# taz.de -- Aufstand in Syrien: Für Kompromisse ist es zu spät
       
       > Offiziellen Angaben nach wurden in Jisr al-Shughour 120 Polizisten und
       > Soldaten getötet. Oder wurden Meuterer exekutiert? Sicher ist derzeit
       > nur, dass die Lage eskaliert.
       
 (IMG) Bild: Setzt auf die harte Linie: Der syrische Präsident Baschar al Assad hier auf einem Plakat in Damaskus.
       
       KAIRO taz | Bei der Beschreibung dessen, was in dem nordsyrischen Ort Jisr
       al-Shughour geschehen ist, klaffen die Versionen der Ereignisse weit
       auseinander. Das syrische Staatsfernsehen verkündete am Montagabend, dass
       120 Mitglieder des Sicherheitsapparates dort umgekommen sein sollen,
       nachdem "bewaffnete Banden" in dem Ort Regierungsgebäude angegriffen,
       angezündet und die herbeigerufenen Verstärkungen in einen Hinterhalt
       gelockt hätten.
       
       Die Soldaten sollen teilweise verstümmelt und in den Fluss Orontes geworfen
       worden sein. Adnan Mahmoud, ein Regierungssprecher, gibt zu, dass die
       Truppen "zeitweise die Kontrolle verloren" hatten, nachdem, Einheimische
       den Sicherheitsapparat zu Hilfe gerufen hätten, um die Ordnung wieder
       herzustellen.
       
       Aufständische vor Ort berichten dagegen von einer mehrere zehntausend
       Menschen umfassenden Demonstration, die von Sicherheitskräften beschossen
       worden sei. Dabei seien mehrere Dutzend Protestierende umgekommen. Aber
       auch aus ihren Reihen verlautet, dass es später zu Schießereien gekommen
       sei.
       
       ## Große Militäraktion erwartet
       
       Was genau geschah, lässt sich nicht von unabhängiger Seite feststellen.
       Ausländische Journalisten sind im ganzen Land nicht zugelassen. Doch die
       Vorfälle in Jisr al-Shughour bedeuten eine Eskalation im Kampf zwischen
       Aufständischen und dem Regime. Innenminister Ibrahim Shaar kündigte bereits
       eine "starke und einschneidende Reaktion" an.
       
       Erwartet wird nun eine große Militäraktion in dem Gebiet, das nur 20
       Kilometer von der türkischen Grenze entfernt liegt und das in den letzten
       Tagen in den Fokus der syrischen Aufstandsbekämpfung gerückt war. Einwohner
       haben auf Facebook Hilferufe gepostet, in denen sie ein bevorstehendes
       Massaker befürchten.
       
       Die erste Möglichkeit ist, dass die offizielle Version wahr ist. Das würde
       bedeuten, dass zumindest auf lokaler Ebene Aufständische zu den Waffen
       gegriffen haben. Seit Tagen läuft unter syrischen Dissidenten auch auf
       Facebook und im Interent eine Diskussion über die weitere Strategie und die
       Frage, wie lange man es zulassen kann, dass Regimetruppen auf friedliche
       Demonstranten schießen.
       
       Die Aufständischen diskutierten auch, wie die Demonstrationen geschützt
       werden könnten. Möglicherweise wurde in Jisr al-Shughour erstmals der
       Beschluss gefasst, sich dem Regime bewaffnet entgegenzustellen.
       
       Die zweite Variante wäre, dass das syrische Regime die Meldung lanciert
       hat, um damit ein noch brutaleres Vorgehen gegen den friedlichen Protest zu
       rechtfertigen. In der vergangenen Woche ist deutlich geworden, dass sich in
       Syrien eine neue Kultur des Widerstandes etabliert hat, mit
       Demonstrationen, die nicht mehr nur ein paar Tausend, sondern ein mehrere
       Zehntausend Menschen umfasst haben und damit kaum mehr zu kontrollieren
       sind.
       
       Es mehren sich die Meldungen, dass der Sicherheitsapparat sich aus
       bestimmten Gebieten vollkommen zurückgezogen hat.
       
       ## Nichts lässt sich unabhängig prüfen
       
       Als drittes besteht schließlich die Möglichkeit, dass es sich bei den toten
       Soldaten und Polizisten um Meuterer handelt, die sich geweigert haben,
       einen Schießbefehl auf die Demonstranten auszuführen und exekutiert wurden.
       Die Version des staatlichen Fernsehen wäre dann eine klassische
       Vertuschungsoperation.
       
       Auf Youtube existiert ein Video, auf dem tote Soldaten zu sehen sind, die
       angeblich wegen Befehlsverweigerung erschossen wurden. Ort und Zeitpunkt
       des Videos lässt sich aber nicht unabhängig überprüfen.
       
       Es kursieren auch Berichte, dass innerhalb der Sicherheitskräfte Kämpfe
       ausgebrochen sind, die allerdings noch nicht die Qualität einer großen
       offenen Meuterei erreicht haben. "Die Soldaten kamen in unsere Richtung,
       als sie von anderen Elementen des Sicherheitsapparates von hinten
       erschossen wurden," berichtet ein angeblicher Augenzeuge gegenüber dem
       arabischen Dienst der britischen BBC.
       
       "Die Lage ist nebulös und es ist nicht klar, wer hier auf wen schießt, aber
       es ist deutlich, das die Situation ernst ist und dabei ist außer Kontrolle
       zu geraten", meint eine syrischer Menschenrechtsaktivist, der nicht
       namentlich genannt werden möchte.
       
       ## Regime Assad könnte vor einem Wendepunkt stehen
       
       Welche Variante die richtige ist oder es um eine Mischung aus allen drei
       Möglichkeiten geht: Sicher ist, dass die Lage in Syrien eskaliert. Der seit
       Wochen andauernde Aufstand gegen das seit 40 Jahren herrschende Regime
       Assad könnte vor einem Wendepunkt stehen, der Syrien näher an ein libysches
       Szenario bringt.
       
       Inhaltlich sind die Fronten verhärtet. Hatten die Aufständischen zu Beginn
       nur Reformen gefordert, wollen sie jetzt, nach geschätzten 1.200
       Todesopfern und 10.000 Verhafteten, den Sturz von Präsident Baschar al
       Assad. Und hatte das Regime zu Beginn Reformen versprochen, hat es den
       Demonstranten inzwischen den offenen Krieg erklärt.
       
       Für Kompromisse ist es zu spät. Entweder das Regime schlägt den Aufstand
       nieder, oder die Demonstranten stürzen das Regime.
       
       7 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim Gawhary
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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