# taz.de -- Georgien und die neuen Kalten Krieger: "Das ist nicht 1968"
> 17 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion ist der Streit um die
> Neuaufteilung der Welt voll entbrannt. Mit 1968 ist 2008 aber nicht zu
> vergleichen.
(IMG) Bild: Diesmal kommen die Russen mit ihrer Invasion nicht so einfach durch wie 1968, rasselt Rice mit den Rhetorik-Ketten.
Nach Tagen der Zurückhaltung hat US-Präsident George W. Bush die Tonlage
gegenüber der russischen Regierung im Konflikt um Georgien verschärft. Er
bestand auf der territorialen Integrität Georgiens, das heißt: auf der
weiteren Zugehörigkeit der abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien
zum georgischen Staatsgebiet. Er schickte Militärtransportmaschinen und
Kriegsschiffe Richtung Georgien los, die nach seinen Worten allerdings nur
Hilfsgüter transportieren sollen. Und er sandte seine Außenministerin
Condoleezza Rice via Paris in die georgische Hauptstadt Tiflis.
Kurz vor ihrer Abfahrt erklärte die US-Außenministerin: "Das ist nicht 1968
und die Invasion in der Tschechoslowakei, wo Russland einen Nachbarn
bedrohen, die Hauptstadt besetzen, eine Regierung stürzen und damit
durchkommen konnte." Fast genau vierzig Jahre nach der Niederschlagung des
Prager Frühlings durch die Intervention der Warschauer Paktstaaten am 21.
August 1968 eine bemerkenswerte Analyse. Denn warum konnte die sowjetische
Regierung mit ihrer Militärintervention damals "durchkommen"? Ganz einfach:
Die USA signalisierten, dass sie dagegen nichts Ernsthaftes unternehmen
würden.
Die US-amerikanische Regierung respektierte mit ihrem Verhalten die
Aufteilung der Welt, genauer Europas, wie sie in den Abkommen der "Großen
Drei", der USA, der Sowjetunion und Großbritannien, in mehreren Konferenzen
und Abkommen während des Zweiten Weltkriegs beschlossen worden war. Gefragt
hat die betroffenen Staaten im östlichen Europa niemand, aber das entsprach
der damaligen imperialen Vorgehensweise in allen Fragen der Geopolitik.
Nach dem Konferenzort auf der Krim Anfang 1945 sprach man später - vor
allem in demokratisch-oppositionellen Kreisen Osteuropas - vom
"Jalta-System". Auch das Verhalten der USA beim Bau der Mauer in Berlin im
August 1961 folgte der Logik dieses Systems der Aufteilung.
Speziell für die sozialistischen Reformkräfte um Alexander Dubcek war die
Niederschlagung des Prager Frühlings deswegen besonders bitter, weil sie
nicht daran dachten, das von der Sowjetunion dominierte Bündnissystem zu
verlassen und sich dem amerikanisch dominierten Bündnis anzuschließen. Die
Begründung der Militärintervention, die demokratischen Reformen hätten das
Land gegenüber dem eindringenden westlichen Kapitalismus wehrlos gemacht,
hatten keine Faktengrundlage. Wahrscheinlich waren die tschechoslowakischen
Kommunisten die Einzigen, die eine erdrückende Bevölkerungsmehrheit auf
ihrer Seite wussten.
Die stillschweigende Anerkennung der sowjetischen Kontrolle über Ost- und
Ostmitteleuropa durch die USA war eine bittere Pille für die unterworfenen
Völker. Andererseits hatte die beiderseitige Klarstellung der
Einflusssphären eine lange Phase des Friedens in Europa zur Folge. Das
Helsinki-Abkommen von 1975 mit seinen subversiven menschenrechtlichen
Aspekten baute auf dem Jalta-System auf.
Rice Ausspruch "das ist nicht 1968" konstatiert zunächst einmal, dass das
Jalta-System und die damit verbundene Aufteilung der Welt zwischen zwei
Supermächten seit 1991, dem Zerfall des Sowjetimperiums, nicht mehr
existiert. Daraus folgt aber, dass es auch hinsichtlich der Staaten, die
früher zur Sowjetunion gehörten, seitens der USA keine (offene oder
stillschweigende) Respektierung von Einflusszonen gibt. Speziell in den
drei transkaukasischen und den fünf zentralasiatischen ehemaligen
Sowjetrepubliken haben die USA seit den frühen 90er-Jahren Fuß gefasst. Sie
reagierten damit auf eine längere außenpolitische Schwächeperiode der
russischen Föderation. Diese Staaten sind Bestandteil der russisch
dominierten GUS, der "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten", versuchen aber,
sich der russischen Einflussnahme zu entziehen.
Die russische Strategie gegenüber diesen Absatzbewegungen besteht zum einen
im ökonomischen Druck, den das Land aufgrund seiner Energie- und
Rohstofflieferungen ausüben kann. Zum anderen setzt die russische Regierung
die Methode ihrer sowjetischen Vorgängerin fort, in den Republiken des
"nahen Auslands" die dortigen Minderheiten gegen die nach Unabhängigkeit
strebende Titularnation auszuspielen. In Georgien also die Abchasen und
Osseten gegen die Georgier, in der Republik Moldau die Transnistrier gegen
die Moldauer und so weiter.
Dabei spielt die Unterstützung durch das russische Militär eine große
Rolle. Denn die Methoden des klassischen Hegemonialsystems, also ein
Bündnissystem mit indirekten Formen der Beherrschung, wie es die USA im
westlichen Europas aufgerichtet hatten, funktioniert unter den Bedingungen
der Nationalitätenkonflikte in der zerfallenen Sowjetunion nicht.
Die amerikanische Politik gegenüber Georgien sendet schon seit Längerem
widersprüchliche Signale aus. Einerseits bildet sie die georgische Armee
aus, führt Manöver unter Beteiligung amerikanischer Soldaten durch und
setzt sich nachdrücklich für die Aufnahme Georgiens in die Nato ein.
Andererseits reiste Außenministerin Rice Anfang Juli nach Tiflis, um - nach
Information hoher USA-Diplomaten - den georgischen Präsidenten eindringlich
vor einem militärischen Abenteuer gegen Südossetien zu warnen. Rice soll
klargemacht haben, dass die georgischen Streitkräfte diese
Auseinandersetzung nicht gewinnen und seitens der USA mit keiner
militärischen Unterstützung rechnen könnten. Offensichtlich hat
Saakaschwili diese Warnung nicht ernst genommen, als er in Südossetien
einfiel.
Deshalb hat Condoleezza Rice bei ihrer Erklärung noch eine Kleinigkeit
übersehen. 2008 war es Georgien, das in das abtrünnige Territorium
einmarschierte und damit die - überzogene und zerstörerische - Reaktion
Russlands heraufbeschwor. Von entsprechenden militärischen Aktionen der
Tschechoslowakei im August 1968 ist hingegen nichts bekannt.
15 Aug 2008
## AUTOREN
(DIR) Christian Semler
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