# taz.de -- Diakonie-Helfer Tommy Ramm: "Ich kann keine Gewalt bestätigen"
       
       > Tommy Ramm ist mit der Diakonie Katastrophenhilfe auf Haiti. Er sagt,
       > noch habe er keine Plünderungen beobachten können, die Medien hätten
       > aufgebauscht. Das könne aber ganz schnell umschlagen.
       
 (IMG) Bild: Relative Ordnung: Haitianer stehen bei den UN für Jobs an.
       
       taz: Herr Ramm, gibt es tatsächlich Massenplünderungen und
       Vergewaltigungen, wie Nachrichtenagenturen berichten? 
       
       Tommy Ramm: Es mag zwar mit den vergehenden Tagen mehr Unruhe und natürlich
       Verzweiflung bei vielen Menschen geben, die in Wut und Gewalt umschlägt,
       aber ich kann keine Gewaltatmosphäre bestätigen, was oft berichtet wird.
       Von Zwischenfällen wie Plünderungen wurde punktuell berichtet, und nachts
       hört man ab und zu Schüsse, aber die Stadt ist noch weit davon entfernt,
       von marodierenden Banden heimgesucht zu werden. Es herrscht auch fünf Tage
       nach wie vor relative Ruhe, obwohl es so gut wie keine Polizisten auf den
       Straßen gibt. Das ist eher überraschend.
       
       Auch aus eigenen Beobachtungen empfinde ich die Meldungen aufgebauscht.
       Liegt das an dem Druck, gute Storys zu liefern? 
       
       Vielleicht ist der Grund eher darin zu suchen, dass Haiti seit je das
       Stigma eines gewalttätigen Landes mit regelmäßigen sozialen Unruhen trägt.
       Außerdem sind bei solchen Katastrophen Plünderungen und Gewalt oft die
       Folge. Meldungen von Übergriffen werden deshalb gern aufgebauscht. Was aber
       nicht heißen soll, dass es in wenigen Tagen tatsächlich nicht zu mehr
       Gewalt kommen kann. Das hängt im Besonderen von der Versorgung der Menschen
       ab.
       
       War das Krisenmanagement effektiv? 
       
       In den ersten Tagen war das Krisenmanagement völlig überfordert. Das hat
       seine Gründe: Der bisher schon schwache Staat hat praktisch aufgehört zu
       existieren. Der UN-Sitz wurde zerstört, und viele NGOs im Land haben
       ebenfalls Opfer und immense Schäden zu beklagen, was sie arbeitsunfähig
       gemacht hatte. Wertvolle Tage sind dadurch verloren gegangen.
       
       Was braucht Haiti jetzt dringend? 
       
       Haiti braucht für die kommenden Monate eine gut koordinierte Nothilfe. Das
       sind die chirurgische Ausstattung für Operationen und eine langfristige
       medizinische Versorgung. Neben Wasser und Nahrungsmitteln fehlen Zelte,
       Decken und Plastikplanen, um die tausende Flüchtlinge in den Lagern zu
       versorgen. Diese werden vermutlich lange Zeit dort bleiben müssen, denn der
       Wiederaufbau benötigt Jahre. Das Krisenmanagement ist für lange Zeit
       notwendig. Vermutlich über Monate und der Wiederaufbau danach über viele
       Jahre.
       
       Sehen Sie eine Chance für Haiti, aus dieser menschlichen, politischen und
       sozialen Katastrophen herauszukommen? Ist die ungeheure Zerstörung eine
       Möglichkeit zum Neuanfang? 
       
       Haiti wird zwangsläufig einen Neuanfang suchen müssen, denn das alte Haiti
       ist zerstört. Die Hauptstadt gleicht einem Trümmerfeld, die staatlichen
       Strukturen haben sich praktisch aufgelöst, und die Menschen leben seit
       Dienstag in alle Winde zerstreut. Von einer Chance zu sprechen geht meines
       Erachtens zu weit. Zu viele Menschen sind gestorben. Zunächst muss
       aufgepasst werden, dass das Land in den kommenden Tagen und Wochen nicht
       aufgrund der prekären Versorgungslage in Gewalt versinkt. Wenn das
       gesichert ist, kann man an eine bessere Zukunft denken, die über die
       kommenden Jahre konstruiert werden muss.
       
       Gehen Sie davon aus, dass die Verheerungen im Südwesten der Insel noch
       schlimmer sind als die in Port-au-Prince? 
       
       Die Zerstörungen etwa in Leobane sollen ähnlich verheerend gewesen sein wie
       in der Hauptstadt. Augenzeugen berichten, dass die Stadt dem Erdboden
       gleichgemacht worden sei. In anderen Städten und Ortschaften sind die
       Zerstörungen eventuell geringer. Aber das Problem ist, dass in den
       ländlichen Zonen noch unklar ist, wer wo und wie Hilfe leistet und wo die
       Menschen betroffen sind. Dort könnte die Tragödie mit der Zeit verheerend
       wirken.
       
       19 Jan 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hans-Ulrich Dillmann
       
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