# taz.de -- Trittin über längere AKW-Laufzeiten: "Rolle rückwärts"
       
       > Neuere Meiler werden noch Jahrzehnte laufen, meint Grünen-Fraktionschef
       > Jürgen Trittin, trotzdem die Bevölkerung dagegen sei. Die Energiepolitik
       > der Union hält er für eine Kampfansage.
       
 (IMG) Bild: Betrachtet die Entscheidung für längere Laufzeiten als Kampfansage: Jürgen Trittin.
       
       taz: Herr Trittin, wenn die Bundesregierung die Laufzeiten der
       Atomkraftwerke tatsächlich um durchschnittlich zwölf Jahre verlängern
       würde, wann ginge dann das letzte Atomkraftwerk in Deutschland vom Netz? 
       
       Jürgen Trittin: Wahrscheinlich um die Mitte des Jahrhunderts. Auch unsere
       Kinder und Enkel hätten dann noch mit dieser gefährlichen Technologie zu
       tun.
       
       Die Regierung redet nur von 8 Jahren Verlängerung für alte und 14 Jahren
       für neuere Kraftwerke. Wieso prognostizieren Sie einen längeren Zeitraum? 
       
       Von den alten Atomkraftwerken können die Betreiberfirmen Strommengen auf
       neuere Anlagen übertragen. Einzelne Meiler dürfen dann noch mehrere
       Jahrzehnte Strom produzieren. Würde die Bundesregierung allerdings eine
       solche Entscheidung treffen, so landete diese hundertprozentig vor dem
       Bundesverfassungsgericht. Selbst Gutachter der Regierung unterstreichen,
       dass der Bundesrat, in dem Schwarz-Gelb keine Mehrheit hat, beteiligt
       werden müsste - was die Regierung ablehnt.
       
       Mit einer befristeten Brennelementesteuer und einem Beitrag zum Ausbau der
       erneuerbaren Energien sollen die Atomkonzerne zwischen 2011 und 2016 rund
       15,5 Milliarden Euro an den Staat zahlen. Danach müssen sie weitere 15
       Milliarden Euro an einen Ökoenergiefonds überweisen. Ist das ein fairer
       Ausgleich? 
       
       Nein. Die Landesbank Baden-Württemberg hat in einer Studie errechnet, dass
       die vier Unternehmen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW dank der ausgedehnten
       Laufzeiten zwischen 119 und 233 Milliarden Euro Zusatzgewinne machen
       werden. Angesichts dessen sind selbst 30 Milliarden Euro ein billiger
       Ablass. Die Kurssprünge für die Atomkonzerne an der Börse sprechen Bände.
       Analysten der DZ Bank stellten erleichtert fest, dass die Beiträge der
       Versorger zur Förderung von erneuerbaren Energien deutlich geringer
       ausgefallen seien als befürchtet, ja sie seien "weitgehend zu
       vernachlässigen".
       
       Bei der Verlängerung der Laufzeit der AKWs kann sich die Regierung auf die
       verbreitete Angst vor dem Klimawandel berufen. Haben sich die Grünen in
       ihrer strikten Ablehnung längerer Laufzeiten verrannt? 
       
       Keineswegs, mehrheitlich ist die Bevölkerung gegen längere Laufzeiten.
       
       Neuen Umfragen zufolge ist die Ablehnung der Atomkraft aber nicht mehr so
       stark ausgeprägt wie vor 20 Jahren. 
       
       Die Ablehnung der Atomkraft in der Bevölkerung wird selbst durch
       interessengeleitete Umfragen bestätigt. Die Menschen haben verstanden, dass
       wir die risikoreichen Atomkraftwerke für die Sicherheit unserer
       Energieversorgung nicht brauchen. Schon heute exportiert Deutschland Strom.
       Außerdem verringern längere Laufzeiten die Treibhausgase um kein Gramm.
       
       Wenn die Atomkraftwerke länger laufen und die erneuerbaren Energien
       hinzukommen, kann man die alten Kohlekraftwerke abschalten. Ist das kein
       Vorteil für das Klima? 
       
       RWE, Eon und Co. haben nicht die Absicht, Kohlekraftwerke abzuschalten. Sie
       wollen ihren Strom aus abgeschriebenen Altanlagen exportieren. Dafür bauen
       sie weiter auf die atomare Hochrisikotechnologie. Die Katastrophe von
       Tschernobyl liegt erst 24 Jahre zurück.
       
       Die Grünen haben sich in den vergangenen Jahren mit dem Gedanken
       angefreundet, nicht nur mit der SPD, sondern auch mit der Union zu
       regieren. Ist diese Option nun gestorben? 
       
       Was wir gerade beim Thema Energiepolitik von der Union geboten kriegen,
       sind Kampfansagen, keine Koalitionsangebote. Auf Bundesebene ist eine
       Regierungszusammenarbeit mit dieser Union nicht möglich. Wer mit Grün
       koalieren will, muss bereit sein, Merkels Rolle rückwärts in der
       Energiepolitik aufzuhalten und gegebenenfalls rückabzuwickeln.
       
       6 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
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