# taz.de -- Erika Steinbachs Doppelspiel: Unverhohlene Drohung an Merkel
       
       > Erika Steinbach teilt aus: Die Chefin des Vertriebenenbundes holzt gegen
       > "linke Schickeria" und droht mit einer Partei rechts der Union. Ihr
       > zentrales Ziel will sie aber nicht riskieren.
       
 (IMG) Bild: Will die CDU "noch" vor einer neuen Partei rechts der Union bewahren: Erika Steinbach, Chefin des Vertriebenenbundes.
       
       BERLIN taz | Gut tausend Vertriebene sind zum "Tag der Heimat" nach Berlin
       gekommen, dem jährlichen Treffen des Bundes der Vertriebenen (BdV). Ein
       Routinetermin, doch diesmal ist es anders. Denn BdV-Chefin Erika Steinbach
       hat sich mit ihrer Partei, der Union, angelegt. Streitpunkt ist ein Text
       des BdV-Funktionärs Hartmut Saenger. Und Steinbachs Satz, dass Polen 1939
       gegen Deutschland militärisch zuerst mobilgemacht habe. Die Mehrheit der
       Unionsfraktion hält dies für eine inakzeptable Relativierung deutscher
       Kriegsschuld, Steinbach verteidigt sich vehement. Alle Mitglieder unseres
       Verbandes, ruft sie, "sind durch und durch Demokraten". Die Unterstellung,
       dass der BdV "revanchistisch" sei, findet sie "ungeheuerlich".
       
       Das Publikum hört der 40-minütigen Rede kopfnickend zu. Es gibt kaum
       Zwischenrufe, auch keine Standing Ovations. Nur einmal regt sich empörtes
       Grummeln im Saal, als Steinbach mitteilt, dass SPD und Grünen keine
       Vertreter zum Tag der Heimat entsandt haben. Steinbach wettert gegen die
       Grünen, die "die Klappe halten sollen", polemisiert gegen Linksliberale,
       die sich heuchlerisch um Flüchtlinge "in Afrika oder Asien" kümmerten,
       anstatt sich deutscher Vertriebener anzunehmen.
       
       Grund der aktuellen Aufregung ist ein Text von Hartmut Saenger, Sprecher
       der Pommerschen Landesmannschaft, der 2009 in einem Artikel über den Beginn
       des Zweiten Weltkriegs abenteuerliche Thesen entwickelte. 1939 habe es "bei
       allen europäischen Großmächten eine erstaunliche Bereitschaft zum Krieg"
       gegeben. England und Frankreich hätten Polen gegen Deutschland "den Rücken
       gestärkt", Polen hätte daher Hitler gegenüber kompromisslos "mit Krieg"
       gedroht. "Im März 1939 machte Polen sogar gegen Deutschland mobil." Deshalb
       habe sich Hitler, gewissermaßen bedroht von Frankreich, Polen und England,
       mit Stalin notgedrungen einen Verbündeten gesucht. Von einer Kriegsschuld
       Hitlers ist bei Saenger keine Rede. Vielmehr machte, so das Resümee,
       "England den Krieg um Danzig zu einem weltweit ausgetragenen Krieg". Im
       Klartext: England hat, unterstützt von Polen, den Zweiten Weltkrieg auf dem
       Kerbholz. Steinbach verteidigte Saenger, weil diese Fakten "zum Grundwissen
       jedes Zeithistorikers gehören".
       
       Am Samstag in Berlin präsentiert sich Steinbach diplomatischer. Es gibt
       zwar die üblichen Angriffe gegen die linksliberale Öffentlichkeit, doch
       wichtiger ist, was sie nicht sagt. Der Zentralrat der Juden lässt seit
       einer Woche aus Protest gegen die BdV-Funktionäre Saenger und Arnold Tölg
       seine Mitgliedschaft im Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung
       Versöhnung ruhen. Die Stiftung aber ist Steinbachs zentrales Ziel, der
       Rückzug des Zentralrats ein herber Rückschlag für den BdV. In ihrer Rede
       kommt dies nicht vor. Nur nicht wieder Öl ins Feuer gießen. Auch über den
       Eklat im Unionsfraktionsvorstand, als sie mit Kanzlerin Merkel
       aneinandergeriet, fällt kein Wort. Ihre angekündigte markige Verteidigung
       von Saenger fällt allgemein aus, sie erwähnt nicht einmal seinen Namen.
       Steinbach will, zumindest heute, keinen Streit, nicht mit der Union, nicht
       mit dem Zentralrat der Juden. Denn beide braucht der BdV für die Stiftung.
       
       Auch Horst Seehofer, bayerischer Ministerpräsident, schlägt eine
       harmonische Tonart an. Er lobt die Arbeit des BdV und ganz besonders
       Steinbach und ruft mit Pathos in den Saal: "Solange ich Ministerpräsident
       bin, werden wir als Bayern an der Seite der Heimatvertriebenen stehen."
       Applaus ist ihm sicher. Man will symbolische Anerkennung hören und
       Abgrenzung von der bösen Welt da draußen. Die Zuhörer sind, wie etwa die
       Linkspartei-Mitglieder in Berlin-Hohenschönhausen, meist jenseits des
       Rentenalters.
       
       Steinbach zeigte aber im Interview in der Welt am Sonntag wieder ihre
       andere, provokative Seite. Die CDU sei dabei, "den Ton der linken
       Schickeria" zu übernehmen, der Kurs von Merkel sei grundfalsch. Eine neue
       konservative Partei sei möglich, aber "noch" wolle sie die CDU davor
       bewahren. Eine unverhohlene Drohung an Merkel. Als kraftvolle Basis einer
       neuen Rechtspartei kommen die Vertriebenen, so wie sie sich am Samstag
       präsentierten, aber nicht in Betracht.
       
       12 Sep 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Eklat um Vertriebenen-Präsidentin: Der Fall Erika Steinbach
       
       Erika Steinbach wird für die Union zur Belastung. Kanzlerin Merkel
       entschuldigte sich bei Polens Premier Tusk. Die Grünen wollen Steinbachs
       Stiftung auf Eis legen.
       
 (DIR) KOMMENTAR MERKEL VS NEUE RECHTSPARTEI: Der Kompass der Kanzlerin
       
       Merkel verteidigt die bundesdeutsche Staatsräson. Genau das kann und muss
       man von einer Bundeskanzlerin, egal welcher Partei, erwarten.
       
 (DIR) SPD über Vertriebenen-Vorsitzende: "Eine Giftmischerin"
       
       Opposition und Zentralrat der Juden kritisieren Erika Steinbach scharf.
       CDUler Bosbach verteidigt ihre Äußerungen – doch die historischen Fakten
       sind eindeutig.
       
 (DIR) Steinbachs Rückzug aus CDU-Führung: "Ich stehe immer mehr allein"
       
       Nach ihren auch in der CDU umstrittenen Äußerungen zur deutschen
       Kriegsschuld hat Erika Steinbach angekündigt, sich aus der CDU-Führung
       zurückzuziehen – nicht ohne Warnung an die Partei.
       
 (DIR) Interview zu Polens Haltung zum BdV: "Bund der Vertriebenen ist lächerlich"
       
       Die Angst vor dem BdV ist in Polen verschwunden, sagt der
       Deutschland-Experte Bartosz Wielinski. Denn man weiß, wie gering sein
       Einfluss heute ist.
       
 (DIR) 60 Jahre Charta der Vertriebenen: Verhöhnung statt Versöhnung?!
       
       Neuer Ärger um die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung".
       Grünen-Chefin Claudia Roth wirft Stiftungs-Vertretern Nähe zu
       Rechtsextremismus vor. Ein Gastbeitrag