# taz.de -- Zukunft der Erneuerbaren: Intelligent vernetzte Ströme
       
       > Vom Harz bis in die Sahara ist vom "Internet der Energie" die Rede.
       > Techniker, die die grüne Wende schaffen wollen, arbeiten an dieser
       > Utopie.
       
 (IMG) Bild: Solarkraftwerk in in der Mojave-Wüste in Kalifornien.
       
       Vom Druiberg aus betrachtet ist das mit der Energiewende kein Problem. Auf
       dem Hügel im Harz bläst der Wind unermüdlich, mächtige Windräder erzeugen
       Strom - die alten Modelle lärmen wie ein Schwarm Killerbienen, die neuen
       dagegen rauschen sanft wie ein weit entfernter Bach. Ein Teil der Ernte von
       den umliegenden Äckern wandert zur Stromerzeugung in Biogasanlagen.
       
       Am Fuß des Hügels ruht Dardesheim, eine 1.000-Seelen-Gemeinde, wie aus
       einem Imagefilm für erneuerbare Energien: Der Ortskern ist gerahmt von
       roten Backsteinhäusern, auf den Dächern schimmern blaue Solarzellen, eine
       Anzeigentafel zeigt, wie viel Kohlendioxid eingespart wird. In der Schule
       experimentieren die Kinder mit Solarmodulen und Mini-Windmühlen.
       
       "Die Zukunft beginnt im Harz" - mit diesem Slogan warb die Region kürzlich
       auf der weltgrößten Industrieshow, der Hannover Messe. Fukushima war keine
       vier Wochen her und die milliardenschwere Ökoindustrie wollte in Hannover
       zeigen, dass sie in die Bresche springen kann. Selbst Atomkonzerne druckten
       sich Windräder vor blauem Himmel auf ihre Messestände.
       
       In Hannover gewinnt man den Eindruck, dass überall in Deutschland
       entwickelt und investiert wird: in billigere, stärkere Windräder, dünnere
       Solarzellen, die aus weniger Material mehr Leistung herausholen, und vor
       allem in eine Infrastruktur, die Energie sparsamer und intelligenter
       einsetzt. Die grüne Technik soll die Energieversorgung des 21. Jahrhunderts
       sichern. Ab 2050 soll Deutschland nicht nur ohne Atom, sondern auch fast
       ohne Kohle auskommen, fast hundert Prozent seines kompletten
       Energiebedarfs, also zum Heizen, für Mobilität sowie Strom, können dann
       auch aus erneuerbaren Quellen kommen. 2010 waren es nicht einmal zehn
       Prozent. Die Energiewende soll sicher, zuverlässig und bezahlbar sein.
       
       ## Die dumme Stromversorgung
       
       Das Problem dabei: Kohle, Öl und Erdgas sind nichts anderes als gewaltige
       Energiespeicher aus Jahrmillionen von Sonneneinstrahlung. Man kann sie im
       Keller stapeln und in Tanks füllen und dann verheizen oder verstromen, wenn
       es eben nötig wird. Windmühlen und Solarzellen produzieren dagegen
       wetterabhängig. Was also passiert, wenn es Nacht ist oder kein Lüftchen
       weht? Woher kommt dann der Strom?
       
       Der kann theoretisch in andere Energieformen umgewandelt und so gespeichert
       werden: etwa in Stauseen, in die das Wasser hochgepumpt wird, oder in Form
       von Druckluft, die in alte Erdgasspeicher gepresst wird. Beides kann bei
       Bedarf Turbinen antreiben, die wieder Strom erzeugen - Techniken, die schon
       heute verwendet werden. Künftig soll Strom zudem genutzt werden, um aus
       Wasser Wasserstoff abzuspalten oder mit CO2 zu Erdgas weiter zu veredeln.
       Auch das sind Stromspeicher.
       
       Allerdings geht je nach Technologie bis zur Hälfte des eingesetzten Stromes
       verloren, auch die Anlagen sind teuer. Entscheidend für eine günstige grüne
       Energieversorgung ist deshalb, so wenig wie möglich Geld in Speicher
       stecken zu müssen. Und dazu braucht es: das Netz. Das bedeutet, dass es den
       Kühlschrank in Dardesheim künftig interessieren könnte, wenn in der Wüste
       Nordafrikas ein Sandsturm ansteht.
       
       Momentan allerdings ist die Stromversorgung zu dumm für so etwas. Deshalb
       darf ein Wörtchen nie fehlen, wenn irgendjemand irgendetwas über die
       Zukunft der Energieversorgung äußert: "smart". Das Stromnetz ist auf einmal
       ein "smart grid", der Haushalt wird zum "smart home", Mannheim zur "smart
       city" und Stromzähler nennen sich "smart meter". Die Unternehmen der
       deutschen Elektro- und Informationstechnik halten nach einer Umfrage des
       Verbandes VDE intelligente Stromnetze nach der Energieeffizienz für den
       wichtigsten Markt der Zukunft.
       
       Intelligente Stromnetze sollen künftig dafür sorgen, dass Strom dann
       verbraucht wird, wenn ihn Wind und Sonne liefern. Schon heute ist bei
       starkem Wind und langer Sonnenstrahlung das Stromnetz derart vollgepumpt
       mit Energie, dass diese sogar verschenkt wird. Dank exakter Wetterdaten
       kann gegenwärtig bereits mit 24 Stunden Vorlauf vorhergesagt werden, wie
       viel Strom die regenerativen Quellen liefern.
       
       Künftig soll der Strompreis auch für Privathaushalte schwanken, mit Vorlauf
       und je nach Angebot. Einige Geräte im Haushalt können ihn dann verbrauchen,
       wenn er günstig ist. Bei viel Wind und damit viel Strom kühlen sich alle
       Kühlschränke einfach ein paar Grad zusätzlich ab. Der Verbraucher passt
       sich also dem Stromangebot an, weil es günstiger ist. Das löst das Problem
       des unsteten Ökostroms zwar nicht vollständig, mindert es aber zumindest.
       
       Dieses "smart grid" nennen manche auch "smart shit": Sie befürchten
       Cyberkriminalität und Datenklau. Denn wenn künftig alle Geräte und
       Kraftwerke vernetzt sind, werde ein "Internet der Energie" entstehen, das
       genauso anfällig ist wie das World Wide Web. Aus den Steuerdaten für
       Haushaltsgeräte ließe sich dann nämlich ziemlich genau ablesen, wann in
       einem Haushalt Kaffeemaschine, Fernseher oder Haartrockner laufen. Bereits
       seit Anfang 2010 müssen intelligente Stromzähler in jedes neue Haus oder
       bei jeder großen Renovierung eingebaut werden. Ein Horror für
       Datenschützer. Die detaillierte Erfassung des Energieverbrauchs könne zu
       Verletzungen der Persönlichkeitsrechte führen, warnen sie.
       
       ## Virtuelle Kraftwerke in der Probe
       
       Zurück nach Dardesheim. Die Zukunft, von der dort die Rede ist, heißt
       ebenfalls Vernetzung. Die Idee nennt sich "virtuelles Kraftwerk" oder
       schlicht Kombikraftwerk. Windmühlen, Solarzellen und Biogasanlagen sind
       überall in der Landschaft verteilt, können aber so gesteuert werden, dass
       sie wie ein fossiles Kraftwerk an einem Standort wirken.
       
       Auf der Hannover Messe ist die Leitzentrale eines solchen Kraftwerkes
       aufgebaut. Auf den Monitoren stapeln sich in Echtzeit Balken, die zeigen,
       wie viel Strom gerade welche Anlage liefert: Windstrom in Blau zuckt nach
       oben und unten wie der DAX in der Finanzkrise. Der gelbe Sonnenstrom ist
       weniger überraschend in der Nacht nicht vorhanden, um 12 Uhr mittags ist
       der Balken sehr hoch. Das grüne Biogas lässt sich immer dann in Strom
       verwandeln, wenn die Windkraft streikt, auch Wasserkraft könnte diesen Job
       übernehmen.
       
       Das Projekt zeigt: Regenerative Energien können sich gegenseitig
       ausgleichen, wenn sie in einem intelligenten Netz regional
       zusammengeschaltet werden. Theoretisch zumindest, denn momentan werden die
       Anlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz bezahlt, nach dem es Geld
       gibt, wenn Strom ins Netz kommt - egal wann. Doch in ein paar Jahren läuft
       diese Art der Vergütung aus, dann muss sich die Ökoenergie dem Markt
       stellen. Möglicherweise im Verbund eines Kombikraftwerkes.
       
       Kurt Rohrig ist einer der Beteiligten des Projekts, doch er denkt noch viel
       weiter. Formal ist er stellvertretende Institutsleiter des Fraunhofer
       Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel, 53 Jahre alt
       und so was wie der Prophet, auf den jetzt alle hören. Er gehört zu den
       Wissenschaftlern, bei denen nach Fukushima die Politiker anriefen, um zu
       erfahren, wie das denn schneller gehen kann, mit der grünen
       Energieversorgung in Deutschland. "Nicht in Deutschland, in Europa"
       verbessert er. Nur wenn der ganze Kontinent seine Energieversorgung
       gemeinsam gestalten, klappt es mit der grünen Wende.
       
       "Windkraft liefert bereits zuverlässig Strom. Man muss sie nur aus der
       Distanz betrachten", sagt Rohrig. Europaweit gleichen sich verschiedene
       Wetterlagen und jahreszeitliche Schwankungen aus, so dass immer irgendwo
       genug Wind bläst. Liegt über Norddeutschland ein flaues Hoch, muss irgendwo
       ein benachbartes Tief für kräftigen Wind sorgen. Aber was ist mit
       Extremwetterlagen? Kälteeinbruch von Neapel bis Oslo?
       
       "Wir haben das für einen Zeitraum von zehn Jahren komplett durchgerechnet",
       sagt Rohrig. Ergebnis: Mit den vorhandenen Netzen müsste Europa acht
       Prozent seines jährlichen Strombedarfs speichern, um auch für den
       Extremfall gewappnet zu sein. Mit einem idealen Netz wäre es gerade mal ein
       Zehntel davon. Ideal heißt, dass Windstrom absolut flexibel überall hin
       geleitet werden kann. Zur Not von Südspanien nach Berlin.
       
       Hinter Rohrigs Schreibtisch hängt eine Karte mit den Stromtrassen, die
       bereits heute durch Europa führen. Von England bis in die Ukraine und die
       Türkei, eine führt sogar nach Marokko. Allerdings gibt es überall Engpässe,
       das ideale Netz ist noch weit entfernt. Die EU hat deshalb bereits seit
       Jahren die wichtigsten transeuropäischen Stromtrassen definiert.
       
       Das erste Stück des großen Traums vom Ausbau der Netze soll sogar nach
       Afrika führen. Die Idee treibt die im Juli 2009 ins Leben gerufene
       "Desertec Industrial Initiative" (Dii) an, eine riesige Industrie-Allianz.
       Zu den Gründern zählen die Deutsche Bank, die Münchner Rück, Eon, RWE, aber
       auch Solarfirmen wie Schott. Mittlerweile sind es 19 Mitglieder, darunter
       auch spanische, italienische und französische Firmen.
       
       ## Kamel mit Solarpanelen auf den Höckern
       
       Bei der Dii in München arbeiten etwa dreißig Menschen an dieser ziemlich
       großen Idee: in der nordafrikanischen Wüste Sonnenstrom erzeugen, in
       gewaltigem Ausmaß. 17 Prozent der Stromversorgung in Europa sollen damit
       gedeckt werden, allerdings erst 2050. Das erste Projekt ist verwirklicht
       und hängt als Poster an einer Bürotür: Es handelt sich um ein Kamel, das
       zwei Solarpanele auf den Höckern trägt und von einem Beduinen durch die
       Wüste gezogen wird.
       
       Ein kleiner Scherz des Teams um Paul van Son, den Vorsitzenden der Dii, der
       das ganze Projekt umsetzen soll. "Wir leben in einer historischen Zeit",
       sagt er und malt in seinem Büro Zeitskalen in die Luft, um das Ende der Ära
       von Kernenergie und fossilen Energieträgern zu skizzieren.
       
       Desertec ist quasi das Gegenteil eines Kombikraftwerks. Es ist ein
       gigantischer Plan, eine "Aufgabe für Generationen", wie es Claudia Kemfert
       nennt, die führenden Energieökonomin in Deutschland. Das Deutsche Zentrum
       für Luft- und Raumfahrt hat errechnet: 2.500 Quadratkilometer müssten in
       der Wüste mit Parabolspiegeln bedeckt werden. Sie bündeln Sonnenlicht, um
       mit der Hitze Turbinen anzutreiben. Die Kraftwerke können auch nachts Strom
       produzieren, weil die Hitze kurze Zeit problemlos in Flüssigsalz-Tanks
       gespeichert werden kann. Die Technik ist ausgereift, in Kalifornien und
       Spanien liefern derartige Kraftwerke seit Jahren Energie.
       
       In Nordafrika könnten sie quasi nebenbei ein Großteil des Strombedarfs der
       Länder in der Region decken. Falls die Kraftwerke mit Meerwasser statt mit
       Luft gekühlt würden, könnte zudem genug Trinkwasser für Millionen von
       Menschen erzeugt werden. Allerdings müssen dazu circa 3.600 Kilometer
       Gleichstrom-Leitungen nach und durch Europa gelegt werden. Gesamtkosten
       etwa 400 Milliarden Euro, wobei Desertec keinen Hehl daraus macht, dass das
       alles nur grobe Schätzungen sind. Zum Vergleich: Greenpeace hat errechnet,
       dass die deutsche Atomwirtschaft mit mindestens 204 Milliarden Euro
       subventioniert wurde, die Investitionen der Privatwirtschaft nicht
       mitgerechnet. Damit deckte sie 2010 28 Prozent des Strombedarfs - in
       Deutschland, nicht in Europa.
       
       Kritische Stimmen zu Desertec gibt es. Der verstorbene SPD-Politiker und
       ehemalige Vorsitzende von Eurosolar, Hermann Scheer, fürchtete, mit
       Desertec werde nur die Struktur des fossilen Energiezeitalters kopiert:
       Großkraftwerke, in den Händen weniger Konzerne, die die Preise diktieren.
       Rohrig dagegen hält das Projekt für sinnvoll. Es sei eine gute Ergänzung
       zur regionalen, dezentralen Versorgung etwa mit Kombikraftwerken. Sie
       können kaum genug Energie für die großen Industriezentren liefern. Ähnlich
       sieht es auch Kemfert. "Der Wettbewerb bei regenerativen Großkraftwerken
       ist voll entbrannt. Das ist ein gutes Zeichen. Aus EU-Sicht sind diese
       Projekte essenziell", sagt sie, auch in Bezug auf die großen Windparks im
       Meer. Diese Milliardeninvestitionen schultern ebenfalls Großkonzerne.
       
       ## Energieregion Orient und Europa
       
       Auch die EU steht hinter Desertec. Günther Oettinger und van Son kennen
       sich gut, der EU-Energiekommissar ist ein Fan des Wüstenstroms. Erst
       kürzlich veröffentlichten die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und
       Nachbarschaftskommissar Stefan Füle ihre neue europäische
       Nordafrika-Politik.
       
       Teil dessen ist eine "Energiegemeinschaft EU-Südlicher Mittelmeerraum". Es
       geht um "Erzeugung und Management von Energie aus erneuerbaren
       Energieträgern, insbesondere von Solar- und Windenergie". Das solle auch
       die Umwälzungen in Ägypten und Tunesien unterstützen - auch wenn man vorher
       bereitwillig mit den alten Regimen verhandelt hat.
       
       Wohlstand, Wasser, Jobs und Perspektive für die Menschen im Nahen Osten und
       in Nordafrika verspricht sich die EU. Es sei gar das perfekte
       "Anti-Terror-Programm", heißt es auf der Desertec-Webseite. Orient und
       Europa wachsen zu einer Energieregion zusammen - mit wechselseitigen
       Abhängigkeiten, was nach liberaler These der beste Weg zum Frieden ist. Das
       klingt wie die messianischen Erwartungen, die man in den 50er Jahren der
       Kernkraft entgegenbrachte.
       
       "Ich bin kein Öko, ich versuche, die Dinge rational zu sehen", sagt van Son
       dazu und rückt ein paar Vorurteile zurecht: "Desertec ist kein konkretes
       Projekt, wir stellen hier keinen Businessplan über 400 Milliarden auf. Es
       ist eine Entwicklung, die wir in Gang setzen wollen." Noch hat keine Firma
       viel mehr als die 75.000 Dollar Dii-Jahresbeitrag bezahlt. Momentan sieht
       es in den Räumlichkeiten der Initiative aus wie in einem stinknormalen
       Ingenieurbüro. Man rechnet, was geht, und knüpft Kontakte in alle Welt.
       
       Van Son sagt, ohne die lokale Bevölkerung in Nordafrika zu gewinnen, werde
       kein Solarkraftwerk Realität. "Ohne soziale Akzeptanz und Teilhabe der
       lokalen Bevölkerung an Solar- und Windprojekten ist nichts möglich. Das ist
       ein Wirtschaftsfaktor." Andererseits will die Wirtschaft vor allem eins:
       Das Zeug soll sich rechnen. Momentan kalkulieren sie in München das erste
       Modellprojekt durch. Ein Sonnenkraftwerk in Marokko, mit 500 Megawatt
       Leistung, so viel wie ein eher kleiner Atomreaktor. Vier Fünftel des
       Stromes soll nach Europa. EU oder Weltbank werden das Projekt unterstützen
       müssen. Die ersten 10 bis 15 Jahre, so van Son, werden die Kosten des
       Wüstenstroms über den Marktpreisen liegen. "Die nächste Generation wird die
       Früchte ernten", sagt er.
       
       Dardesheim erntet bereits heute. Die Gemeinde exportiert Energie und vor
       allem eine Vision. Selbst der indische Minister für erneuerbare Energien
       war schon hier und soll im Helikopter begeistert ausgerufen haben: Auch
       Indien solle eine solche Kombination aus Solar- und Windkraft haben.
       
       22 Apr 2011
       
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