# taz.de -- Mangakunst in Hamburg: Ahnengeister der Popkultur
       
       > Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt japanische Holzschnitte. Die
       > zeigen viele Parallelen zu modernen Phänomenen, sind aber nicht gleich
       > Comics.
       
 (IMG) Bild: Frauen im Mangafilm „Miss Hokusai“.
       
       Hamburg taz | Selbst wenn dieser Holzschnitt eigens als Pointe für diese
       Ausstellung gekauft worden sein sollte – besser hätte Hamburgs Museum für
       Kunst und Gewerbe (MKG) sein Geld kaum anlegen können: Japanische Ungeheuer
       zeigt das Bild, „yōkai“ genannt; ein gehörnter grüner Dämon, Tiermenschen,
       ein Tintenfisch. Mit ihnen streitet ein Samurai mit Oberlippenbart, dessen
       Rikscha ein schmächtiges Männlein mit weißem Hut und roten Punkten zieht.
       Es dürfte wohl vor allem am Alter des Betrachters liegen, wie schnell er in
       der Szene Nintendos Rennvideospiel-Serie „Super Mario Cart“ erkennt.
       
       Dabei unterscheidet sich die Grafik [1][äußerlich und in ihrer Herstellung
       kaum von den historischen Schnitten der Ausstellung „Hokusai x Manga“]: Der
       Holzblock wurde auf traditionelle Weise bearbeitet, selbst das Papier für
       den Druck will man so wie vor 200 Jahren geschöpft haben. Unterhalten
       sollten auch die Motive der Edo-Zeit schon, als endlich Frieden herrschte
       und die städtische Kultur aufblühte – mit Theater, Literatur und, eben,
       Grafiken.
       
       Mit den Holzschnitten der Edo-Zeit wurde Kunst erstmals massenhaft zur
       Unterhaltung eines nicht-adligen Publikums vervielfältigt. Die von
       professionellen Verlegern herausgegebenen Einzelbögen wurden dann wenig
       später sogenannte „kibyōshi“: Bilderhefte, die sich auch ohne Panels und
       Sprechblasen durchaus als frühe Comics lesen lassen. Daraus soll der Manga
       entstanden sein, dann Anime, Cosplay, Computerspiele und so weiter.
       
       Im MKG könnte man also die Trommel schlagen: Comic! Schon ab 1680! Wenn
       auch eben beschränkt auf Japan. Und man hätte das meiste auch schon da: Die
       in der Tat bedeutende Sammlung japanischer Schnitte hat Museumsgründer
       Justus Brinckmann bereits in den erstens Jahren des Hauses angelegt.
       [2][Nun hängen die alten Schnitte zwischen Vitrinen voller Spielzeug],
       Zeichentrickfilmen in Dauerschleife und einigen Spielekonsolen – rund 200
       Exponate zählt die Ausstellung.
       
       Der große Aufschlag in Sachen Comic-Geschichte bleibt allerdings aus. Das
       Problem: So faszinierend die Ähnlichkeiten auch sein mögen, sind die
       Wurzeln im Holzschnitt eben doch nur die halbe Geschichte. Und der Rest
       taucht hier nicht auf, weil er nicht allein im Mikrokosmos Japan
       stattfindet, und weil Manga eben auch immer schon Comic war, also Teil
       einer weltweiten Entwicklung.
       
       Nach der Öffnung des abgeschotteten Staates waren es US-amerikanische
       Karikaturen, die japanische Zeichner beeinflussten – auch Sprechblasen und
       Panels wurden importiert. Und als der moderne Manga nach dem Zweiten
       Weltkrieg zu sich fand, hieß das große Vorbild des unbestrittenen
       Großmeisters Osamu Tezuka: Walt Disney.
       
       Interessant ist die Ergänzung der alten Sammlung um ihre Nachfolger
       trotzdem. Auch der auf Japan beschränkte Blick ist nachvollziehbar. Nur
       irritiert dann eben die Wahl der Künstler: So nimmt etwa Jirō Taniguchi
       viel Raum ein. Einerseits wohl, weil der kooperierende Carlsen-Verlag ihn
       prominent im Programm führt. Aber auch in der Logik der Ausstellung stehen
       seine entschleunigten Stadtspaziergänge für eine Rückkehr zum ersten Boom
       des Reisethemas um 1830. Mitsamt Naturkult um den Berg Fuji. So lässt sich
       Taniguchi auch ganz geschickt neben diese sich brechende blaue Welle von
       Katsushika Hokusai hängen – dem wohl bekanntesten japanischen Bild aller
       Zeiten.
       
       Doch Taniguchi ist vor allem ein europäischer Künstler, ist hier berühmter
       als dort und hat schon mit der französischen Comiclegende Moebius
       zusammengearbeitet: „Ikarus“ erscheint dieser Tage auf Deutsch.
       
       Die kuratorische Suche nach Ähnlichkeiten tut auch Keiji Nakazawas
       Meisterwerk „Barfuß durch Hiroshima“ unrecht, das vom Ende des zweiten
       Weltkriegs erzählt. In der Ausstellung hängen ein paar Seiten, die den
       Abwurf der Atombombe auf Hiroshima zeigen: schmelzende Menschen, überall
       Trümmer und ein brennendes Pferd. Es sind eben diese Seiten, über die Art
       Spiegelman einmal gesagt hat, dass er sie im Fieber gelesen habe, als er
       selbst gerade mit der Arbeit an der Holocaust-Erzählung „Maus“ begonnen
       hatte.
       
       Im Museum korrespondieren diese Seiten mit der historischen Darstellung
       eines Erdbebens Mitte des 19. Jahrhunderts. Zwar ist es beeindruckend, wie
       die Trümmer einander ähneln, jedoch inszeniert Nakazawa die Atombombe
       gerade nicht als Naturkatastrophe. Er betont vielmehr gerade die Rolle des
       japanischen Durchhalte-Patriotismus für den Krieg. Das war ein Tabubruch,
       der völlig übergangen wird von der äußeren Ähnlichkeit zweier gebrochener
       Dachstühle.
       
       Doch auch wenn die Leitfrage mitunter in die Irre führt: An anderer Stelle
       sind die Detailbeobachtungen großartig. Wo etwa herausgearbeitet wird, wie
       der Holzschnitt die Linienführung von Malerei und Kalligrafie nachahmt, um
       später wieder nachgezeichnet zu werden. Oder wie sich in Ornamenten
       Schriftzeichen verbergen – die Namen der verbotenerweise abgebildeten
       Kurtisanen und Schauspieler.
       
       Subversive Strategien also bereits in den allerersten Tagen der
       Massenkunst. Und das scheint tatsächlich in die Tradition eingegangen zu
       sein – da, wo es um das Geschlechterverhältnis geht. Der Manga „Lady Oscar“
       oder „Die Rosen von Versailles“ zeigte Anfang der 1970er-Jahre eine Frau in
       soldatischer Uniform mit Degen.
       
       Die Geschichte spielt kurz vor der französischen Revolution, die Nähe zu
       Marie Antoinette steigert sich mindestens bis zu homoerotischen
       Andeutungen. Bemerkenswert ist es schon, dass ausgerechnet im shōjo-Manga,
       bei Büchern also, ausdrücklich für Mädchen geschrieben und vermarktet,
       Verschiebungen im Geschlechterverhältnis auftun. Das zeigt die Ausstellung
       im Verbund mit dem heute populären „Boys Love“-Subgenre, das – wieder für
       Mädchen – von homosexuellen Jungs erzählt.
       
       Und Manga und Anime wurden nicht nur als Konsumartikel exportiert, sondern
       mitsamt der schon von Hokusai bekannten Zeichen-Lehrbücher – vor allem aber
       der Aneignungsstrategien. Das wäre auch eine Geschichte des Internets, wo
       heute etwa die „Fansub-Szene“ neue Episoden von Anime-Serien nach wenigen
       Stunden mit Untertiteln versieht.
       
       30 Jun 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=K4XU4wvB3ww
 (DIR) [2] http://hokusaixmanga.mkg-hamburg.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan-Paul Koopmann
       
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