# taz.de -- Projekt scheitert an Rechtslage: Leichenschau wieder abgeschafft
       
       > Ärzte stellen oft eine falsche Todesursache fest. Kliniken in Delmenhorst
       > haben deshalb die qualifizierte Leichenschau eingeführt - ohne
       > Rechtsgrundlage.
       
 (IMG) Bild: Schnell wieder abgeschafft: qualifizierte Leichenschau in Delmenhorst.
       
       Bremen taz | Die in Reaktion auf die Mordtaten des Pflegers Niels Högel mit
       viel Tamtam eingeführte qualifizierte Leichenschau (QL) in den
       Delmenhorster Kliniken kann derzeit nicht durchgeführt werden. Das räumte
       die Sprecherin der mittlerweile unter dem Namen Josef-Hospital fusionierten
       zwei Krankenhäuser in der zehntgrößten Stadt Niedersachsens ein. Grund sei,
       dass man „die eingeführten Strukturen und Abläufe noch einmal überprüfen“
       wolle. Nach taz-Informationen ist die Praxis auf Intervention der
       Staatsanwaltschaft Oldenburg spätestens im Oktober beendet worden.
       
       Insgesamt wurde die QL laut Josef-Hospital bei 106 Verstorbenen
       durchgeführt. Bei im Schnitt 600 Toten jährlich in den beiden Kliniken
       entspricht das einem Stopp nach zwei Monaten. Tatsächlich hatte die
       Klinikleitung die Staatsanwaltschaft erst am 20. August, also drei Wochen
       nach Start, über ihr Projekt informiert: „Seitens der Staatsanwaltschaft“,
       so deren Sprecher Rüppell, „wurden daraufhin Zweifel an der Vereinbarkeit
       mit den Bestimmungen des Bestattungsgesetzes geäußert“. Verfahren habe man
       keine einleiten müssen. Die Praxis sei ja abgestellt worden.
       
       Nur kommunizieren wollte das keiner – möglicherweise, weil die Meldung von
       der Einführung den gebeutelten Delmenhorstern schöne Schlagzeilen
       eingebracht hatte: Der mit der Durchführung beauftragte Bremer
       Rechtsmediziner Michael Birkholz, Geschäftsführer des privaten Ärztlichen
       Beweissicherungsdienstes (ÄBD), gab Interviews, alle regionalen Medien
       berichteten ausführlich, und selbst die LeserInnen der Augsburger
       Allgemeinen und des Pfälzer Merkurs wussten Bescheid.
       
       Lob gab es aber auch in der Fachwelt: „Auch Tote haben Anspruch auf eine
       Facharztbehandlung“, titelte heroisch der Ärztenachrichtendienst am 2.
       August. Schon Mitte Juli hatte die Ärztezeitung dem deutschlandweit
       einzigartigen Projekt einen langen Beitrag gewidmet: „Nach Fall Niels H. –
       Klinikum zieht Konsequenzen“.
       
       Die Idee der qualifizierten Leichenschau ist, dass nach Todesfeststellung
       ein Spezialist den Leichnam begutachtet. Das ist sinnvoll, weil eine hohe
       Zahl unnatürlicher Todesfälle unentdeckt zu bleiben scheint. Hinweise aufs
       Ausmaß gibt die Doktorarbeit von Melanie Todt. Eingereicht hat sie diese im
       Herbst 2011 bei Michael Klintschar, dem Direktor der Rechtsmedizin an der
       Medizinischen Hochschule Hannover, der das Delmenhorster
       Leichenschau-Projekt wissenschaftlich betreut.
       
       Für ihre Doktorarbeit hatte die junge Medizinerin 387 Fälle untersucht, in
       denen infolge der zweiten Leichenschau, die vor der Einäscherung
       durchzuführen ist, eine Obduktion angeordnet wurde – obwohl der Totenschein
       einen „natürlichen Tod“ bescheinigte.
       
       In 308 der 387 Fälle ergab sich, dass die festgestellte Todesursache oder
       Todesart falsch waren. Auch bei den Opfern von Niels Högel hatten die den
       Tod attestierenden Klinikärzte die Mordhinweise mit einer gewissen
       Konsequenz übersehen.
       
       Die Trennung von Todesfeststellung und Leichenschau ist also sinnvoll,
       bedürfte aber einer Gesetzesänderung oder einer Genehmigung als
       Modellversuch: „Über einen Antrag auf Sondergenehmigung gibt es hier keine
       Erkenntnisse“, heißt es aus dem niedersächsischen Sozialministerium. Zwar
       sei „ein Gesetzentwurf in Arbeit, mit dem erweiterte Möglichkeiten der
       Leichenschau geschaffen werden sollen“, aber das bezieht sich eher auf eine
       Senkung der Schwelle zur Obduktion.
       
       Ein bisschen verblüfft dürfte man in Bremen über das stille Begräbnis des
       Delmenhorster Leichen-Projekts gewesen sein. Denn Bremen will im Sommer die
       qualifizierte Leichenschau flächendeckend einführen.
       
       Diesen Auftrag gemeinsam übernehmen zu wollen, haben ÄBD und Klintschar
       bekundet – und für sich noch im Dezember mit dem Verweis auf ihre in
       Delmenhorst erworbene besondere Kompetenz geworben. Mittlerweile wird
       eingeräumt, dass hier eine „Regiepanne“ vorgelegen hat: Man sei, schreibt
       Klintschar an die Bremer Gesundheitsdeputierten ,“schneller gewesen als das
       Gesetz“.
       
       24 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
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