestern Abend in dem Flugzeug
       nach Kabul gesessen haben.
       
       Anfang Oktober wurde mit Afghanistan ein Rücknahmeabkommen vereinbart, das
       auch Deutschland Abschiebungen erleichtern soll. Die Umsetzung liegt bei
       den Ländern. Niedersachsen und Schleswig-Holstein machen nicht mit. Zwar
       sei bei abgelehnten Asylbewerbern auch die Abschiebung nach Afghanistan der
       rechtmäßige Weg, erklärte der Sprecher des Schleswig-Holsteinischen
       Innenministeriums Patrick Tiede. „Aber es gilt der Grundsatz: Nur in
       Sicherheit und Würde.“ Das sei für AfghanInnen nicht unbedingt
       gewährleistet – es bedürfe einer genaueren Einschätzung der Lage vor Ort.
       Die soll es noch dieses Jahr geben, das habe Bundesinnenminister Thomas de
       Mazière (CDU) versprochen.
       
       „Bis zur endgültigen Klärung wird auch Niedersachsen zunächst in
       Ausnahmefällen insbesondere Straftäter für eine Rückführung vorsehen“,
       sagte der Sprecher des Niedersächsischen Innenministeriums Matthias
       Eichler. Brandenburg, Bremen, Berlin, Rheinland-Pfalz und Thüringen sehen
       das ähnlich. Bayern und Hamburg nicht: „Es gibt es einen Beschluss der
       Innenministerkonferenz, dem Hamburg entsprechend folgt“, sagte der Sprecher
       der Innenbehörde Frank Reschreiter.
       
       Zu Fereidun Sadigi sagte ein Sprecher der Ausländerbehörde, es werde jetzt
       intern geprüft, was sich in der Nacht ereignet habe. Gängig sei die Praxis,
       wie die Schwester des Betroffenen sie beschreibt, nicht – aber im
       Einzelfall komme man um solche Maßnahmen nicht herum.
       
       Es sei alles sehr hektisch gewesen, sagte die flüchtlingspolitische
       Sprecherin der Grünenfraktion Antja Möller. Auf die Frage, warum sich
       gerade Hamburg, wo die Grünen mitregieren, überhaupt durch einen so harten
       Kurs hervortue, antwortete sie ausweichend. Die Sammelabschiebung nannte
       sie „aktionistische Symbolpolitik und die Vorbereitung durch das
       Bundesinnenministerium miserabel“. Die Linksfraktion protestierte am
       Nachmittag in der Bürgerschaft gegen die Sammelabschiebung mit Schildern
       und flog daraufhin aus dem Saal.
       
       14 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Schipkowski
       
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