# taz.de -- „Angekommen – Flüchtlinge erzählen“: Und das ist jetzt also besser hier?
       
       > Mit DVDs, einem Kulturbeutel und drei Zeitschriften landete ich in
       > Deutschland. Ich habe das Gefühl, zwischen zwei Kriegen eingeklemmt zu
       > sein.
       
 (IMG) Bild: Ich musste den Alexanderplatz erreichen, unbedingt, denn ich durfte den Zug nicht verpassen.
       
       Ich habe immer daran geglaubt, dass man seine Lebensumstände ändern könne,
       wenn man nur genug arbeitet und sich gegen Ungerechtigkeiten wehrt. Alle,
       die ihr Leben bei der Überquerung des Mittelmeers aufs Spiel setzen, habe
       ich deshalb verurteilt. Außerdem habe ich immer geglaubt, Afrika sei selbst
       in der Lage, seinen Völkern den Frieden und die Würde zurückzugeben und
       sich weiterzuentwickeln.
       
       Wieso tun sich afrikanische Länder dann aber immer noch so schwer damit,
       auch das Prinzip der Demokratie und andere Menschenrechte zu übernehmen?
       Obwohl sie doch so viel von der abendländischen Kultur, von ihrer Sprache,
       ihrer Religion, ihrem Kapitalismus und alledem übernommen hat, geerbt oder
       nachgeahmt.
       
       Man kann wie ich aus einer Diktatur in eine Demokratie flüchten, aus
       Kamerun nach Deutschland. Aber es bleibt die Frage, ob die Demokratie
       allein überhaupt garantieren kann, dass Menschenrechte anerkannt werden.
       Meine Erfahrungen als politisch engagierter und verfolgter Regisseur in
       Kamerun, später dann als Asylbewerber in Deutschland erlauben es mir, mich
       zwischen den beiden Welten dieser Frage zu nähern. Man muss sowohl in
       Afrika als auch in Europa gelebt haben, um sich überhaupt eine Vorstellung
       von Demokratie und Menschenrechten machen zu können.
       
       Mir ist klar geworden, dass die Entwicklung Afrikas nicht von seinem
       wirtschaftlichen Potenzial abhängt, sondern von der politischen Willkür
       seiner Führer. Warum finden die politischen Machtwechsel in den
       afrikanischen Staaten nie ohne Bürgerkrieg statt?
       
       ## Den Film zensiert
       
       Damit wollte ich mich in meinem Film „139 – die letzten Raubtiere“
       beschäftigen. Ich wollte die Dynastie anprangern, die sich im Kongo, in
       Togo und Gabun etabliert hat, als Joseph Kabila, Faure Gnassingbé Eyadéma
       und Ali Bongo – alle Präsidentensöhne – ihren Vätern folgten. Aber vor
       allem wollte ich den Ewigkeitsanspruch des kamerunischen Staatschefs Paul
       Biya anprangern, der 2012 schon seit 30 Jahren an der Macht war.
       
       Biya hatte 2008 eine Verfassungsänderung durchgesetzt, um in Kamerun für
       immer zu herrschen. Aber wie ewiges Vertrauen in eine Regierung erlangen,
       die es überhaupt nicht versteht, Prioritäten zu setzen?
       
       Die Jugend besucht Universitäten, deren Laboratorien die Reagenzgläser
       fehlen, Filmemacher machen ihren Abschluss, ohne jemals eine Kamera aus der
       Nähe gesehen zu haben. Seit der Unabhängigkeit gibt es nicht mehr genug
       Trinkwasser für die Bevölkerung.
       
       Warum nicht eine Regierung anprangern, die das Land regelmäßig an die
       Spitze der korruptesten Länder der Welt geführt hat? Mein Film, der eine
       Parodie auf die Regierung und eine Karikatur der politischen
       Machtverhältnisse in Kamerun ist, wurde zensiert, bevor er in Kamerun
       überhaupt gesendet werden konnte.
       
       ## Die Morddrohungen kamen übers Telefon
       
       Zwischen 2011 und 2013 wurde ich massiv unter Druck gesetzt, um die
       Verbreitung des Films zu unterbinden. Von seiner Ankündigung bis zu seinem
       Erscheinen in Kamerun im Februar 2013 erhielt ich anonyme Morddrohungen am
       Telefon und per SMS. Am 23. März 2013 schließlich wurde ich verhaftet. Ich
       verbrachte elf Tage in Gefangenschaft und wurde von der Geheimpolizei
       gefoltert. „Wer sind Ihre Komplizen, Ihre Unterstützer?“, wollten sie immer
       wieder von mir wissen. „Mit Ihrem Film gefährden Sie die innere Sicherheit.
       Dafür werden Sie bezahlen.“
       
       Diese Aussagen erinnerten mich ständig an jene des staatlichen Direktors
       für Filmkunst, der mir einige Jahre zuvor, als ich um die Erlaubnis bat,
       meinen Film verbreiten zu dürfen, gesagt hatte: „Ihr Film fordert den
       politischen Wechsel in Kamerun. Er könnte Jugendliche zur Revolte bewegen,
       deswegen muss ich Ihnen gegenüber deutlich werden, mein Sohn. Das ist ein
       gefährlicher Film. Sie müssen unsere Bedingungen zu seiner Verbreitung
       akzeptieren.“ Diese Bedingungen sahen natürlich vor, „besonders kritische“
       Szenen herauszuschneiden, aus denen deutlich wurde, um welche politischen
       Persönlichkeiten Kameruns es sich handelte.
       
       Unter dem Druck nationaler und internationaler Organisationen wurde ich in
       der Nacht auf den 5. April 2013 schließlich freigelassen. Während meines
       fünftägigen Krankenhausaufenthaltes ließ die Polizei keine Besucher zu mir
       vor, als sei ich ein Krimineller. Mein Finger war doppelt gebrochen, ich
       stand unter Schock. Trotzdem hörte die Polizei nicht auf, mich noch auf dem
       Krankenhausbett zu vernehmen. Fünf Tage später teilte mir ein Polizist mit,
       dass mich ein hochrangiger Beamter verhören würde.
       
       ## Ich bat um Polizeischutz
       
       Dieser Beamte fragte mich immer wieder nach meinen Beziehungen zum Verein
       zur Verteidigung der Rechte der kamerunischen Studenten, dessen
       Gründungsmitglied ich bin. Seit 2005 hat dieser Verein mit friedlichen
       Protesten auf die prekären Umstände an den Universitäten des Landes
       aufmerksam gemacht. Nach dem Verhör mit all den üblichen Fragen schickte er
       mich nach Hause und sagte mir, ich hätte nichts zu befürchten. Ich bat ihn
       um Polizeischutz, und er entgegnete: „Sie können doch aufhören, diese Art
       von Filmen zu machen, die ohnehin nur auf Lacher abzielen. Oder
       unterrichten Sie Theater an der Universität. Wenn Sie weiterhin politisches
       Kino machen, müssen Sie mit den Konsequenzen leben.“
       
       Danach fühlte ich mich nicht mehr sicher. Freunde drängten mich, das Land
       zu verlassen – nach Europa, wo die Menschenrechte respektiert würden. Meine
       Familie und meine Mitstreiter bei dem Filmprojekt schwärmten mir von der
       vollkommenen Moral dieses Europas vor und drängten die EU-Vertretung in
       Yaoundé immer und immer wieder, mich aus Kamerun auszufliegen. Jedes Mal,
       wenn ich zur Behandlung meines Fingers ins Krankenhaus musste, verfolgten
       mich die Spezialeinheiten. Einige Zeit versteckte ich mich bei einer
       Bekannten.
       
       Dann erhielt ich eine Einladung der Universität Bayreuth, die zu ihrem
       African Film Festival eine Konferenz zum politischen Kino und seiner Zensur
       in Afrika organisierte.
       
       Ich erreichte den Flughafen Nürnberg am 3. November 2013, in meinem Koffer
       ein halbes Dutzend DVDs mit meinem Film, einen Kulturbeutel und drei
       Zeitschriften. Der Film wurde sehr gut aufgenommen und wir führten viele
       bereichernde Diskussionen. Nach zwei Tagen legte sich der Enthusiasmus.
       Sollte ich nun nach Kamerun zurückkehren, wäre meine Zukunft wieder
       ungewiss.
       
       ## Die nächste Schlange: Fingerabdrücke nehmen
       
       Fünf Tage nach meiner Ankunft in Nürnberg entschied ich schließlich, Asyl
       zu beantragen. Ein Student, den ich bei dem Filmfestival in Bayreuth
       kennengelernt hatte, zeigte mir die Adresse, zu der ich dafür musste, und
       verschwand, bevor ich das Gebäude betreten hatte.
       
       Die Zahl der Asylbewerber im Landesamt für Gesundheit und Soziales in
       Berlin verblüffte mich. Ich wartete fast zwei Stunden, um mich zu
       registrieren. Nachdem ich meine Beweggründe, Asyl zu beantragen, genannt
       hatte, schickte man mich in die nächste Schlange, um meine Fingerabdrücke
       zu nehmen. Französischsprachige Ansprechpartner gab es kaum.
       
       Jemand schickte mich zu einem Büro, in dem ich von einer wie programmiert
       lächelnden Frau ein Bahnticket bekam. Sie versuchte, mir zu erklären, wo
       ich die U-Bahn nehmen und wie oft ich umsteigen müsse. Sie sprach kein
       Französisch, bemühte sich aber, in ihrem Deutsch möglichst viel Englisch
       unterzubringen. Ich musste sie irgendwie trotzdem verstehen, denn ich
       durfte auf keinen Fall den Zug verpassen. Er sollte 30 Minuten später vom
       Alexanderplatz abfahren und ich musste erst mal von der Turmstraße
       wegkommen. Jedenfalls verstand ich, dass ich um 23 Uhr Eisenhüttenstadt
       erreichen musste. Ich kam rechtzeitig von der Turmstraße los, aber erst am
       nächsten Abend um 20 Uhr in Eisenhüttenstadt an. Aber das ist eine andere
       Geschichte.
       
       In Berlin meinte ich gehört zu haben, dass ich in Eisenhüttenstadt in ein
       Hotel kommen würde. Stattdessen empfingen mich zwei Herren in Uniform. Ich
       übergab ihnen das Dokument, das ich mitgebracht hatte, und sie gaben mir
       einen Teller, eine Gabel, ein Messer und eine Bettdecke.
       
       Sie brachten mich in einen Gemeinschaftsraum, in dem sich Menschen
       unterschiedlicher Herkunft befanden. Viele litten unter chronischem Husten.
       Es gab mehr als ein Dutzend Betten, die sich kaum von denen unterschieden,
       die in den Behelfskrankenhäusern in Kamerun stehen. In dem Raum hörte ich
       die ganze Zeit Lärm von den angrenzenden Fluren. In der Nacht tat ich kein
       Auge zu. Am nächsten Tag ging der Prozess der Registrierung mit
       Fingerabdrücken und Fotos weiter.
       
       Ich bemerkte, dass ein Großteil der Menschen dort aus jenen Regionen kam,
       die auf der Weltkarte von Armut, Krieg und Diktaturen besonders sichtbar
       sind – das Afrika südlich der Sahara, Asien oder Osteuropa. Das Personal
       der Einrichtung behandelte die Einwanderer meist respektlos. Uns wurde
       gesagt, dass jeder Asylbewerber einen Brief mit der Ankündigung seiner
       Anhörung bekäme, in der er die Gründe für seine Flucht erläutern sollte.
       Auch ich bekam eines Abends einen Brief, den ich aber nicht entziffern
       konnte. Die Dame sagte mir nur, ich müsse mich am nächsten Tag in Büro
       Nummer 2 melden.
       
       Als mir klar wurde, dass es sich bei diesem Termin um jene berühmte
       Anhörung handelte, war ich entsetzt. Menschenrechtsorganisationen, die
       unsere Einrichtung besucht hatten, hatten uns gesagt, dass die
       Ankündigungen solcher Anhörungen eine Woche im Voraus zugestellt und
       außerdem in unsere Landessprache übersetzt würden. Meine Ankündigung hatte
       ich 12 oder 14 Stunden vorher zugestellt bekommen – nicht übersetzt.
       
       ## Mein Kopf tat weh
       
       Gleich nachdem ich das Büro betreten hatte, stellte mir die Übersetzerin
       die Richterin vor, die das Gespräch führen würde. Ich wollte diese Anhörung
       nicht. Ich hatte in der Nacht nicht geschlafen, mein Kopf tat weh und ich
       war nicht darauf vorbereitet, über eine so schmerzvolle Episode meines
       Lebens zu sprechen. Die Richterin wies mich autoritär darauf hin, dass sie
       die Einzige sei, die über mein Asylgesuch entscheiden könne, und dazu sei
       ich ja wohl hier. Es blieb mir am Ende also nichts anderes übrig, als alles
       über mich ergehen zu lassen.
       
       Die Richterin sagte mir kurz vor Ende, ich sei arrogant, weil ich während
       der ganzen zwei Stunden des Gesprächs die Arme verschränkt hatte. Sie fügte
       hinzu, dass ich in Kamerun doch ein sicheres Leben führen könne, wenn ich
       nur aufhören würde, politische Filme zu machen. Sie sehe keinen triftigen
       Grund für mich, Asyl zu beantragen.
       
       Ich weigerte mich, das Gesprächsprotokoll zu unterschreiben. Doch das
       änderte nichts. Sie hatte mit allem gerechnet und schickte das Protokoll an
       meinen Anwalt. Daraufhin wurde ich in eine andere Stadt gebracht:
       Wittenberge. Ich stand unter Residenzpflicht – besaß weder das Recht,
       rauszugehen noch zu arbeiten oder zu studieren. Ich wurde mehrfach
       eingeladen, meinen Film zu präsentieren, aber die zuständige Behörde
       verweigerte mir die Erlaubnis, zu fahren. Monatelang kämpfte ich für einen
       Krankenschein, um Rückenschmerzen behandeln zu lassen, die noch von der
       Folter in Kamerun herrührten.
       
       ## Antrag abgelehnt
       
       Nach einem Jahr lehnte die Richterin meinen Asylantrag ab. Die Begründung:
       Kamerun sei ein Staat, „der die Menschenrechte respektiere“, dass es
       mehreren in Kamerun verfolgten Kriminellen gelungen sei, sich den
       Machthabern zu entziehen, und dass ich dort einfach in eine andere Stadt
       ziehen könne, „um ein ruhiges Leben zu führen“. Mein Anwalt legte Einspruch
       ein. Seitdem warte ich auf das Ergebnis.
       
       Direkt neben der Aufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt befand sich ein
       Abschiebegefängnis. Es war voll von Leuten, die das Verbrechen begangen
       hatten, vor Armut oder Krieg zu fliehen. Die europäischen Politiker
       behandeln sie wie Abschaum, wollen sie verstoßen und als
       Wirtschaftsflüchtlinge in ihre Heimatländer zurückschaffen, um noch mehr
       Wählerstimmen zu bekommen. Als sei Armut ein Verbrechen.
       
       Bis jetzt suche ich die Menschenrechte in Europa vergeblich. Die
       Zuwanderung ist zu groß geworden und könnte die Aufnahmekapazitäten
       gewisser europäischer Staaten übersteigen.
       
       Ist das nicht vielleicht der Moment, um das Übel an der Wurzel zu packen?
       
       Wenn die großen Player wie die Vereinigten Staaten und die EU weiter
       militärische Konfliktlösungen befürworten, wenn sie weiter afrikanische
       Diktaturen aus wirtschaftlichen Interessen unterstützen, müssen sie die
       Flüchtlinge aufnehmen, die sie mit ihrer Rüstungsdiplomatie und ihrer
       Wirtschaftspolitik in Afrika und in der Welt produzieren.
       
       Ich habe das Gefühl, zwischen zwei Kriegen eingeklemmt zu sein, zwischen
       Afrika und Europa. Wenn man betrachtet, wie sich Deutschland von seiner
       Vergangenheit befreit hat, wie es sich zu einem Ort der Zuflucht in Europa
       entwickelt hat, sollte man doch denken, dass die Hoffnung auf Frieden und
       Wohlstand für alle möglich ist.
       
       Aus dem Französischen übersetzt von Johanna Roth
       
       4 Oct 2015
       
       ## AUTOREN
       
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