# taz.de -- Harsche Kritik am Gentestgesetz: „Mit heißer Nadel gestrickt“
       
       > Die drei großen Wissenschaftsakademien fordern eine umfassende
       > Überarbeitung des Gendiagnostikgesetzes. Es sei nicht praxistauglich,
       > sagen die Wissenschaftler.
       
 (IMG) Bild: DNA-Proben werden für die Analyse vorbereitet.
       
       BERLIN taz | Drei große Wissenschaftsorganisationen fordern eine
       Überarbeitung des [1][Gendiagnostikgesetzes]. Dieses Gesetz, das seit
       Februar 2010 die medizinische Anwendung von genetischen Tests regelt,
       entspräche in wesentlichen Teilen "nicht dem aktuellen Stand der Technik"
       oder die Vorgaben seien nicht "praxistauglich", so das Resümee einer
       Mittwochabend in Berlin vorgestellten [2][gemeinsamen Stellungnahme der
       Nationalen Akademie der Wissenschaften, der Leopoldina], der Deutschen
       Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und der
       Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW).
       
       Das noch von der rot-schwarzen Koalition verabschiedete Gesetz sei mit
       "heißer Nadel" gestrickt worden, sagte der Heidelberger Kinderarzt und
       Humangenetiker Professor Claus Bartram, der das Positionspapier der
       Wissenschaftsakademien mit erarbeitet hat.
       
       Nach Ansicht der Wissenschaftsorganisationen müssten mindestens sechs der
       27 Absätze des Regelwerks geändert werden. Zum Teil behindere das Gesetz
       sogar die Durchführung von medizinisch wichtigen Untersuchungen, heißt es
       in dem Papier.
       
       Kritisiert wird in der Stellungnahme unter anderem, dass das
       Gendiagnostikgesetz auch das "Neugeborenenscreening als genetische
       Reihenuntersuchung" bewerte. Für diesen Test werden dem Kind unmittelbar
       nach der Geburt einige Tropfen Blut aus der Ferse entnommen, das in
       Deutschland dann anschließend auf insgesamt 12 angeborene
       Stoffwechselkrankheiten untersucht wird.
       
       Die häufigste angeborene Stoffwechselerkrankung ist die Phenylketonurie
       (PKU), die zu schweren Entwicklungsschäden führen kann. Betroffene Kinder
       können die Aminosäure Phenylalanin nicht abbauen. Mit einer eiweißarmen
       Diät kann die Erkrankung verhindert werden. Jährlich werden etwa 700.000
       derartige Blutuntersuchungen (Stand 2004) durchgeführt.
       
       Dabei werden mit chemischen Analysemethoden Stoffwechselprodukte
       untersucht. Da aus diesen Ergebnissen auch Rückschlüsse auf die genetische
       Ausstattung des Kindes möglich sind, hatte der Gesetzgeber diese
       Untersuchung auch in den Regelungsbereich des Gendiagnostikgesetzes mit
       aufgenommen.
       
       "Dies hat zur Folge, dass vor der Blutentnahme eine genetische Beratung der
       Eltern zu erfolgen hat. Säuglingsschwestern und Hebammen, die bisher die
       Blutabnahme vorgenommen haben, dürfen dies nicht mehr in eigener
       Zuständigkeit tun", heißt es in der Stellungnahme. Bei einer Reihe von
       Betroffenen werde dies "zur Manifestation lebenslanger Behinderungen
       führen", warnen die Wissenschaftler.
       
       Ob und in welchen Ausmaß das Neugeborenenscreening nicht mehr stattfindet,
       bleibt in der Stellungnahme offen. Dort heißt es lediglich sehr vage: "Es
       gibt bereits Hinweise darauf, dass seit Inkrafttreten des
       Gendiagnostikgesetzes, etwa bei Hausgeburten oder bei Eltern, die nicht
       hinreichend Deutsch sprechen, das Neugeborenenscreening unterbleibt, obwohl
       dies keineswegs dem Wunsch der Eltern entspricht."
       
       Des Weiteren fordern die Akademien, dass die im Gendiagnostikgesetz
       festgelegte Aufbewahrungsfrist von zehn Jahren verlängert wird. Nach zehn
       Jahren muss ein Arzt die genetischen Untersuchungsergebnisse vernichten, es
       sei denn, der Patient verlange die weitere Aufbewahrung oder schützenswerte
       Interessen des Patienten sprechen dagegen.
       
       Hier fordern die Wissenschaftler, dass eine unbefristete Aufbewahrung
       möglich sein soll. Weitere Änderungswünsche betreffen die Schweigepflicht
       der Ärzte oder die Anforderungen an die humangenetische Beratung. Auch wird
       eine Verkaufs- und Werbeverbot für Gentests im Internet gefordert.
       Insgesamt 22 "wichtige Empfehlungen" haben die Wissenschaftsakademien
       formuliert.
       
       Die schon im September 2009 von den drei Wissenschaftsorganisationen
       eingesetzte Arbeitsgruppe zur Erstellung des Positionspapier hatte
       ursprünglich nicht die Aufgabe, eine Kritik des Gendiagnostikgesetzes
       auszuarbeiten und Änderungswünsche zu formulieren.
       
       Das sei erst später hinzugekommen, nachdem die große Koalition das
       Gendiagnostikgesetz verabschiedet hatte, erklärte der Präsident der
       Leopoldina, Professor Jörg Hacker. "Wir hatten uns schon viel früher dazu
       entschieden, eine Stellungnahme zur prädiktiven genetischen Diagnostik
       vorzulegen."
       
       Darunter werden all die genetischen Untersuchungen verstanden, mit denen
       nach erst später auftretenden Erbkrankheiten oder nach Risikopersonen dafür
       gefahndet werden kann. Oftmals - wie etwa bei dem erblichen Brust- oder
       auch Darmkrebs - können nur Aussagen über ein erhöhtes Krankheitsrisiko
       gemacht werden.
       
       Ob überhaupt und wann die Erkrankung auftritt, darüber können die
       Humangenetiker keine konkrete Aussage machen. Das bringt noch zusätzliche
       Probleme mit sich. So möchten manche Menschen gar nicht wissen, ob sie ein
       Risiko-Gen besitzen - besonders wenn es keine Möglichkeit gibt diese
       Krankheit aufzuhalten oder zu behandeln. Die Alzheimererkrankung ist nur
       ein Beispiel dafür.
       
       Unser Gesundheitssystem sei gar nicht auf diese prädiktiven Gentests
       vorbereitet, heißt es in der Stellungnahme. Vor allem aber müssten sich
       auch die Öffentlichkeit und die Politik mit diesen Gentests beschäftigen.
       
       12 Nov 2010
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.gesetze-im-internet.de/gendg/index.html
 (DIR) [2] http://www.leopoldina-halle.de/cms/de/politik/empfehlungen-und-stellungnahmen/nationale-empfehlungen/praediktive-genetische-diagnostik.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolfgang Löhr
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bundesverfassungsgericht
       
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