# taz.de -- Science-Fiction von Jeff VanderMeer: Mutation in großem Stil
       
       > In der „Southern Reach Trilogie“ von Jeff VanderMeer wehrt sich die Natur
       > gegen die Unterdrückung durch den Menschen.
       
 (IMG) Bild: Beim Schriftsteller Jeff VanderMeer erobert sich die Natur den Menschen zurück.
       
       Freunde der Ursprünglichkeit mögen sich noch so sehr nach einer Einheit des
       Menschen mit der Natur sehnen: Die Beziehung der beiden ist einfach nicht
       danach. Genau besehen, kann die Natur sogar durchaus furchterregend sein.
       Ein Erdbeben sorgt sich nicht um mögliche Opfer, und auch das Verhältnis
       zwischen Mensch und Tier lässt sich kaum als ausgewogen bezeichnen. Selbst
       wenn Menschen irgendwann vollständig davon absehen sollten, andere Spezies
       zu essen, kann man umgekehrt von Raubtieren keinen Verzicht beim Verzehr
       von Menschenfleisch erwarten.
       
       Dass die Naturbeherrschung auch bei den Naturwissenschaften an Grenzen
       stößt, ist eine der narzisstischen Kränkungen, die der menschliche
       Erkenntnisdrang seit jeher erleiden muss. Diese Erfahrung treibt der
       US-amerikanische Schriftsteller Jeff VanderMeer in seiner „Southern Reach
       Trilogie“ ins Extrem. Bei ihm wird die Natur zu einem stummen
       Protagonisten, der den Menschen neue, unverständliche Regeln vorgibt. Die
       Wissenschaftler sind, gelinde gesagt, überfordert.
       
       Da eine direkte Kommunikation mit der Natur nicht möglich ist, müssen sich
       die Menschen, so gut es geht, an die veränderten Gegebenheiten anpassen.
       Und sie müssen ständig auf der Hut sein, denn es lauern unbekannte
       Gefahren.
       
       Irgendwo in einer entlegenen Küstenregion in Nordamerika hat sich die Natur
       nach einem nicht näher benannten „Ereignis“ zu verändern begonnen. Eine
       nebelartige Grenze umgibt seitdem die „Area X“. Forschertrupps, die dorthin
       geschickt werden, kehren oft in stark dezimierter Form zurück. Die wenigen
       Überlebenden sind seltsam verändert, viele sterben an einer Art
       beschleunigtem Krebs.
       
       Was alles bei einer solchen Erkundung schiefgehen kann, schildert
       VanderMeer in Band I, „Auslöschung“ ([1][taz vom 13. 9. 2014]), in dem eine
       anonyme Biologin ihre Erlebnisse mit ihren Forscherkolleginnen zwischen
       wissenschaftlicher Sprachlosigkeit und reinem Schrecken beschreibt. Am Ende
       wird sie die einzige Überlebende sein. VanderMeer findet dabei einen Ton
       der hellwachen Verstörung und schleichenden Angst, der das Buch zu einem
       grandios heimtückischen Auftakt macht.
       
       ## Misstrauen und Angst
       
       Der Irrsinn steigert sich im zweiten Band „Autorität“, in dem VanderMeer
       die Organisation vorstellt, von der die Expeditionen in Area X entsendet
       werden. „Southern Reach“ ist eine geheime Forschungseinrichtung am Rande
       der „Grenze“. Nachdem die Direktorin bei der Expedition von Band I ums
       Leben gekommen ist, soll ihr Nachfolger John Rodriguez in der
       dysfunktionalen Institution für Ordnung sorgen. Was sich als schwieriges
       Unterfangen herausstellt, da er auf Misstrauen und Angst stößt. Auch die
       Hinterlassenschaften der Direktorin geben Rodriguez mehr Rätsel auf, worum
       es sich bei Area X eigentlich handelt.
       
       Wie ein paranoider Detektiv versucht er die vorliegenden Materialien und
       die mitunter verschrobenen Verhaltensweisen seiner Mitarbeiter zu deuten.
       Er selbst steht unter Beobachtung der nächsthöheren Instanz, genannt
       Central, von der er regelmäßig kafkaeske Anrufe einer Stimme erhält, die so
       stark verzerrt ist, dass er nur mutmaßen kann, zu wem sie gehört. Dass
       Rodriguez bei der Arbeit auf den Namen „Control“ hört, erweist sich
       zunehmend als pure Ironie. Am Ende wird er gemeinsam mit der – mutmaßlichen
       – Biologin in Richtung Area X aufbrechen.
       
       Im abschließenden Band „Akzeptanz“ gibt VanderMeer dann zumindest ein paar
       Hinweise, was in Area X geschehen sein könnte. Die Natur erobert sich diese
       Gegend in rasender Geschwindigkeit zurück, die stark überwucherten Reste
       menschlicher Zivilisation sind längst verfallen. Es scheint wie eine
       Öko-Vision nach dem Vorbild von Büchern wie „Die Welt ohne uns“ von Alan
       Wiseman, bloß dass mit dieser Natur etwas nicht stimmt. Es gibt
       Irritationen, Risse, vor allem verändern sich die Menschen hin zu etwas
       anderem, Monströsen. Bis zuletzt werden die Leser nicht erfahren, zu was
       genau.
       
       ## Dubiose Experimente
       
       Dafür erfährt man, dass ein Leuchtturmwärter namens Saul Evans in die
       Entstehung von Area X involviert war. Was diese Mutation im ganz großen
       Stil letztlich ausgelöst hat, lässt VanderMeer nur ansatzweise
       durchblicken. Doch hat es wohl mit Experimenten zu tun, die eine dubiose
       „Séance & Science Brigade“ in Saul Evans’ Leuchtturm durchgeführt hat.
       VanderMeer arbeitet dabei mit wechselnden Perspektiven und Zeitebenen, er
       jongliert zwischen der Vorgeschichte von Area X, der Zwischenphase aus
       Sicht der Direktorin und der „Jetztzeit“, wie sie John Rodriguez in Area X
       erlebt.
       
       Am Ende werden sie mit vielen Fragen zurückbleiben. Auch ob es eine
       Katastrophe gegeben haben wird, bleibt offen. Klar hingegen ist: Die Natur
       verändert sich weiter. Es ist eine fantastische Einladung zum Selberdenken.
       
       4 Aug 2015
       
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