# taz.de -- Queere Ausstellung in Paris: Zwei Hermaphroditen mit Flügeln
       
       > Die Werke der Berliner Zwillinge Eva & Adele passen perfekt zu den
       > Pariser Kämpfen um mehr sexuelle Vielfalt. Live wirken sie aber besser.
       
 (IMG) Bild: Immer perfekt gestylt: Eva & Adele
       
       Würde der Papst in den kommenden paar Monaten, irgendwann zwischen heute
       und Ende Februar, einen Besuch in das Musée d’Art Moderne de la Ville de
       Paris wagen, er wäre sicher empört. Da machte er sich vor ein paar Wochen
       die Mühe, sich öffentlich gegen das französische Schulsystem auszusprechen,
       das angeblich, anarchisch wie es bekanntlich ist, sehr aktiv eine höchst
       gefährliche Theorie verbreitet, nämlich die Gendertheorie, und vergisst
       dabei, dass die Museen in der Relativierung der ganzen
       Mann-Frau-Geschlechts-Debatten noch viel radikaler vorgehen.
       
       Es ist fast ein bisschen komisch. Denn während vor zwei Wochen eine
       wiederauferstandene Gruppe von „Manif pour tous“-Anhängern über den
       Trocadero stampfte, um Frankreich vor den Gefahren der
       gleichgeschlechtlichen Ehe und Elternschaft zu warnen, konnte man nur ein
       paar hundert Meter weiter im Untergeschoss des Musée d’Art Moderne sehen,
       was es bedeuten kann, wenn Männlichkeit und Weiblichkeit keine Rolle mehr
       spielt: Eva & Adele, die selbst ernannten hermaphroditischen Zwillinge aus
       Berlin, sind zu Besuch in Paris und könnten gesellschaftspolitisch in keine
       bessere Zeit fallen.
       
       Vernissage-, Museumseröffnung- und Kunstmesse-Gängern sind die Damen und
       Herren, die Zwitterwesen der Geschlechtlichkeit, zwangsläufig ein Begriff.
       Es gibt kaum ein bedeutendes Kunstevent, auf dem das ungleiche Paar nicht
       lächelnd im Partnerlook mit ihren kahlen Köpfen, den grotesk geschminkten
       Gesichtern und den knalligen, meist pinken Kostümen aus Plastik oder mit
       Flügeln oder sonstigen skurrilen Accessoires erscheinen. Sie gehören dazu,
       sind Teil der Veranstaltung, und auch wenn es natürlich viele solcher
       Gestalten gibt, Eva & Adele sind fraglos die bekanntesten von ihnen, sie
       bleiben im Gedächtnis. Sie sind, so heißt es hier in Paris, eben anders.
       
       Sie sind nicht nur zwei exzentrische, geschlechtslose Kunstfiguren, sie
       haben eine Message. Freiheit, Spaß und Freude, könnte eine solche Botschaft
       lauten, suggeriert Fabrice Hergott, der Direktor des Museums, in seinem
       Vorwort zum Katalog. Eine Reflexion über Geschlechtlichkeit, Identität, den
       Anderen, der eigentlich Ich ist und so weiter, wäre eine andere Option.
       Oder, dass „queer“ schon lange vor Caitlyn Jenner in der Kunst
       durchexerziert wurde, und zwar nicht nur zu Claude Cahuns Zeiten und auch
       nicht nur filmisch wie bei Mathew Barney sondern ganz echt und live im
       realen Leben von heute.
       
       ## Ein Kostüm für jeden Anlass
       
       Man kann sehr viele gute Ansätze finden um zu erklären, was Eva & Adele
       dort tun, so wirklich einleuchten mag einem das nicht, weshalb man sich
       schnell auf die Details konzentriert. Etwa im ersten kleinen Raum, in dem
       neben einem rosafarbenen Van die Wände mit Abbildungen der diversen Kostüme
       des Paars tapeziert wurden und man in ihre sehr minutiös detaillierten
       Bekleidungskalender blicken kann: Dort erfährt man zum Beispiel, welche
       Unterwäsche sie während der Art Basel Miami Beach 2015 zum Flanieren trugen
       (schwarzer Wonderbra, schwarzes Höschen, Champagner-Straps) und welches
       Kleid zur Documenta 13 (Spitzen-Bordüren-Kleid). Während einer
       Einzelausstellung im Museum Mocak in Krakau, so erfährt man, trugen sie zum
       Interview einen rosa gestreiften Nerzmantel und zu ihrem von dort aus
       angetretenen Ausflug nach Auschwitz einen schwarzen Nerzpelzmantel, rosa
       Baumwoll-Seiden-Pulli und einen schwarzen Springfaltenrock. Hier, also bei
       Auschwitz, kommt ein irritierender Aspekt dieser Ausstellung zutage, der
       sicher so nicht intendiert war und weder mit Geschlechtlichkeit noch mit
       Freiheit oder Freude zu tun hat.
       
       Denn diese tatsächlich amüsanten Beschreibungen der Garderobe des Paares
       rahmen den Eingang zum Christian-Boltanski-Kabinett. Boltanski, dessen Werk
       sich seit jeher dem Erinnern verschrieben hat, gedenkt in diesen zwei
       Räumen, in denen sich erst Pullis und Hosen stapeln und dann ein paar
       dunkle Porträts aneinanderreihen, der während des Nationalsozialismus in
       Konzentrationslagern umgekommenen Kinder. Hier Kleidung, dort Kleidung,
       hier Gesichter, dort Gesichter, hier kahle, krank aussehende Mann-Frauen,
       dort Kindergesichter, die sich in der Dunkelheit entziehen: War das
       Absicht? Ist das ein Versehen?
       
       Die beiden Werke treten in einen leicht verstörenden, dissonanten Dialog,
       zumal die Berliner Hermaphroditen, wenn man vom vielen Rosa und Edith Piafs
       „Je ne regrette rien“-Gesang einmal absieht, durchaus nicht nur
       Lebensfreude versprühen. Im Gegenteil: Die Videos im letzten der drei
       kleinen Räume sind kalt und düster. Dort läuft Adele (die kleinere der
       beiden) mit ihrem kahlen weißen Kopf über einen kahlen Acker oder nackt
       durch ein ruinenartiges Gebäude, sie macht nackt ein Feuer bei dem sie
       einen Haufen Schuhe verbrennt und tanzt in einer leergefegten Landschaft
       durch den heraufsteigenden Rauch. Es mag sein, dass die Nähe zu Boltanski
       und die Konzentrationslagerassoziation dem kahlköpfigen Paar unrecht tut,
       es mag sein, dass dies alles nur ein dummer Zufall ist und hier tatsächlich
       ein Lob auf die Freiheit zu sein scheint, zu leben, wie man es möchte, ob
       mit Penis oder Vagina oder beidem oder gar nichts. Nur kommt diese
       Botschaft hier im Untergeschoss der Pariser Institution sehr schief und
       erstickt rüber. Lebendige Kunstfiguren strahlen live einfach besser.
       
       6 Nov 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Annabelle Hirsch
       
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