# taz.de -- Tierschutz in der Landwirtschaft: Tierhimmel gegen Hühnerhölle
       
       > Agrarfirmen zerstören die Umwelt und quälen Tiere. Da helfen nur mehr
       > kleine Biohöfe. Ist es so einfach? Wir sind der Sache nachgegangen.
       
 (IMG) Bild: Diesem Huhn scheint es ziemlich gut zu gehen
       
       NIEDERSACHSEN/BRANDENBURG/BAYERN taz | Mit einem Eimer und einem
       Schlagstock aus Holz bewaffnet, macht sich Gerd-Jürgen Paradies, 47 Jahre
       alt, auf den Weg in das gelb-weiße Federmeer. Der Landwirt trägt
       Plastikhandschuhe, einen blauen Overall und eine Basecap. Er läuft durch
       einen seiner beiden Hühnerställe in Niedersachsen. Zu seinen Füßen fiepen
       33.400 Hühner, die er für Wiesenhof mästet, für Deutschlands größten
       Geflügelfleischkonzern. Jedes hat weniger als ein DIN-A4-Blatt Platz, ins
       Freie dürfen sie nie.
       
       Nach einigen Minuten entdeckt Paradies ein Huhn, das auf dem Boden kauert.
       Das Tier kann nur kurz hüpfen, weder stehen noch zum Futter laufen.
       Vielleicht hat es eine Infektion an den Fußballen, die sich heilen ließe.
       Aber das wäre zu teuer. Weil Paradies in seinen beiden Ställen etwa 70.000
       Hühner hält, spielt ein einzelnes Tier in der Kalkulation keine große
       Rolle.
       
       Also packt der Landwirt das Huhn und haut ihm mit dem Knüppel auf den
       Schädel, um es zu betäuben. Dann dreht er ihm den Hals um. Knochen knacken.
       Blut fließt. Trotzdem bewegt sich der Körper noch. „Nee, der lebt nicht
       mehr. Das sind die Nerven, die zucken“, erklärt der Bauer und wirft den
       Kadaver in den Plastikeimer. So tötet Paradies Tag für Tag 10 bis 15
       Hühner.
       
       ## Mathilde pickt in einem Strohhaufen
       
       Martina Bressel, 54 Jahre, ist auch Landwirtin, aber sie hat auf ihrem Hof
       „Schwalbennest“ im brandenburgischen Pehlitz nur 20 Hühner. Deshalb ist ein
       Tier für sie – ökonomisch gesehen – viel wichtiger. „Wenn sich eins
       verletzt, kommt ein bisschen Wundspray drauf“, sagt Bressel. „Herausragende
       Persönlichkeiten haben Namen“, erzählt sie. Hinter ihr pickt Mathilde in
       einem Strohhaufen.
       
       Sie hält so wenige Tiere, damit genug Platz ist, dass sie auf ihrem kleinen
       Hof frei herumlaufen können. Dort legen sie sich in die Sonne oder wälzen
       sich im Staub. Paradies’ Hühner werden nach 40 Tagen geschlachtet, Bressels
       dürfen mehrere Jahre alt werden – wenn sie der Fuchs nicht vorher holt. Sie
       sollen ja auch nicht nur Fleisch liefern und kurz gemästet werden, sondern
       möglichst lange Eier legen. Noch nie hat Bressel ein Tier getötet, weil es
       sich an den Fußballen entzündet hat. Sie muss auch keine Kleidung tragen,
       die Infektionen der Tiere verhindern soll. Eine alte Wildlederjacke reicht.
       
       Es scheint ein klarer Fall: Der kleine Hof ist der Tierhimmel, der große
       die Hühnerhölle. Kleine Landwirte schonen die Natur, Agrarriesen vernichten
       Arten. Aber ist das wirklich so einfach? Die Betriebsgröße spiele nur eine
       geringe Rolle für das Wohlbefinden der Tiere, haben Berater des
       Bundeslandwirtschaftsministeriums kürzlich erklärt. Selbst ökologisch
       orientierte Forscher sagen, dass auch ein großer Betrieb Felder
       umweltfreundlich bewirtschaften könne. Und dass viele kleine Höfe ihre
       Tiere schlecht hielten. Dass die ganze Diskussion um Betriebsgrößen in die
       Irre führe, wenn es etwa darum geht, wer die jährlich 57 Milliarden Euro
       Agrarsubventionen der EU erhalten soll.
       
       ## Nur alle acht Jahre die gleiche Frucht
       
       Was Wiesenhof mit seinen Mästern in der Hühnerhaltung, ist die
       Aktiengesellschaft KTG Agrar unter den Ackerbauunternehmen der Republik:
       die Nummer eins. 36.000 Hektar – eine Fläche größer als ganz Dresden –
       bewirtschaftet der börsennotierte Konzern hier, den der gelernte Landwirt
       Siegfried Hofreiter leitet. Im brandenburgischen Nonnendorf etwa baut er
       Kartoffeln an. Ein Feld ist fünfmal so groß wie Kleinbäuerin Bressels
       ganzer Betrieb: 125 Hektar. Ein großer Acker lässt sich günstiger und
       schneller bearbeiten, weil die Traktoren darauf seltener wenden müssen.
       
       Vor allem, wenn die Pflanzen noch nicht aufgeschossen sind, wirken die
       gigantischen Felder aber auch ziemlich monoton. Dunkelbraune Erde weit und
       breit. Zwar wachsen an den Feldrändern Gras, Bäume und Büsche, in denen
       Tiere und Wildpflanzen leben können. Aber weil die Äcker so groß sind, gibt
       es auch weniger Feldränder.
       
       Auf dem Acker selbst hält sich die Artenvielfalt sowieso in Grenzen. In
       diesem Jahr wachsen hier Kartoffeln, die nächsten drei Jahre kommen andere
       Früchte, aber dann sind schon wieder Kartoffeln dran. Die Abwechslung für
       Insekten und Vögel ist also gering. Weniger Rücksicht auf die Artenvielfalt
       ist typisch für große Betriebe: Laut Agrarstatistik ernten sie im Schnitt
       pro Hektar mehr, auch weil sie mehr umweltschädliche Pestizide und Dünger
       aufs Feld kippen. KTG-Chef Hofreiter weist den Vorwurf zurück, dass große
       Betriebe eine kleinere Artenvielfalt böten, aber er sagt auch: „Der Markt
       entscheidet die Fruchtfolge.“ Im Vergleich zur rumänischen Agrarlandschaft
       etwa stünden hier viel mehr Bäume.
       
       Kleinbäuerin Bressel dagegen erntet nur alle acht Jahre die gleiche Frucht
       von einem Feld. Die Vielfalt auf ihrem Hof ist doppelt so groß wie auf dem
       Kartoffelacker von KTG. Bressel arbeitet nach der „biologisch-dynamischen“
       Methode. Das bedeutet etwa, dass sie auf allen Feldern auf Chemie
       verzichtet. Anders als der KTG-Betrieb in Nonnendorf betreibt sie sowohl
       Viehzucht als auch Ackerbau. Sie hält nur so viel Tiere, wie sie aus der
       eigenen Futterproduktion ernähren kann und zugleich so viele, dass der
       Düngerbedarf aus den hofeigenen Mistkomposten gedeckt werden kann.
       
       ## Der Mähdrescher durchquert Deutschland
       
       Vielfalt ist nicht die Stärke von KTG, es sind die niedrigen
       Produktionskosten. Die Maschinen bei KTG sind hochmodern. Die, die in
       Nonnendorf in Brandenburg Saatkartoffeln ins Feld legt, misst sechs Meter
       in der Breite, wiegt rund 4.000 Kilogramm und bringt in nur einer halben
       Stunde 6.000 Kilogramm Knollen in den Boden. Vorher fräst das Gerät mit
       Metallscheiben eine Rille ins Erdreich, danach formt es einen Damm über den
       Kartoffeln. Der Fahrer des Traktors, der die Maschine zieht, muss auf einem
       Bildschirm nur noch kontrollieren, ob alles funktioniert. So schaffen er
       und ein Kollege locker 40 Hektar am Tag.
       
       Der Traktor ermittelt via Satellit ständig seine Koordinaten und funkt sie
       und andere Daten in die Unternehmenszentrale. Das hilft den KTG-Leuten,
       ihre ungefähr 300 Mähdrescher, Trecker und anderen Fahrzeuge effizient
       einzusetzen. Dieses ständige Streben nach Effizienz spart eher nebenbei
       auch Rohstoffe und schont die Umwelt. Da das Unternehmen so viel Land
       bewirtschaftet, kann es seine Maschinen stärker auslasten als kleinere
       Firmen. „Bauer Meier fährt mit seinem 250.000-Euro-Mähdrescher 100 bis 150
       Betriebsstunden im Jahr, wir halt 1.000“, sagt Hofreiter. Einige seiner
       Mähdrescher arbeiten sich von Südostdeutschland nach Norden vor, dann
       setzen sie per Fähre nach Litauen über, wo KTG ebenfalls Ländereien hat,
       die zwei bis drei Wochen später erntereif als in Deutschland sind.
       
       Natürlich kann der Konzern auch billiger einkaufen als kleine Höfe: Es ist
       eben ein Unterschied, ob man nur 100 Liter Diesel oder die Ladung von sechs
       großen Tanklastzügen kauft – pro Tag.
       
       All das führt dazu, dass Hofreiter und seine Mitarbeiter von der
       Landwirtschaft im Großformat offenbar gut leben können. Zum Termin mit der
       taz fährt der Vorstandsvorsitzende in einer Luxusgeländelimousine vom Typ
       Porsche Cayenne vor. Einfache Traktoristen verdienten bei KTG 2.500 Euro
       brutto pro Monat, sagt Hofreiter. Kolonnenführer kämen auf 3.000 bis 3.500
       Euro. Und seine Betriebsleiter mit Agraringenieursdiplom bekämen 4.100 Euro
       oder mehr. Alle hätten auch regelmäßig Urlaub, mindestens die gesetzlich
       vorgeschriebenen 24 Werktage pro Jahr. Überprüfen lässt sich das von außen
       schwer. Die zuständige Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt sagt, sie habe
       keinen Kontakt zu KTG. Der taz hatte ein ehemaliger KTG-Mitarbeiter
       berichtet, dass er 2013 nur 6,50 Euro pro Stunde verdient habe. Aber selbst
       das wäre noch mehr, als viele Kleinbauern bekommen. KTG sagt, heute werde
       niemand bei ihnen so schlecht bezahlt.
       
       ## Ohne Geburtshilfe für Lämmer schläft sie besser
       
       Landwirtin Bressel hat seit 16 Jahren keinen einzigen Tag Urlaub genommen.
       „Das stört uns aber nicht“, sagt sie. „Wir leben da, wo andere Leute Urlaub
       machen.“ Ihr Hof liegt ja auch an einem See, umgeben von Hügeln. Ihre fünf
       Kinder würden gesund aufwachsen und sehen, „dass nicht alles vom Himmel
       fällt“. Sie ist stolz, wie viel Lebenserfahrung die Schülerpraktikanten bei
       ihr gewinnen, die regelmäßig auf den Hof geschickt werden, etwa von
       Waldorfschulen.
       
       Bressels Hände sind von harter Arbeit gezeichnet. Sieben Tage die Woche,
       365 Tage im Jahr steht sie in ihrem Hofladen, kümmert sich um ihre 130
       Schafe, 11 Rinder, ein paar Schweine, die eigene Käserei, die Felder,
       saisonabhängig kommen noch Enten und Gänse dazu. „Die Arbeitsbelastung ist
       extrem hoch“, sagt sie. „Eine gute Nacht für mich ist, wenn ich nicht
       aufstehen und in die Milchverarbeitung oder Geburtshilfe für ein Lamm
       leisten muss.“ Außer ihrem Mann und den Kindern helfen ihr zwei
       Freiwillige, die ihr ökologisches Jahr absolvieren oder
       Ökolandbau-Studenten.
       
       Auf die Frage, wie sich der Hof rechnet, antwortet Bressel: „Wir verdienen
       so viel, dass wir unsere Rechnungen bezahlen können – und das war’s.“ Wie
       das geht? „Wir fahren nicht in den Urlaub, kaufen keine neue Klamotten. Wir
       bekommen Wohngeld und so weiter.“ Und wenn Wiesenhof-Mäster Paradies abends
       im Schützenhaus schießt, im Fußballverein ist oder mit einer
       Musik-Comedy-Gruppe auftritt, muss Bressel Förderanträge und Formulare für
       die Unfallversicherung ausfüllen.
       
       ## Fixierte Tiere
       
       Ihre Familie hat einfach zu wenig Land und zu wenige Tiere, um genügend
       Geld zu verdienen für Angestellte, die ihr Arbeit abnehmen könnten.
       Agrarökonomen zufolge können nur sehr wenige kleine Höfe ganze Familien
       ernähren. Deshalb sagt auch Wiesenhof-Mäster Paradies, dass er 70.000
       Hühner halten müsse.
       
       Das liegt vor allem daran, dass die Verbraucher pro verkauftem Kilogramm
       Kartoffeln, Käse oder Fleisch so wenig zahlen. Die Marktpreise sind aber
       auch deshalb so niedrig, weil Betriebe wie KTG billiger produzieren können,
       indem sie auf ihren konventionellen Feldern tonnenweise Pestizide und
       Kunstdünger ausbringen. Und weil Mäster zum Beispiel von Wiesenhof
       zehntausende Tiere auf engstem Raum und ohne Auslauf halten.
       
       Lassen sich die Größenvorteile von KTG und Wiesenhof nicht einfach mit der
       guten Tierhaltung und der hohen Artenvielfalt von Bressels „Schwalbennest“
       kombinieren? Ausgerechnet Branchengigant KTG betreibt immerhin auf der
       Hälfte seiner Flächen in Deutschland und Litauen Ökolandbau. Zwar sind auch
       die Biofelder in Nonnendorf sehr groß, die Fruchtfolge nicht ganz so
       vielfältig wie beim Schwalbennest. Aber eben doch vielfältiger als im
       konventionellen Teil. Zudem sind chemisch-synthetische Pestizide und
       Kunstdünger verboten. „Wenn man sagt: Eigentlich ist die Biolandwirtschaft
       eher etwas für kleinstrukturierte Betriebe, dann beweist KTG, dass es auch
       anders geht“, meint Hofreiter.
       
       Kleine Höfe behandeln ihre Tiere auch nicht automatisch besser. Ein
       Beispiel aus Bayern: 20 Milchkühe, 40 Kälber und Jungtiere hält der Hof in
       Sichtweite der schneebedeckten Alpen, den dieselbe Familie seit dem 17.
       Jahrhundert führt. Aber die Rinder dürfen den dunklen Stall im Tiefparterre
       des historischen Bauernhauses nie verlassen – es sei denn, sie werden
       geschlachtet. Sie können sich kaum bewegen, jedes Tier ist mit einem
       Metallrahmen an einem Platz fixiert. Diese „Anbindehaltung“ gibt es noch
       besonders auf kleinen Höfen: meist, weil die Betriebe kein Geld haben, um
       einen Stall mit mehr Platz zu bauen.
       
       ## Alle rauszulassen dauert zu lange
       
       Viele Kleinbauern seien auch überfordert, sagt Hans-Joachim Götz, Präsident
       des Bundesverbands praktizierender Tierärzte. „Oft wissen die Leute gar
       nichts, etwa über Parasiten, wie die vorkommen und wie die behandelt werden
       müssen.“ Große Höfe dagegen würden häufig von jüngeren und besser
       ausgebildeten Landwirten geführt, so dass das Vieh dort gesünder sei.
       
       Natürlich: Sehr große Betriebe können ihren Tieren gar nicht oder nur noch
       schwer Auslauf gewähren. Es würde einfach zu lange dauern, 1.000 Kühe
       zweimal pro Tag in den Stall zum Melken zu treiben, und sie würden die Wege
       schnell kaputt trampeln.
       
       Auch wenn der kleine Hof im Durchschnitt tatsächlich besser ist für
       Artenvielfalt und Nutztiere, gibt es gravierende Ausnahmen. Ein kleiner Hof
       kann Tiere quälen, ein großer die Natur schützen. Es kommt auch auf die
       Einstellung an, auf das Know-how. Hektarangaben oder Tierzahlen haben wenig
       zu bedeuten. Dennoch fördert der Staat vor allem Unternehmen mit viel
       Fläche. Rund 70 Prozent ihrer Agrarsubventionen vergibt die Europäische
       Union vor allem als Direktzahlungen pro Hektar, weshalb Großbetriebe die
       höchsten Beträge bekommen.
       
       ## Der Experte empfiehlt: Direktzahlungen weg
       
       Auch nach der im Januar in Kraft getretenen Subventionsreform fragt die EU
       für das Gros der Beträge kaum wie tierfreundlich und umweltfreundlich der
       Hof wirtschaftet. Ergebnis: Hofreiters KTG kassiert bislang jährlich rund
       11 Millionen Euro Zuschüsse, Bressel 11.500 Euro.
       
       Mit diesem Subventionssystem könne der Staat seine Umweltziele nicht
       erreichen, urteilt Folkhard Isermeyer, Präsident des bundeseigenen
       Thünen-Agrarforschungsinstituts. Er rät: Direktzahlungen abschaffen. Das
       Geld solle der Staat lieber investieren, um Tierwohl und Umweltschutz in
       der Landwirtschaft zu fördern. Andere Experten fordern, wenigstens die
       Umweltauflagen für die Direktzahlungen drastisch zu verschärfen.
       
       KTG-Chef Hofreiter würde dann ein bisschen weniger verdienen, wenn er nicht
       noch mehr Äcker auf Bio umstellt. Wiesenhof-Mäster Paradies müsste seinen
       Hühnern Auslauf gewähren, um den Betrieb zu retten. Und Kleinbäuerin
       Bressel könnte vielleicht einen Angestellten bezahlen – und nachts schlafen
       statt zu arbeiten.
       
       Lesen Sie [1][hier] den Faktencheck zu den neun wichtigsten Aspekten
       kleiner und großer Höfe im Vergleich.
       
       15 Jun 2015
       
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