# taz.de -- 60 Jahre Charta der Vertriebenen: Verhöhnung statt Versöhnung?!
> Neuer Ärger um die Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung".
> Grünen-Chefin Claudia Roth wirft Stiftungs-Vertretern Nähe zu
> Rechtsextremismus vor. Ein Gastbeitrag
(IMG) Bild: Erika Steinbach in der Kritik: "Wer so redet, betrachtet die Stiftung als seinen Privatbesitz", meint Grünen-Chefin Claudia Roth.
Mit der Besetzung des Stiftungsrats geht das nicht enden wollende
Trauerspiel um die Vertriebenenstiftung in eine neue Runde. Nun sind zwei
Vertreter des BdV entsandt worden, die absolut nicht geeignet sind, in
einem Gremium, das Versöhnung zum Zweck hat, mitzuarbeiten: Arnold Tölg und
Hartmut Saenger. Beide bedienen sich Argumentationsmustern, wie sie im
Revanchismus und Rechtsextremismus weit verbreitet sind.
Arnold Tölg hat in der rechtskonservativen ,Jungen Freiheit' gegen die
Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern gewettert und noch im Dezember 2009
die ablehnende Haltung von Erika Steinbach zu einer verbindlichen
Festschreibung der deutsch-polnischen Grenze verteidigt. Hartmut Saenger
hat in der "Preußischen Allgemeinen Zeitung' wohlwollend ein Buch des
Geschichtsrevisionisten Gerd Schultze-Rhonhof besprochen, das die deutsche
Schuld am Zweiten Weltkrieg relativiert. Mit solchen Einlassungen versöhnen
die beiden Vertriebenenvertreter nicht, sie verhöhnen die Opfer der
NS-Diktatur und provozieren unsere Nachbarländer. Beide sind nicht
geeignet, den Stiftungszweck der Aussöhnung mit unseren Nachbarn
voranzubringen.
Kritik an beiden Vertretern kommt unter anderem von Salomon Korn oder von
Raphael Gross, dem Direktor des Fritz-Bauer-Instituts, der dem
wissenschaftlichen Beirat der Stiftung angehört. Ich unterstütze diese
Kritik ausdrücklich. Gut ist auch, dass aus der SPD kritische Töne kommen,
z.B. von Angelica Schwall-Düren, die im Stiftungsrat sitzt - und die wir im
Vorfeld über die ungeeigneten Kandidaten informiert haben. Ich hätte es gut
gefunden, wenn die SPD-Fraktion sich auch im Bundestag bei der Abstimmung
eindeutig verhalten hätte.
Vollkommen inakzeptabel ist es, wie Erika Steinbach jetzt auf die Kritik
reagiert. Sie sagt, Arnold Tölg sei ein ehrenwerter Mann - basta! Und wer
etwas gegen die Vertreter des BdV einzuwenden habe, könne ja die Stiftung
verlassen. Wer so redet, der betrachtet die Stiftung als seinen
Privatbesitz. Doch es geht hier um eine mit Steuergeldern finanzierte
Stiftung, die den Auftrag der Versöhnung hat.
Der Vorgang zeigt auch, dass eine Untersuchung zu der NS-Verstrickungen von
Funktionären in der BdV-Verbandsgeschichte überfällig ist. Raphael Gross
hat sie gerade wieder gefordert - und Frau Steinbach selbst hatte sie ja
einmal angekündigt. Offensichtlich will man dieses Kapitel beim BdV lieber
mit Schweigen übergehen.
Die Hauptverantwortung für das ganze Schlamassel um die Vertriebenstiftung
aber liegt bei der Regierungskoalition. Ende 2009/Anfang 2010 ließ die
Kanzlerin den Konflikt mit dem Bund der Vertriebenen und Frau Steinbach
lange schleifen. Sie duckte sich einfach weg. Damals ging es um Frau
Steinbachs Anspruch, Mitglieder des Stiftungsrats benennen zu können ohne
weitere Einflussnahme durch die Regierung. Natürlich dachte Frau Steinbach
bei der Benennung von Stiftungsratsmitgliedern vor allem an sich selbst,
was die Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarländern unerträglich
belastet hätte.
Um diesem Konflikt aus dem Weg zu gehen, flüchtete die Regierung in einen
faulen Kompromiss. Damit Frau Steinbach von ihrem Anspruch abließ, musste
die Zahl der Stiftungsratsmitglieder aus den Reihen des BdV verdoppelt
werden. Um das Einknicken vor den Ansprüchen von Frau Steinbach zu
kaschieren, musste die Regierung eine noch weitergehende Vergrößerung des
Stiftungsrats vornehmen, von 13 auf 21 Mitglieder, was die
Handlungsfähigkeit des Gremiums deutlich einschränkt. Im Stiftungsrat gibt
es nun eine ganze Phalanx von BdV-Vertreter, verstärkt um Unionspolitikern
aus dem BdV-Spektrum. Kritische Stimmen sind in der Minderheit. Opfer von
Flucht und Vertreibung wie Muslime oder Sinti und Roma kommen überhaupt
nicht vor.
Das Problem mit der Benennung inakzeptabler Stiftungsratsmitglieder ist
nicht zuletzt dem undemokratischen Verfahren geschuldet, das die
Koalitionsmehrheit in diesem Frühjahr ebenfalls beschlossen hat. Die
Bundesregierung wollte die Verantwortung los sein und schob sie deshalb dem
Bundestag zu - aber mit einem Verfahren nach dem Motto „Friss, Vogel, oder
stirb“. Der Bundestag wird dabei als Abnickgremium für eine Blockwahl
missbraucht. Er kann nur noch über eine Gesamtliste abstimmen, die man ihm
vorlegt. Unsere Befürchtung, dass durch die Einführung einer
Listenabstimmung ungeeignete Vertreter durchgedrückt werden, hat sich
gleich bei der ersten Besetzung bestätigt.
Wir haben jetzt eine unhaltbare Lage: Mindestens zwei BdV-Vertreter sind
absolut untragbar. Wichtige Opfergruppen fehlen. Die internen Spannungen
sind massiv. Und die ausländischen Wissenschaftler im Wissenschaftlichen
Beirat der Stiftung haben sich längst schon verabschiedet.
In dieser Lage kann die Stiftung ihren Versöhnungsauftrag nicht mehr
leisten. Deshalb brauchen wir jetzt eine Denkpause. Die ganze
Stiftungs-Konstruktion ist schief und muss dringend überdacht werden. Wenn
die Stiftung überhaupt noch einen Sinn machen soll, dann wird es ohne einen
grundlegenden Neustart nicht gehen. Was wir auf keinen Fall riskieren
dürfen, ist ein politischer Schwelbrand in den Beziehungen zu unseren
östlichen Nachbarn.
4 Aug 2010
## AUTOREN
(DIR) Claudia Roth
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