# taz.de -- Reißerische Medienberichterstattung: Wie kam der Warnschuss in die Welt?
       
       > An der deutschen Grenze wird ein Warnschuss gegenüber Flüchtlingen
       > abgegeben. Eine schwerwiegende Nachricht. Aber ist sie echt?
       
 (IMG) Bild: Auch so ein Rambo: Rambo.
       
       Berlin taz | Die Meldung des Senders RTL am Dienstagmorgen ist so kurz, wie
       einschneidend. An der deutschen Grenze zu Österreich hätten Polizeibeamte
       in der Nacht Warnschüsse gegenüber Flüchtlingen abgegeben.
       
       In der Sendung „[1][Guten Morgen Deutschland“] verbreitet der Sender die
       Meldung ab 6 Uhr in Großbuchstaben (SCHÜSSE AN DER GRENZE) und vor allem –
       als Tatsachenbehauptung. Die Nachricht hat Potenzial, allein: Sie genügt
       nicht den Kriterien einer Nachricht. Dennoch behauptet der
       Nachrichtenableger „RTL Aktuell“ noch Stunden später auf seiner Homepage:
       „Am Grenzübergang Freilassing-Salzburg gaben Polizisten Warnschüsse ab.“ In
       der Zwischenzeit fragen sich Fernsehzuschauer und Nutzer bei Twitter: Hat
       die sogenannte Flüchtlingskrise eine neue Dimension erreicht?
       
       Nein, wohl nicht. Die Nachricht ist vielmehr ein Beispiel für das, was
       passiert, wenn Hysterie das Nachrichtengeschäft erobert. Was auch die
       Kollegen von RTL in kurzer Zeit hätten herausfinden können und müssen: Der
       Ursprung der Nachricht ist äußerst windig.
       
       Es war 1.21 Uhr in der Nacht als eine Agentur an RTL einen Text mit der
       fraglichen Information versendet. Darin heißt es wörtlich: „In Freilassing
       mussten Polizisten am Montagabend sogar Warnschüsse abgeben.“ Schon in
       diesem Text wird keine Quelle für die Tatsachenbehauptung genannt. RTL
       übernimmt die Information dennoch ungeprüft.
       
       ## Im Bild bewaffnete Polizisten
       
       Dann greifen zahlreiche weitere Onlineportale die Nachricht auf - darunter
       [2][Stern.de], das [3][Neue Deutschland] oder die österreichische
       [4][Kronen Zeitung]. Immerhin: Viele nutzen das Warnwörtchen „offenbar“
       oder verweisen auf die Quelle RTL, wohl in dem Vertrauen, dass die Kollegen
       die Information schon geprüft haben werden.
       
       Dann beginnen die unterschiedlichen Erzählweisen: Über einem Text auf
       [5][Vice] steht die Schlagzeile „Warnschüsse gegen Flüchtlinge: Die
       Bundespolizei macht ernst“. Darunter, im Bild, sind bewaffnete Polizisten
       zu sehen. Im folgenden Text wird dann etwa behauptet, ein RTL-Reporter habe
       von den Schüssen berichtet. Dies steht allerdings gar nicht im fraglichen
       RTL-Text. Naja, vielleicht nur ein Missverständnis. Immerhin verzichtete
       RTL schließlich auch darauf kenntlich zu machen, dass die vermeintliche
       Information, die der Sender stolz als seine eigene präsentierte, lediglich
       von einer Agentur stammte.
       
       Nur eines passiert scheinbar nicht im leichtfüßigen Mediengeschäft an
       diesem Dienstag. Die eigentliche Quelle ruft offenbar niemand an.
       
       ## „Definitiv kein Schuss“
       
       Ein Polizeisprecher der zuständigen Polizei Oberbayern-Süd sagt der taz:
       „Es hat definitiv keine Schussabgabe gegeben. Weder von der deutschen
       Landespolizei, noch von der Bundespolizei, noch von Kollegen in
       Österreich.“
       
       Die Quelle ist ein Polizeiberichterstatter. Er gehört zu einer
       journalistischen Spezies, die darauf angewiesen ist, Informationen aus
       Behörden gesteckt zu bekommen, auch aus Reihen der Polizei. Man erzählt
       sich, dass in dieser Szene auch gerne mal der Polizeifunk abgehört wird.
       
       Gemeinhin gilt im Journalismus die einfache Regel: Für eine Nachricht
       braucht es zwei voneinander unabhängige Quellen. Wenn es nur eine gibt, ist
       das zu kennzeichnen. Am Ende dieses Tages gilt: Für die Information um den
       vermeintlichen Warnschuss gibt es nur eine Quelle, die wiederum ihre Quelle
       nicht nennen will. Ergo: Die Nachricht ist keine Nachricht.
       
       Update: Nach einer Anfrage der taz setzte RTL Aktuell die vermeintliche
       Information um den Warnschuss [6][auf seiner Homepage] zunächst in den
       Konjunktiv. Dann strich RTL sie ganz aus dem Text. Ihre Leser über die
       Falschinformation zu benachrichtigen, hielt RTL offenbar nicht für nötig.
       Über dem Text von Vice steht inzwischen: „Wir haben daraus gelernt und
       werden unsere Quellen in Zukunft genauer prüfen.“
       
       15 Sep 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.nowtv.de/rtl/guten-morgen-deutschland/teil-12-guten-morgen-deutschland-2015-09-15-06-00-00/player
 (DIR) [2] http://www.stern.de/politik/deutschland/fluechtlingskrise-im-newsticker--ungarn-erwaegt-nun-auch-zaun-an-grenze-zu-rumaenien-6451532.html
 (DIR) [3] http://www.neues-deutschland.de/artikel/984572.zahl-von-todesopfern-im-mittelmeer-steigt-dramatisch-an.html
 (DIR) [4] http://www.krone.at/Welt/Balkan-Route_Weitere_200.000_wollen_in_die_EU-Fluechtlingsstrom-Story-472161
 (DIR) [5] https://www.vice.com/de/read/warnschuesse-gegen-fluechtlinge-bundespolizei-macht-ernst-423
 (DIR) [6] http://www.rtl.de/cms/fluechtlingsstrom-nach-deutschland-polizei-personell-und-materiell-an-unseren-grenzen-2451038.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Kaul
       
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