# taz.de -- Merkel vor dem Europaparlament: De Maizière unter Druck
       
       > Merkel und Hollande setzen sich für einen Sinneswandel in der
       > Flüchtlingskrise ein. In Berlin schafft Merkel schon politische
       > Tatsachen.
       
 (IMG) Bild: Wollen die Flüchtlingspolitik ändern: Angela Merkel und Francois Hollande in Brüssel
       
       Straßburg/Berlin dpa | Angesichts der größten Flüchtlingskrise seit dem
       Zweiten Weltkrieg fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Kurswechsel
       in der europäischen Außenpolitik. „Wir müssen unsere Außen- und
       Entwicklungspolitik stärker darauf ausrichten, Konflikte zu lösen und
       Fluchtursachen zu bekämpfen“, sagte Merkel bei einem Doppelauftritt mit dem
       französischen Präsidenten François Hollande am Mittwoch im EU-Parlament.
       
       Hollande warnte vor einem „totalem Krieg“ im Nahen Osten. Die Berliner
       Regierungszentrale stemmt sich dem Eindruck entgegen, Innenminister Thomas
       de Maizière sei durch die Neustrukturierung der Flüchtlingspolitik
       entmachtet worden.
       
       Merkel nannte die Flüchtlingskrise während ihrer Rede im Straßburger
       Plenarsaal eine „Bewährungsprobe historischen Ausmaßes“. Sie warnte vor
       Abschottungsreflexen: „Wir dürfen in der Flüchtlingskrise nicht der
       Versuchung erliegen, in nationalstaatliches Handeln zurückzufallen.“ Eine
       „Schlüsselrolle“ bei der Krisenbewältigung habe die Türkei, die ein
       „Ausgangspunkt der irregulären Migration“ sei und mehr Hilfe brauche „bei
       der Versorgung, bei der Unterbringung von Flüchtlingen, bei der
       Grenzsicherung, beim Kampf gegen Schlepper“.
       
       Das letzte Mal hatten vor fast 26 Jahren ein deutscher Kanzler und ein
       französischer Präsident gemeinsam im EU-Parlament gesprochen.
       
       Hollande warb an Merkels Seite für eine weitere Vertiefung der Europäischen
       Union und mahnte, andernfalls drohe „das Ende Europas“. Mit Blick auf den
       Syrien-Konflikt warnte er vor einer kompletten Eskalation im Nahen Osten:
       Wenn Europa es zulasse, dass sich religiöse Konfrontationen in der Region
       noch weiter verschärften, könne der Konflikt sogar Europa erreichen.
       
       Im Kampf gegen Flüchtlingsschleuser lief die zweite Phase der umstrittenen
       EU-Militäroperation im Mittelmeer an. Ab sofort dürfen beteiligte Soldaten
       außerhalb der libyschen Küstengewässer fahrende Schiffe von
       Menschenschmugglerbanden stoppen und durchsuchen. Mutmaßliche Kriminelle
       müssen dann mit einer Festnahme rechnen. Bislang war der Militäreinsatz auf
       das Sammeln von Informationen und die Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge
       begrenzt gewesen.
       
       ## Höhere Rückkehrquoten
       
       Parallel dazu wollen die EU-Staaten abgelehnte Asylbewerber künftig
       schneller in ihre Heimat zurückschicken. „Höhere Rückkehrquoten sollten zur
       Abschreckung für die irreguläre Migration dienen“, heißt es in einem
       Beschlussentwurf für das Treffen der EU-Innenminister am Donnerstag in
       Luxemburg, der dpa vorliegt. Demnach sollen 800 Millionen Euro
       bereitgestellt werden, um Migranten ohne Bleiberecht abzuschieben. Nach
       Angaben der EU-Kommission verlassen nur 40 Prozent aller abgelehnten
       Asylbewerber tatsächlich Europa. Bei dem Ministertreffen geht es auch um
       eine EU-weite Liste sicherer Herkunftsländer, in die Flüchtlinge rasch
       abgeschoben werden können.
       
       In Berlin beschloss das Bundeskabinett am Mittwoch ein Konzept, wonach
       Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) ab sofort die Steuerung der
       Flüchtlingspolitik übernimmt. Er soll die auf verschiedene Ministerien
       verteilten Aufgaben bündeln und besser als bisher aufeinander abstimmen.
       Die Opposition wertete dies als Entmachtung und schwere Niederlage von
       Innenminister de Maizière (CDU). Der Ressortchef selbst sagte der Deutschen
       Presse-Agentur, der Umbau sei ein „wichtiger Schritt“ zur Bewältigung der
       Flüchtlingskrise.
       
       Altmaier sprang seinem Parteifreund zur Seite. „Wir kennen uns seit langem
       und arbeiten eng und vertraulich zusammen“, sagte er der dpa. Um die
       Schlagkraft und die Handlungsfähigkeit der Regierung insgesamt zu stärken,
       brauche es schlicht „handlungsfähige Einzelressorts, aber auch eine bessere
       Koordinierung insgesamt“. Regierungssprecher Georg Streiter betonte, das
       Innenministerium behalte die „operative Koordinierung“ des
       Flüchtlingsthemas.
       
       ## Politik der offenen Grenzen
       
       Doch nicht nur bei der Opposition, auch an der Parteibasis stößt die
       Flüchtlingspolitik von CDU-Chefin Merkel auf scharfe Kritik. 34
       CDU-Funktionäre aus acht Bundesländern distanzierten sich in einem
       Schreiben an die Kanzlerin deutlich von deren Linie und forderten klare
       Schritte gegen den Flüchtlingsandrang. „Die gegenwärtig praktizierte
       „Politik der offenen Grenzen“ entspricht weder dem europäischen oder
       deutschen Recht, noch steht sie im Einklang mit dem Programm der CDU“,
       heißt es in dem Brief, unter dessen Unterzeichnern sich kein
       Bundestagsabgeordneter befindet.
       
       Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) drohte am Mittwoch laut
       Gesprächspartnern gar mit „wirksamer Notwehr“ des Freistaats, sollte die
       Bundesregierung keine Schritte für eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen
       unternehmen. In einer Sondersitzung am Freitag will sein Kabinett über
       mögliche „Notmaßnahmen“ beraten. Zuletzt wurde beispielsweise erwogen,
       Flüchtlinge per Zug in andere Bundesländer weiterzuschicken oder schon an
       der Landesgrenze abzuweisen.
       
       SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte der Deutschen Presse-Agentur
       dazu: „Die Hauptlast des Flüchtlingsstroms tragen alle Deutschen gemeinsam
       und nicht nur Bayern. Wer Flüchtlinge einfach in andere Bundesländer
       schieben will, verhält sich unwürdig gegenüber den föderalen Prinzipien
       Deutschlands.“
       
       7 Oct 2015
       
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