# taz.de -- Kommentar Merkels Flüchtlingspolitik: Fassade vor einer Ruine
       
       > Die Kanzlerin setzt auf Abschreckung. Ihre Wende hat sie ziemlich lautlos
       > vollzogen. Für die Machtpolitikerin war es eine Meisterleistung.
       
 (IMG) Bild: Griechenland wird für Flüchtlinge zur Sackgasse
       
       Angela Merkel hat sich monatelang von hysterische Medien und der CSU
       anhören müssen, dass sie alles falsch macht. Dass sie in Europa isoliert
       ist, handlungsunfähig und an ihrer Pastorentochtermoral gescheitert ist.
       
       Es ist schon oft ein Fehler gewesen, die Kanzlerin als Machtpolitikerin zu
       unterschätzen. [1][Die EU hat nun einen Deal mit der Türkei unterzeichnet],
       an dem die Bundesregierung maßgeblich mitgestrickt hat. Merkel ist damit
       der anvisierten europäischen Lösung nähergekommen. Das ist, angesichts von
       verstockten Regierungen, die von Warschau bis Wien die eigenen Grenzen
       verbarrikadieren, ein Erfolg.
       
       Wir wissen noch nicht, wie resolut der Deal in Griechenland in den nächsten
       Wochen de facto umgesetzt wird. Es gibt dafür keine Blaupause. Falls dieses
       Abkommen vor Ort funktioniert, hat Merkel, was sie wollte: [2][eine
       EU-Lösung ohne deklarierte Obergrenze. Und fast ohne Flüchtlinge]. Denn die
       Chance, aus Syrien, Irak oder Afghanistan über die Türkei nach Europa zu
       kommen, wird dann nahe null liegen.
       
       Nehmen wir an, der saudi-arabische Blogger Raif Badawi würde demnächst auf
       Lesbos landen. Auch er würde wohl umgehend in die Türkei
       zurücktransportiert. Denn die gilt ja (einzige Ausnahme: Kurden) nun als
       sicheres Drittland. Wenn sich keine Flüchtlinge mehr nach Griechenland
       aufmachen, werden auch keine Syrer, die die EU im Tausch für
       Zurückgewiesene aufnehmen will, mehr kommen. Dieses Abkommen erinnert an
       den Asylkompromiss von 1993. Formal gibt es das individuelle Recht auf Asyl
       noch – aber nur als Fassade vor einer Ruine.
       
       ## Opposition gesucht
       
       Man gibt CSU-Mann Horst Seehofer ungern recht. Aber seine Bemerkung, dass
       Merkel ihre Politik komplett verändert hat, ohne dies zuzugeben, ist auf
       infame Weise zutreffend. Infam, weil er kräftig mitgewirkt hat, dass Merkel
       mit ihrem Ziel, großzügig Flüchtlinge aufzunehmen und in der EU zu
       verteilen, gescheitert ist. Aber das sind die Rechnungen von gestern.
       
       Merkel setzt, ohne das Wort Obergrenze zu benutzen, auf Abschreckung. Sie
       hat diese Wende unfallfrei und ziemlich lautlos vollzogen. Taktisch eine
       Meisterleistung.
       
       Fast ein halbes Jahr hat sich eine ganz große Koalition von der CDU über
       Rot-Grün bis zu Linksparteirealos hinter der Kanzlerin versammelt. Vorbei,
       passé. Wir brauchen wieder eine Opposition.
       
       21 Mar 2016
       
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