# taz.de -- Ernährungsminister Christian Schmidt: Bloß nicht vegan!
       
       > Veganes Essen könne zu „gefährlicher Mangelernährung“ führen, warnt
       > Ernährungsminister Schmidt (CSU). Hat er recht?
       
 (IMG) Bild: Ho, ho... oh?
       
       ## Ja
       
       Das nennt man wohl einen guten Zeitpunkt. Kurz bevor Millionen Deutsche zu
       Weihnachten Karpfen oder Forelle, Gans oder Ente in den Backofen schieben,
       hebt Landwirtschaftsminister Christian Schmidt per Bild-Zeitung warnend den
       Zeigefinger: Für Kinder und Jugendliche sei veganes Essen nicht geeignet.
       Wer gern Fleisch isst, darf sich also geadelt fühlen – und bedenkenlos bei
       den Produkten der Agrarindustrie zugreifen.
       
       Das ist das natürlich das Kalkül, das hinter dem Interview steht: der
       Agrarindustrie, die für viele Lebensmittelskandale und Massentierhaltung
       steht, eine Absolution zu erteilen. Denn andere – nämlich manche Eltern,
       die ihre Kinder zum Veganismus zwingen – handelten ebenfalls
       verantwortungslos, wird suggeriert.
       
       Schmidt macht genau das, was Tierschützer und Veganer gern hätten: Essen
       wird überhöht. Dabei ist Ernährung keine Ideologie, sondern schlicht eine
       Lebensnotwendigkeit. Noch nie war es in Deutschland so leicht wie heute,
       sich ausreichend und ausgewogen zu ernähren. Zwar sollte jeder bei der Wahl
       seiner Lebensmittel darauf achten, welche Folgen sein Konsum für Menschen,
       Tiere und Pflanzen hat. Aber niemand kann immer alles richtig machen – auch
       Veganer und Bio-Käufer nicht.
       
       In der Sache hat Schmidt recht. Das bestätigt die Bundeszentrale für
       gesundheitliche Aufklärung, die seit Jahren für Eltern hervorragende
       Publikationen – neutral, frei von Werbung und Verkaufsinteresse – zu den
       Themen Erziehung und Gesundheit herausbringt. „Neben der Gefahr, dass ein
       Kind zu wenig Energie und Eiweiß erhält, ist oft auch die ausreichende
       Aufnahme insbesondere von Kalzium, Eisen, Jod, Vitamin D, B2 und B12
       kritisch“, schreibt die Bundesbehörde über vegane Ernährung von Kindern.
       Sie rät dringend zu kinderärztlicher Beratung und hält eine
       „Supplementierung von Nährstoffen“ für zumeist erforderlich.
       
       Letzteres ist zweifellos möglich, aber nicht der Weisheit letzter Schluss.
       Denn der regelmäßige Konsum angereicherter Nahrung oder von
       Ergänzungsmitteln vermittelt Kindern, dass ausgewogene Ernährung mit
       weitgehend naturbelassenen und regionalen Lebensmitteln nicht reicht. Das
       ist schade und letztlich nicht nachhaltig.
       
       Selbstverständlich gibt es schlimmere gesundheitliche Sünden bei der
       Kinderernährung als Veganismus: zu viel Zucker, zu viel Fleisch, zu viel
       Fett und Salz; zu wenig Obst und Gemüse. Aber auch Veganer sind nicht
       sakrosankt. Außer zum Fest. Mit oder ohne Fleisch: Wohl bekomm’s! RICHARD
       ROTHER
       
       (Der Autor verspeist an Heiligabend einen regionalen Karpfen mit Speck)
       
       ## Nein
       
       „Wer keine Ahnung hat, hat Mut.“ Altes türkisches Sprichwort. Wer keine
       Ahnung hat, hat auch den Mut, völligen Blödsinn öffentlich als Wahrheit zu
       verkünden. Kurz vor Weihnachten, wenn sich die Mehrheit der Deutschen mit
       fetttriefenden Mastgänsen, antibiotikaerprobten Schweinen und Enten,
       Glutamat-angereicherten Saucen und ungezählten Weinen und Schnäpsen in den
       letzten, selbstredend völlig gesunden Kalorienoverkill des Jahres stürzen
       will, warnt Christian Schmidt noch mal vor der veganen Ernährung,
       insbesondere für Kinder und Jugendliche.
       
       Déjà-vu: Solche Warnungen vor Minderheiten erfolgen regelmäßig, auch wenn
       bei lesbischen und schwulen Paaren geargwöhnt wird, dass etwas „fehlt“. Bei
       einem klassischen Heteropaar, wo er nicht mal weiß, wie man eine Windel
       wechselt, und sie Socken in der „richtigen“ Genderfarbe strickt, fehlt nix.
       
       Die gute Nachricht: Vollwertige vegane Ernährung ist in allen Lebensphasen
       möglich. Man muss nur wissen, wie. Bei der Deutschen Gesellschaft für
       Ernährung erfährt man das nicht. In deren Internetinfo wird viel über
       Makrobiotik doziert; dazu gehöre auch Fisch, aber keine Kartoffeln, Tomaten
       und Paprika ... Vegan ist das nicht. Fundierteres haben australische und
       US-Ernährungsinstitute zu sagen, und in der Reihe UTB liegt ein guter Band
       zur vegetarischen Ernährung vor.
       
       Richtig ist, dass vegane Ernährung ohne Vitamin-B12-Ergänzung zu Mangel
       führen würde. Genauso richtig ist, dass Vitamin B12, das Veganer meist in
       Tablettenform aufnehmen, Masttieren samt weiterer Vitamincocktails übers
       Futter zugeführt wird, damit die Tiere in der kurzen Wachstumsphase ohne
       Tageslicht und Bewegung überhaupt auf die Beine kommen.
       
       Außerdem wirft der Mehrheitsdeutsche, wenn er sich durch GansSchweinEnte
       und Sahnepudding gefuttert hat, noch eine Multivitamintablette ein und
       fühlt sich gut ernährt. Warum hingegen die Vitamin-B12-Tablette einer
       Veganerin ungesünder oder unnatürlicher sein soll als dasselbe Vitamin B12,
       nachdem es den Zellstoffwechsel eines Hybridschweins passiert hat,
       erschließt sich mir nicht.
       
       Nun zurück zu Minister Schmidt. Er ist nicht nur Ernährungs-, sondern auch
       Landwirtschaftsminister. Die Agrarlobby kämpft für den Erhalt des deutschen
       Wursthungers momentan an allen Fronten. Auch ich würde, wenn ich die
       Fleischindustrie stärken wollte, behaupten, dass ein Leben ohne tierische
       Produkte ungesund ist. Sachlich richtig würde es dadurch nicht. HILAL
       SEZGIN
       
       (Die Autorin füttert auch an den Feiertagen ihre Schafe und Gänse – und
       futtert sie natürlich nicht)
       
       23 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Richard Rother
 (DIR) Hilal Sezgin
       
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