# taz.de -- Sechs SyrerInnen im Porträt: Warten, arbeiten, zurückkehren?
       
       > Syrische Flüchtlinge berichten über ihren Alltag – heute und vor fünf
       > Jahren. Sie erzählen auch von ihren Träumen für die Zukunft.
       
 (IMG) Bild: Eine Gruppe von SyrerInnen protestiert in der Nähe von Damaskus. Wann und ob unsere GesprächspartnerInnen dorthin zurückkehren, ist unklar
       
       Der Psychologe: Alan Hassaf ist 31 Jahre alt und lebt in Genf 
       
       Wie hast du vor fünf Jahren gelebt? Im Jahr 2011 studierte ich Psychologie
       in Damaskus. Als der Arabische Frühling ausbrach, gründete ich mit anderen
       Aktivisten die Union der freien syrischen Studenten. Wir organisierten in
       ganz Syrien Studentenproteste und Demonstrationen. Im Dezember 2011 musste
       ich Syrien verlassen. Ich wurde per Haftbefehl gesucht. Wäre ich geblieben,
       wäre ich verhaftet worden. Ich floh in die Türkei. Damals dachte ich, das
       Ganze dauert nur eine Woche und ich könnte bald nach Damaskus zurückkehren.
       Aber es ist anders gekommen.
       
       Wie lebst du heute? Seit knapp einem Monat lebe ich in Genf. Ich arbeite
       hier als Office Manager für den kurdischen Nationalrat. Ich unterstütze
       unsere Delegierten bei den Friedensverhandlungen. Der Vertrag läuft noch
       drei Monate. Bevor ich nach Genf gekommen bin, habe ich in Berlin für Adopt
       a Revolution gearbeitet.
       
       Wie möchtest du in fünf Jahren leben? In fünf Jahren möchte ich wieder in
       meinem alten Stammcafé in Damaskus sitzen. Als ich studierte, traf ich mich
       dort immer mit meinen Freunden. Ich vermisse das. Ich weiß aber, dass
       dieser Traum nicht in Erfüllung gehen wird. Ich weiß noch nicht, was ich
       mache, wenn ich in Genf fertig bin. Ich denke, ich werde wieder nach Berlin
       kommen. Es ist nicht einfach, als Flüchtling Pläne zu machen. Alles ist
       unklar, irgendwie unsicher.
       
       ***
       
       Die Dokumentarfilmerin: Roshak Ahmad ist 29 Jahre alt und lebt in Berlin 
       
       Wie hast du vor fünf Jahren gelebt? Während der Revolution arbeitete ich
       als Journalistin, aber eigentlich studierte ich Kunst in Damaskus. Als die
       Revolution ausbrach, trat ich mit ein paar anderen Studenten in einen
       Streik. Damals wurden Demonstrationen verboten. Wir dachten uns: Gut, wenn
       wir nicht öffentlich demonstrieren können, bleiben wir zu Hause. Als
       Zeichen unseres Widerstands. Ich fing ich dann an, Dokumentarfilme zu
       drehen. Das Material schmuggelte ich nach Beirut. Irgendwann wurden Freunde
       von mir verhaftet und ich wurde bedroht. Im Frühling 2013 ging ich nach
       Istanbul. Im Jahr 2014 kam ich mit einem Visum nach Deutschland
       
       Wie lebst du heute? In Berlin lebe ich in einer Wohngemeinschaft in
       Tempelhof. Anfang April werde ich nach Hamburg ziehen, um dort eine
       Weiterbildung zur Videojournalistin zu machen. Momentan arbeite ich bei
       einer Stiftung, die sich für Frauenrechte einsetzt. Wir versuchen vor allem
       gegen stereotype Frauenbilder vorzugehen. Viele Medien zeigen arabische
       Frauen nur als Opfer. Wir wollen andere Geschichten erzählen. Zeigen, dass
       arabische Frauen stark sind.
       
       Wie möchtest du in fünf Jahren leben? Ich möchte als Filmemacherin
       arbeiten. Entweder in Syrien oder in Deutschland. Ich finde, Deutschland
       ist ein total spannendes Land, mit einer unglaublichen historischen
       Geschichte. Hier gibt es unglaublich viel zu erzählen.
       
       ***
       
       Der Zahnmedizinstudent: Abdul Abbasi ist 21 Jahre alt und lebt in Göttingen 
       
       Wie hast du vor fünf Jahren gelebt? Damals lebte ich mit meiner Familie in
       Aleppo. Ich machte mein Abitur, traf mich mit Freunden. Ich hatte ein
       schönes Leben. Hatte alles, was ich brauchte. Dann brach die Revolution
       aus. Meine Eltern entschieden damals, dass es für uns zu gefährlich sein
       würde, in Aleppo zu bleiben. Gemeinsam mit meiner Schwester und ihrer
       Familie flüchteten wir nach Ägypten. Von dort weiter nach Libyen. Später
       bin ich dann alleine in die Türkei gereist. Dort beantragte ich ein
       Studentenvisum in Deutschland. Sechs Monate später landete ich in Berlin.
       
       Wie lebst du heute? Ich studiere im vierten Semester Zahnmedizin an der Uni
       Göttingen. Wenn ich nicht in der Uni bin, arbeite ich im Migrationszentrum
       Göttingen als ehrenamtlicher Dolmetscher und berate andere Flüchtlinge. Mit
       zwei Freunden betreibe ich den Videoblog „German LifeStyle“. In unseren
       Videos geht es darum, Deutsche und Flüchtlinge zusammenzubringen und
       Vorurteile abzubauen. Es läuft echt gut. Wir haben schon 54.000 Follower.
       
       Wie möchtest du in fünf Jahren leben? In fünf Jahren möchte ich mein
       Studium abgeschlossen haben und als Zahnarzt arbeiten. Vielleicht in
       Berlin. Ich möchte fünf Sprachen sprechen können. Bisher kann ich Arabisch,
       Englisch und Deutsch. Ich lerne gerade noch Spanisch. Irgendwann soll noch
       Französisch dazukommen. Das ist der Plan.
       
       ***
       
       Der Regisseur: Rafat Alzakout ist 38 Jahre alt und lebt in Berlin 
       
       Wie hast du vor fünf Jahren gelebt? Ich arbeitete als Theaterregisseur in
       Damaskus und unterrichtete Schauspiel an der dortigen Universität. Als die
       Revolution ausbrach, ging ich jede Woche auf die Straße. Fünf Monate lang.
       In dieser Zeit ließ ich alles andere liegen, ebenso wie viele meiner
       Freunde. Uns ging es in dieser Zeit nur darum, etwas zu ändern und das
       Assad-Regime zu stürzen. Wir fingen an, Kurzfilme zu drehen, die Assad
       direkt angriffen. Als das Regime das mitbekam, suchte die
       Sicherheitspolizei nach mir. Ich verließ Damaskus, lebte in Beirut und kam
       vor vier Monaten nach Deutschland.
       
       Wie lebst du heute? Ich lebe mit meiner Frau in einer kleinen Wohnung in
       Prenzlauer Berg. Meine Frau ist Deutsche. Wir haben uns vor acht Jahren in
       Syrien kennengelernt. Wir haben eine Katze. Die habe ich aus Beirut
       mitgebracht. Vor sechs Monaten habe ich meinen ersten langen Dokumentarfilm
       gedreht. Im Moment toure ich damit zu verschiedenen Filmfestivals in ganz
       Europa. Ich hoffe, ich kann meinen Film bald auch in Berlin zeigen.
       
       Wie möchtest du in fünf Jahren leben? In fünf Jahren möchte ich als
       Künstler und Dokumentarfilmer arbeiten. Ich habe so viele Ideen in meinem
       Kopf und hoffe, dass ich einige bis dahin realisieren kann. Ich würde gerne
       interessante Leute kennenlernen, mit denen ich zusammenarbeiten kann und
       ich hoffe natürlich, dass Syrien in fünf Jahren frei ist.
       
       ***
       
       Die Journalistin: Riham Alousaa ist 24 Jahre alt und lebt in Berlin 
       
       Wie hast du vor fünf Jahren gelebt? Ich lebte in Damaskus und studierte
       Journalismus. Meine Familie war kurz vorher nach Homs gezogen. Es war das
       erste Mal in meinem Leben, dass ich alleine wohnte. Alleine einen Haushalt
       organisieren musste. Das war toll. In jeder freien Minute lernte ich für
       mein Studium. Ich wollte die Beste aus meinem Jahrgang werden. Wenn ich
       nicht in der Uni war, besuchte ich Sprachkurse. Englisch und Spanisch. Als
       die Revolution ausbrach und schließlich der Krieg, hatte ich Angst. Vor
       allem um meine Familie. Als ich dann vor zwei Jahren für ein
       Trainee-Programm nach Berlin kam, beschloss ich, hierzubleiben.
       
       Wie lebst du heute? Momentan bin ich sehr beschäftigt. Gerade absolviere
       ich ein Praktikum beim Magazin Cicero. Danach werde ich für drei Monate in
       die Redaktion von Spiegel Online gehen. Wenn ich frei habe, besuche ich
       einen Deutschkurs. Die Sprache ist nicht leicht, aber langsam werde ich
       besser. In Berlin fühle ich mich sehr wohl. Ich habe hier ein Leben, habe
       Freunde. Zurück nach Syrien kann ich nicht mehr. Berlin ist mein neues
       Zuhause geworden. Wie möchtest du in fünf Jahren leben? Ich bewerbe mich
       gerade für einen Master in Journalismus. Entweder möchte ich in den USA
       studieren oder in Großbritannien. In fünf Jahren möchte ich gerne als
       Journalistin arbeiten. Auch wenn ich im Ausland arbeite, nach Berlin werde
       ich auf jeden Fall immer wieder zurückkehren.
       
       ***
       
       Der Reporter: Hamdi Kassar ist 26 Jahre alt und lebt in Berlin 
       
       Wie hast du vor fünf Jahren gelebt? Ich lebte damals in Damaskus und
       arbeitete als Moderator und Reporter für Syrian National TV. Die Löhne in
       dieser Branche sind sehr niedrig. Deshalb habe ich nebenher Mobiltelefone
       und Computer repariert. Mein Leben bestand vor allem aus Arbeit. Aber es
       war ein schönes Leben. Wenn ich frei hatte, bin ich gereist. Nach Ägypten,
       nach Jordanien. Ich liebe es zu reisen. Ich mag es nicht, wenn ich länger
       als einen Tag an einem Ort bleiben muss. Als die Revolution ausbrach, habe
       ich einfach weitergearbeitet. Ich wollte mein Land nicht verlassen. Fünf
       Jahre habe ich durchgehalten, bis es einfach nicht mehr ging. Wie lebst du
       heute? Mit zwei Freunden teile ich mir ein Apartment in einem Hotel in
       Kreuzberg. Es ist alles da, was wir brauchen, und wir fühlen uns sehr wohl
       hier. Ich glaube, von allen Flüchtlingen in Berlin hatten wir das größte
       Glück. Im Moment besteht mein Leben vor allem aus Warten. Ich bin seit acht
       Monaten in Deutschland und warte noch immer auf meine
       Aufenthaltsgenehmigung. Wie möchtest du in fünf Jahren leben? Wenn der
       Krieg in Syrien in fünf Jahren vorbei sein sollte, werde ich zurückkehren.
       Wenn nicht, möchte ich hier in Deutschland arbeiten. Ich träume davon,
       einen Job bei einem deutschen Fernsehsender zu finden. Meine Verlobte ist
       noch in Damaskus. Ich hoffe, ich kann sie bald nachholen.
       
       Alle Protokolle von Gesa Steeger
       
       18 Mar 2016
       
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