# taz.de -- CSD in Berlin: Die Parade als politisches Statement
       
       > Unter dem Motto „Danke für Nix“ ziehen Hundertausende durch Berlin. Es
       > steht nicht die Party im Vordergrund, sondern die Politik.
       
 (IMG) Bild: Politik auf dem CSD: eine Person mit Erdogan-Maske am Samstag in Berlin
       
       Berlin taz | Vorne Demo, hinten Love-Parade – so war der CSD-Umzug in
       Berlin am Samstag. Bis zu 750.000 Menschen, viel Haut, wenig Latex,
       tanzend, schauend, mit Engelsflügeln, mit Federboa, farbig, aufgedreht,
       sich freuend an sich, an den anderen. Vom Kurfürstendamm zum Brandenburger
       Tor zogen sie.
       
       Manche unter ihnen waren auch nachdenklich – vor allem ganz vorne, am
       Anfang des Demonstrationszuges. Dort wurde der Opfer des Terroranschlags in
       Orlando, Florida, gedacht. Fotos der meist homosexuellen 49 Menschen, die
       dabei ums Leben kamen, wurden getragen. „Imagine all the people“, lief über
       die Lautsprecher. In dem Beatles-Lied stellt sich John Lennon eine Welt
       ohne Grenzen, ohne Religionen, ohne Gier – und deshalb ohne Krieg – vor.
       Von den unzähligen Menschen auf den Bürgersteigen, die die Parade an sich
       vorbei ziehen ließen, gab es spontanen Applaus.
       
       Auch die riesige Flaggencollage, mit den Fahnen von 70 Ländern, die
       dahinter von zwei Dutzend Leuten getragen wurde, ging unter die Haut.
       Aneinander genäht sind die Fahnen all jener Länder, in denen alle, die
       nicht ins heterosexuelle Muster passen bzw. dort verfolgt werden. In sieben
       Ländern davon steht die Todesstrafe auf praktizierter sexueller Abweichung,
       wie die Aktivist*innen auf dem CSD-Wagen davor immer wieder erklärten. Die
       Demo war eine Plattform für einige, die in den siebzig Ländern leben – eine
       russische Gruppe lief mit, eine syrische, Leute aus afrikanischen Ländern.
       Selbst die EU-Flagge, die geschwenkt wurde, rührte an, weil sie deutlich
       macht, dass es etwas zu verlieren gibt.
       
       „Danke für Nix“, hieß das Motto des diesjährigen Christopher Street Day.
       Soll heißen, all diese Siege, die die Homo-, Bi- und Transsexuellen in
       Deutschland erkämpft haben, machen sie immer noch nicht zu
       Gleichberechtigten. Die Verpartnerung etwa sei keine Ehe, sondern ein extra
       für Nicht-Hetereosexuelle erfundenes Konstrukt, das einem Verein zwischen
       zwei Menschen gleich komme, sagte ein Redner auf dem CSD-Wagen, der den Zug
       anführte. Auch die beiden Männer, Lufthansaangestellte, die mit ihrem
       viermonatigen Pflegekind da waren, wussten um Diskriminierung. „Adoption
       ist nicht möglich.“
       
       ## Alles ist anders
       
       Aber dass dieses „Nix“ doch etwas ist, das sagten trotzdem viele, die die
       ganze Strecke vom Zentrum des ehemaligen Westberlin ins Zentrum des
       ehemaligen Ostberlin liefen. „Ich bin so froh, dass ich mich in Deutschland
       zeigen kann, wie ich bin“, meinte ein Schwuler aus Stuttgart. „Dass die AFD
       Wahlwerbung macht mit Schwulen gegen Muslime, das schockiert“, sagte eine
       Berlinerin. „Wir müssen den Leuten die Angst nehmen, die sie anfällig
       macht, für solches Denken“. Zwei Touristinnen aus Gent meinten: „Berlin ist
       eine wunderbar offene Stadt. Ich hoffe, ihr könnt das verteidigen.“ Und
       dann immer wieder die Frage: Ob etwas die Leute in diesem Jahr besonders
       auf den CSD treibt. „Ja“, sagt ein Frau, die mit ihren Freundinnen am
       Straßenrand im Tiergarten steht, „die letzten Jahre sind wir nicht mehr
       gekommen, der CSD war nur noch Selbstbeschäftigung, Selbstbeweihräucherung,
       Party. Dieses Jahr, mit Nizza, mit Paris, mit Orlando, mit Istanbul,
       Syrien, Griechenland, München ist der CSD ein Statement.“ Alles sei anders.
       Jetzt sei es wichtig, da zu sein.
       
       Zwei Männer, seit 37 Jahren ein Paar und 1984 zum ersten Mal auf dem CSD,
       sind jedes Jahr da gewesen. „Es geht doch“, sagt einer, „beim CSD nicht nur
       um sexuelle Orientierung. Es geht auch um Identität und Liebe.“ In diesem
       Jahr spüren sie sehr, dass es wichtig ist. Einer von ihnen arbeitet an der
       Paula-Fürst-Schule. Das istdie Schule, zu der die Lehrerin und die zwei
       Schülerinnen gingen, die beim Anschlag in Nizza ums Leben kamen. An so
       vielen Ecken sei die Demokratie in Gefahr. Und wie schnell würden wieder
       Sündenböcke gesucht: „Muslime, Schwarze, Schwule, Nicht-Muslime, Ach.“ Was
       gesellschaftlich erkämpft wurde, sei doch nicht für die Ewigkeit, „es muss
       verteidigt werden.“
       
       ## Parteien und Botschaften mit Lkw präsent
       
       Und so ziehen die leisen Gruppen von der Aktion Sühnezeichen über
       Fußballfans gegen Homophobie, der Aidshilfe und vielen kleinen
       schwul-lesbisch-trans-Vereinen vorne weg. Und dahinter kommen die 30 lauten
       Wagen, auf denen die Bässe wummern, auf denen getanzt, hinter denen
       getanzt, neben denen getanzt wird. Die Parteien schicken Lkw auf die Piste,
       diverse Botschaften auch – aus Mexiko, den Niederlanden, Slowenien, den
       USA. Auch Tel Aviv hat einen Truck, um für sich zu werben. Die BVG ist
       dabei, die Gewerkschaften, der Springer-Konzern, Siemens, SAP, die Deutsche
       Bank, Mercedes-Benz. Sie schreiben „Diversity“ auf die Laster und „thank
       you for nothing, thank you for everything.“ Wohl wahr. „Man wird sie fragen
       müssen, was sie dafür tun, dass Diversity auch in jenen Ländern möglich
       ist, wo sie Geschäfte machen. Wo aber die, die nicht heterosexuell sind,
       mit Verfolgung rechnen müssen“, sagt eine Frau, die sich auf den Rasen vor
       der Siegessäule gesetzt hat und den Partyteil an sich vorbei ziehen lässt.
       
       „Liebe darf nicht strafbar sein“, schreit ein Flaschensammler, nur Dosen
       und Plastik nimmt er, in sein mitgebrachtes Megaphon.
       
       24 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Waltraud Schwab
       
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