# taz.de -- Schwacher Anti-AKW-Protest in Lubmin: Gorleben ist nicht überall
       
       > Der Widerstand gegen den Castortransport nach Lubmin war überschaubar.
       > Zumindest wenn man ihn mit Gorleben vergleicht. Aber warum ist das so?
       
 (IMG) Bild: Ein kleines Grüppchen Verwegener. Unterwegs in den Schneeweiten bei Lubmin.
       
       Nun ist der Castortransport aus dem französischen Aix-en-Provence also in
       Lubmin angekommen. Und der Protest hielt sich in Grenzen - diesen Eindruck
       zumindest vermittelten am Donnerstag Nachrichtenagenturen und
       Onlinemedienberichte. Ist der Schwung der Protestbewegung von Gorleben also
       schon jetzt verpufft?
       
       Dieses Bild stimmt so nicht. Bundesweit waren Mittwoch und Donnerstag
       insgesamt viele hundert Atomkraftgegner auf den Straßen und Schienen. Sie
       demonstrierten mit Mahnwachen, mit Lichterketten und Traktoren oder
       blockierten an mehreren Stellen Gleise - im Schneetreiben und bei
       Minustemperaturen. Greenpeace- und Robin-Wood-Leute seilten sich über der
       Strecke ab. Auch "Schotterer" waren am Bahngleis zwischen Rostock und
       Stralsund am Werk.
       
       Gleichwohl ist klar: Lubmin ist nicht Gorleben. Die Auftaktdemo am Samstag
       in Greifswald war zwar die bislang größte Antiatomkraft-Aktion in
       Mecklenburg-Vorpommern. Trotz bundesweiter Mobilisierung kamen aber weniger
       als die erwarteten 4.000 Menschen. Zum Vergleich: Zu Beginn der
       Castorproteste im Wendland versammelten sich Anfang November rund 50.000
       Demonstranten auf einem Acker bei Dannenberg.
       
       Warum? Einige begründen das so: Die Fuhre bestand aus vier Castorbehältern
       - nicht aus elf, wie vor sechs Wochen in Gorleben. Und anders als beim
       Transport ins Wendland stammen die nun ins Zwischenlager "Nord" gebrachten
       abgebrannten Brennstäbe auch nicht aus kommerziellen Atomkraftwerken,
       sondern aus Forschungsreaktoren.
       
       Diese Unterschiede sind allerdings marginal. Sie erklären nicht, warum in
       Gorleben so viel mehr Menschen protestierten als in Lubmin. Gründe dafür
       könnten gewesen sein, dass der Castortransport nach Lubmin erst kurzfristig
       angekündigt worden war und die genaue Bahnroute, die er nehmen würde, nicht
       bekannt war. Vor allem hat Gorleben für die Anti-AKW-Bewegung einfach schon
       immer eine besondere Bedeutung. Auch wenn bundesweit "Flaute" herrschte,
       blieb der Protest im Wendland ein Kristallisationspunkt. Im Gegensatz zu
       Lubmin, wo im Grunde allein der Bund das Sagen hat, sind im Wendland
       regelmäßig auch kommunale Gremien mit dem "Entsorgungs"-Standort befasst.
       
       An einem Tag stimme in Lüchow-Dannenberg der Gemeinderat über einen
       Flächennutzungsplan ab, am nächsten diskutiere der Kreistag über ein
       Demonstrationsverbot, am dritten beschließe der Landtag den Bau einer neuen
       Polizeikaserne, sagt Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative (BI)
       Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. "Ständig stehen Entscheidungen an, die nach
       politischen Antworten und Reaktionen verlangen. Du hast gar keine Zeit,
       dich zurückzulehnen und zu sagen: Na ja, wollen wir's mal zwei, drei Jahre
       ruhiger angehen lassen."
       
       Heißt: Der Protest rund um Gorleben ist in der Region seit Jahrzehnten tief
       verwurzelt. Neben der BI mischen die Bäuerliche Notgemeinschaft, die
       Gorleben-Frauen, die SeniorInnen von der Initiative 60, Schülergruppen oder
       unabhängige Castor-Komitees mit.
       
       Vieles davon fehlt in Lubmin. Die Gorlebener Verhältnisse sind einzigartig.
       Sie sind auf Greifswald nicht zu übertragen - und auf andere Atomstandorte
       genauso wenig. Speziell im Nordosten hat der Antiatomkraftprotest keine
       große Tradition - und findet auch nicht mit einer solchen Kontinuität
       statt. Bei früheren Castortransporten nach Lubmin demonstrierten allenfalls
       ein paar Dutzend Umweltschützer.
       
       Daran gemessen, hat sich in den vergangenen Monaten sehr viel getan. Der
       Widerstand ist gewachsen, er hat sich organisiert, die
       Antiatomkraftbewegung ist auch in Mecklenburg-Vorpommern politisch
       interventionsfähig geworden - das zeigen etwa die Teilnahme von
       Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) an der Demo in Greifswald, das
       Aufgebot von mehreren tausend Polizisten zum Schutz des Atommülltransports
       oder der Einsatz des Kranwagens gegen Greenpeace-Blockierer.
       
       Dass es Bilder und Massenproteste wie in Gorleben nicht gab, ist kein
       Makel. Selbst wenn es "nur" hunderte gewesen wären, verdienen die
       Dezember-Camper, Demonstranten und Blockierer von Lubmin denselben Respekt
       wie die aus dem Wendland.
       
       17 Dec 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reimar Paul
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Atommüll teurer als geplant: Millionen für die Atomsuppe
       
       Die Entsorgung des Strahlenschrotts der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe
       wird wohl 250 Millionen Euro teurer als geplant. Die Industrie ist fein
       raus. Der Castor startet.
       
 (DIR) Atommüll nach Lubmin: Neuer Castor, neuer Protest
       
       Der Castor rollt: Mitte Februar ist ein Atommüll-Transport ins
       mecklenburg-vorpommersche Lubmin geplant. Atomkraftgegner in ganz
       Deutschland bereiten sich auf Proteste vor.
       
 (DIR) Castor-Transport: Drohungen nach Protesten
       
       Nach den Blockadeaktionen gegen den Castor-Transport nach Lubmin fordert
       der Innenminister Schadenersatz von den Aktivisten.
       
 (DIR) Der Protest der Integrierten: Öko hui, Arme pfui
       
       Die Republik bewegt sich wieder. 2010 ging es viel um den Bahnhof in
       Stuttgart und die Anti-Atom-Bewegung. Doch die soziale Frage geriet dabei
       ins Abseits. Eine Bilanz.
       
 (DIR) Castor-Transport nach Lubmin: 50 Stunden bis zur Ostsee
       
       Der Castor-Transport hat Lubmin an der Ostsee erreicht. Wegen vieler
       Proteste verzögerte sich die Fahrt um etliche Stunden. Inzwischen ist eine
       Diskussion um die "Wegtragegebühr" entbrannt.
       
 (DIR) Castor-Transport nach Lubmin: Atomprotest im Schneegestöber
       
       Zum ersten Mal reist aus Westdeutschland stammender Atommüll ins
       Zwischenlager Lubmin bei Greifswald. An vielen Stellen auf der Strecke gab
       es Proteste.
       
 (DIR) Castor nach Lubmin: Einer ist raus ausm Betonblock
       
       Der Castor steht – aufgehalten durch eine Beton-Blockade von "Robin Wood".
       Rund 4.000 Beamte sind im Einsatz. Blockaden, Demos, Mahnwachen. taz.de
       berichtet live von den Protesten.
       
 (DIR) Bei Saarbrücken: Castor hat Grenze passiert
       
       Der Castor-Transport aus dem französischen Caderache in Richtung Lubmin hat
       gegen 14 Uhr die deutsch-französische Grenze passiert. Am Mittag war er
       gestoppt worden – wegen eines Bombenfundes.