# taz.de -- Aktivistin über Flüchtlingspolitik in GB: „Stolz sein, Leben zu retten“
       
       > Lisa Doyle vom britischen Flüchtlingsrat hofft auf ein Umdenken der
       > konservativen Regierung. London sollte mehr Verantwortung übernehmen.
       
 (IMG) Bild: Alltagsszene in Calais: Ein Mann überwindet die Umzäunung des Eingangs zum Kanaltunnel nach Großbritannien.
       
       taz: Frau Doyle, Flüchtlinge nehmen große Risiken auf sich, um nach
       Großbritannien zu gelangen. Wie gestaltet sich die Arbeit mit denjenigen,
       die es geschafft haben? 
       
       Lisa Doyle: Wir können nicht die Bedürfnisse aller abdecken, da wir
       ausschließlich von Stiftungen und privaten Spenden abhängig sind. Wenn die
       Frage ansteht, ob ein Flüchtling einen Status bekommt, so braucht er gerade
       zu diesem Zeitpunkt besonders viel Hilfe, beispielsweise bei der Wohnungs-
       und Arbeitssuche. Wir haben hierfür ein spezielles Programm, das allerdings
       nur in London läuft und nicht alle Flüchtlinge erreicht, die in
       Großbritannien tatsächlich Hilfe benötigen.
       
       Aber es gibt doch in Großbritannien viel weniger Flüchtlinge als in vielen
       anderen europäischen Staaten? 
       
       Ja, aber das Problem ist, dass die Regierung bis 2010 solche Programme
       finanziell unterstützte, dies aber unter David Cameron vollkommen
       abgeschafft wurde, obwohl der Bedarf noch derselbe ist.
       
       Derselbe? Ist die Zahl der Flüchtlinge in Großbritannien denn gar nicht
       gestiegen? 
       
       Zwischen 2013 und 2014 stieg die Anzahl der Flüchtlinge hier nur um sieben
       Prozent. Trotz der globalen Flüchtlingskrise schaffen es nur wenige
       Betroffene in das Vereinigte Königreich.
       
       Am vergangenen Donnerstag schien sich die Position David Camerons, nicht
       mehr Flüchtlinge aufzunehmen, zu ändern. Jetzt sollen doch ein paar Tausend
       mehr kommen dürfen. 
       
       Unserer Kenntnis nach soll das über ein spezielles britisches Projekt für
       syrische Flüchtlinge vonstatten gehen, das vom Innenministerium und mit
       EU-Zuschüssen finanziert wird.
       
       Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Quote der in Großbritannien
       aufgenommen Flüchtlinge auch nur annähernd an die deutsche herankommt. Kann
       man sagen, dass die Denkweise über Flüchtlinge innerhalb der Regierung das
       größte Hindernis für Ihre Organisation darstellt? 
       
       Die britische Regierung weigert sich, verschiedene Möglichkeiten in
       Betracht zu ziehen, wie Menschen Großbritannien erreichen können. Der Grund
       dafür ist die Diskussion zum Thema Migration, die vom Versuch der Regierung
       bestimmt wird, die Gesamtzahl aller Einwanderer niedrig zu halten.
       
       Generell hat es bisher in Großbritannien noch keine großen Demonstrationen
       für Flüchtlinge gegeben. Die erste ist für den 12. September in London
       geplant. Tendenz war bisher eher, Einwanderung als Problem zu betrachten. 
       
       Ich glaube, die Öffentlichkeit versteht vor allen nicht den Unterschied
       zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und Flüchtlingen aus Krisengebieten. In
       den letzten Jahren hat die britische Regierung vehement versucht, die
       Anzahl von Wirtschafts- und EU-Migration zu senken. Das bedeutet, dass der
       allgemeine Diskurs in der Öffentlichkeit in Sachen Einwanderung negativ
       aufgeladen ist. Dies änderte sich erst in der vergangenen Woche. Seitdem
       liest man vermehrt von Flüchtlingen. Das mag zum Teil an dem Foto des drei
       Jahre alten syrischen Jungen liegen, das den Menschen klarmachte, um was
       eigentlich geht.
       
       Es gab doch schon vorher schockierende Bilder von Toten im Mittelmeer und
       Lampedusa … 
       
       Ja, aber in der britischen Presse waren das nur wenige. Unsere Medien
       tendieren dazu, keine toten Körper zu zeigen. Man sah zwar Bilder von
       Menschen, die zusammengepfercht auf überfüllten Booten saßen, doch das Bild
       eines ertrunkenen drei Jahre alten Jungen war, glaube ich, besonders
       schockierend. Man sah die Krise auf einmal nicht mehr aus der Distanz,
       sondern begriff den hohen Preis, den diese Menschen bezahlen.
       
       Wieso dauerte es bisher so lange, um an diesen Punkt zu kommen? 
       
       Es gab schon vorher ein paar Stimmen, die sich durchgehend dafür
       aussprachen, dass wir mehr tun könnten, aber die Debatte drehte sich fünf
       Jahre lang darum, wie viele Menschen nach Großbritannien einwandern dürfen
       und dass die Anzahl der Einwandern gesenkt werden müsse. Viele dachten,
       dass es in Großbritannien bereits zu viele Einwanderer gebe. Britischen
       Politiker sprechen zwar gerne von der „britischen Tradition“, Flüchtlinge
       zu schützen, aber es wurde bisher Flüchtlingen nicht geholfen, die
       versuchten, Großbritannien zu erreichen. Wenn Leute davon reden, dass es
       bereits zu viele Flüchtlinge gebe, verweisen wir gerne auf den Libanon, wo
       einer von vier Bewohnern ein syrischer Flüchtling ist. Großbritannien kann
       Einwanderung ohne Weiteres verkraften, wo doch oft und gerne vom hiesigen
       Wirtschaftswachstum gesprochen wird. Wir können für die Krise somit auch
       Mitverantwortung übernehmen, die momentan vor allen von Deutschland,
       Schweden, Italien und Griechenland getragen wird.
       
       Glauben Sie wirklich, das könnte sich jetzt ändern? 
       
       Ich hoffe es. Es hat sich bereits jetzt gezeigt, dass es für die Regierung,
       wenn sie etwas Positives in dieser Situation tut, keine negativen
       Auswirkungen hat. Jetzt, nach den Wahlen, ist es ohnehin leichter geworden.
       Dazu kommt, dass Parlamentsabgeordnete, Medien und religiöse Führer alle
       Druck auf die britische Regierung ausüben. Deshalb muss sie jetzt
       reagieren, und sie hat dafür auch den notwendigen politischen
       Handlungsraum. Ich hoffe, dass sie mit etwas Ambitioniertem herauskommt und
       nicht nur ein paar Tausend Flüchtlinge mehr aufnehmen wird.
       
       Was kann eine Organisation wie Ihre tun, damit die Aufnahme von
       Flüchtlingen Teil des öffentlichen Selbstverständnisses in Großbritannien
       wird? 
       
       Wir versuchen, vor allem positive Geschichten über Flüchtlinge zu
       verbreiten und zu betonen, dass wir stolz darauf sein müssen, wenn wir
       Menschenleben retten können. Die Öffentlichkeit ist generell offen für die
       wahren Geschichten von Flüchtlingen, die sie mit Zuneigung aufnimmt.
       Zusätzlich betonen wir, dass die Flüchtlingskonvention 1951 gerade deswegen
       ins Leben gerufen wurde, damit europäische Länder nie wieder, wie während
       des Zweiten Weltkriegs, Flüchtlingen die Türen verschließen. Diese
       Konvention, an der britische Rechtsanwälte mitgearbeitet haben, kann man
       als britisches Rechtsdokument verstehen. Dieses wollte sicherstellen, dass
       Flüchtlinge an sichere Orte gelangen.
       
       10 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Zylbersztajn
       
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