# taz.de -- Debatte Asyl in Deutschland: Gegen den linken Größenwahn
       
       > Wir müssen über Flüchtlingsobergrenzen sprechen. Je mehr Leute kommen,
       > desto schlechter werden die Bedingungen für den Einzelnen.
       
 (IMG) Bild: Nicht gerade ein Sehnsuchtsort: Erstaufnahme Eisenhüttenstadt
       
       Es wabert ein Hauch des Irrealen über der Flüchtlingsdebatte, und das nicht
       nur deshalb, weil man dabei atemberaubende Perspektivwechsel erlebt, in der
       Politik und auch in linken Milieus.
       
       Die Widersprüchlichkeit zeigt sich schon bei Bundeskanzlerin Angela Merkel.
       Sie verweist auf die humanitäre Verpflichtung, Flüchtlinge aufzunehmen, und
       fordert gleichzeitig, die Grenzen der EU-Außenländer müssten besser
       geschützt werden und auch die Türkei müsse mehr für den Grenzschutz tun. Im
       Klartext heißt das: Ich hoffe auf andere Länder, die uns die Asylbewerber
       vom Hals halten.
       
       Auf andere Länder zu hoffen, klingt nicht so gut für eine Bundeskanzlerin.
       Sie steckt in einem Dilemma: Der humanitäre Aspekt der
       Flüchtlingszuwanderung lässt jede sozialstaatliche Debatte schnell
       unmoralisch wirken. Dabei ist die Flüchtlingsfrage auch eine Art
       globalisierte Sozialstaatsfrage und die darf man natürlich stellen.
       
       Die Zuwanderung wird erst mal einige Milliarden Euro kosten. Viele der
       Flüchtlinge, die in Deutschland die Anerkennung bekommen, werden auf Jahre,
       vielleicht sogar Jahrzehnte vom Staat finanziert werden, weil ihre
       Deutschkenntnisse und die beruflichen Qualifikationen nicht zu den hiesigen
       Anforderungen passen.
       
       ## Nur jeder zweite kriegt einen Job
       
       Es ist eine Tragik der Migration, dass der Arbeitsmarkt gerade in den
       sogenannten reichen Ländern besonders ausdifferenziert, die
       Qualifikationsanforderungen sehr speziell sind, und der Jobmarkt deswegen
       recht hermetisch sein kann gegenüber Angelernten mit begrenzten
       Deutschkenntnissen.
       
       Nach einer neuen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
       (IAB) wird die Beschäftigungsquote von Flüchtlingen erst fünf Jahre nach
       der Zuwanderung auf knapp 50 Prozent steigen. Das ist viel weniger als die
       Beschäftigungsquote der deutschen Bevölkerung und entspricht in etwa auch
       den Erfahrungen aus Schweden, wo man von einer durchschnittlichen Dauer von
       sieben Jahren ausgeht, bis Flüchtlinge im Arbeitsmarkt Fuß gefasst haben.
       
       Eine Existenz, in der man keine Arbeit und vielleicht auch keine
       angemessene Wohnung findet, in der man keine wirtschaftliche
       Selbstverantwortung übernehmen kann, ist auch ein Angriff auf die Würde.
       
       ## Ein Gefühl von Irrealität
       
       Flüchtlinge müssen monatelang in irgendwelchen umfunktionierten Hallen
       leben, tagelang in Behörden anstehen, nicht zuletzt aus einem Grund: Es
       werden zu viele. Je mehr kommen, desto schlechter werden die
       Lebensbedingungen für jeden Einzelnen. Genau deswegen muss man über Zahlen
       sprechen dürfen.
       
       Es ist linker Größenwahn, zu glauben, ein so „reiches Land“ könne einfach
       mal so jedes Jahr eine Million Flüchtlinge aufnehmen und ihnen
       menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen bieten.
       
       Die immer neuen Forderungen nach Tausenden neuen Stellen in den Behörden,
       nach Tausenden neuen Lehrkräften für Flüchtlingsklassen verstärken das
       Gefühl von Irrealität, das ja immer auch ein Gefühl der Entgrenzung ist. In
       jedem Solidarsystem, das die Flüchtlingshilfe am Ende ja auch ist, sind die
       Kapazitäten begrenzt. Man muss über Obergrenzen streiten dürfen.
       
       ## Die meteorologische Lösung
       
       Die Hoffnung so mancher Migrationspolitiker besteht zwar darin, dass sich
       das Problem anderweitig lösen könnte. Wenn es in Deutschland so beengt und
       unerfreulich ist, spricht sich das womöglich herum unter den Flüchtlingen,
       dann kommen vielleicht gar nicht mehr so viele, hört man hinter
       vorgehaltener Hand. Bald setzt außerdem der Winter ein, Überfahrten im
       Schlauchboot werden schwieriger, man hofft gewissermaßen auf eine
       meteorologische Lösung.
       
       Politisches Handeln ist es nun nicht gerade, auf das Wetter zu hoffen. Aber
       wie sonst kann eine Begrenzung erreicht werden? Ein Weg funktioniert nicht
       mehr: auf die existierende Drittstaatenregelung zu setzen und damit zu
       drohen, Flüchtlinge in die sicheren EU-Transitländer zurückzuschicken, so
       wie es einige CDU-Regionalpolitiker fordern. Damit müsste man schlagartig
       Tausende syrische Asylbewerber aus Deutschland zurückweisen oder ihnen
       zumindest die Asylbewerberleistungen versagen. Absurd. Wir sollen und
       wollen ja aufnehmen, nur nicht so lange so viele.
       
       Unermüdlich appelliert die Bundeskanzlerin an die anderen EU-Länder, doch
       bitte schön endlich höhere Kontingente an Flüchtlingen aufzunehmen und
       Deutschland zu entlasten. Die Chancen, dass die EU-Länder dem nachgeben,
       sind leider gering. Es sei denn, die Verhandlungsbasis änderte sich.
       
       ## Asylrecht abschaffen?
       
       Gäbe es in Deutschland eine Debatte über die Abschaffung des Asylrechts in
       der bisherigen Form und über selbst gesetzte Obergrenzen, wären die anderen
       EU-Länder wohl kooperationsbereiter. Schon heute geht bei den
       Zeitungskommentatoren in Österreich die Panik um, dass Deutschland die
       Grenzen schließen und man nicht mehr so einfach jede Woche Tausende von
       Flüchtlingen weiterwinken könnte.
       
       Ein Szenario: Deutschland schafft das Grundrecht für alle auf ein
       Asylverfahren ab, nimmt aber nach wie vor nach einem EU-Schlüssel jährlich
       ein sehr großes Kontingent an Flüchtlingen auf, aber eben nicht mehr alle,
       die herkommen. Anträge auf Asyl können im Ausland in Registrierungszentren
       gestellt werden.
       
       Wer nicht unter ein bestimmtes Kontingent fällt und ohne Anerkennung
       einreist, wird zwar nicht abgeschoben, bekommt hier aber keine
       Sozialleistungen – ähnlich wie EU-Bürger, die in Deutschland als Zugereiste
       bis auf das Recht auf Kindergeld auch keine Sozialleistungen erhalten. Bei
       diesem Szenario würde Deutschland immer noch Hunderttausende von
       Kontingentflüchtlingen aufnehmen und mit Sozialleistungen versorgen, aber
       es gäbe dafür Kapazitätsgrenzen, die Planungs- und Handlungssicherheit
       schafften.
       
       Ist es unmoralisch, über ein solches Szenario nachzudenken? Nein. Die
       Debatte über Obergrenzen muss erlaubt sein, das „O-Wort“ darf kein Tabu
       mehr sein. Vielleicht aber ebbt die Asylbewerbermigration auch von alleine
       ab, wie schon in den 90er Jahren, womöglich setzt sogar eine massive
       Rückwanderung ein, weil sich die Situation in den Herkunftsländern
       entspannt hat und das Leben dort besser ist als in Deutschland mit seinen
       überfüllten Flüchtlingsghettos, dem kalten Klima, seiner sperrigen Sprache
       und der ewigen Bürokratie.
       
       9 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
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