# taz.de -- Folgen eines User-Kommentars auf taz.de: Gegoogelt und abgestempelt
       
       > Plötzlich wurden Nils bei Bewerbungsgesprächen seltsame Fragen gestellt -
       > zu Juden und seinem Frauenbild. Der Deutsch-Iraner hatte auf taz.de
       > kommentiert.
       
 (IMG) Bild: Das oberflächliche Gebaren der "Human Resources"-Abteilungen überraschte Nils nicht.
       
       BERLIN taz | Als er schrieb, dachte Nils* sich nichts dabei. Schließlich
       war es nur ein Nutzer-Kommentar auf taz.de. Damals, im Oktober 2007, kochte
       die Debatte um Ashkan Dejagah hoch: Der deutsch-iranische Fußballspieler
       hatte verkündet, er wolle nicht mit der deutschen U21-Auswahl gegen Israel
       spielen. Der Zentralrat der Juden sprach von einem "privaten Judenboykott".
       
       Nils war anderer Ansicht: Es sei traurig, dass der Zentralrat den Fall
       instrumentalisiere. Der junge Spieler habe noch Angehörige in Iran, denen
       das Regime mit Konsequenzen drohe, sollte Dejagah nach Israel reisen – das
       sei der Grund des angeblichen "Boykotts".
       
       Jahre später sollte Nils plötzlich Fragen beantworten, die er "seltsam"
       fand: Was er von Juden halte; wie er Minderheiten gegenüber stehe. Da saß
       er in Bewerbungsgesprächen bei namhaften Technologiefirmen und erlebte, was
       "oberflächliches Bewerberprofiling", wie er es nennt, bedeuten kann.
       
       Wer bei Google nach ihm suchte, erblickte schon auf der ersten
       Ergebnisseite seine Meinung zur Dejagah-Debatte. Er hatte unter vollem
       Namen kommentiert: Nils Merizadi. Sein Vater stammt aus Iran.
       
       "Dummheiten macht man halt manchmal, wenn man nicht aufpasst", sagt Nils
       rückblickend. Eigentlich bewegt er sich vorsichtig im Internet. "Die Form,
       die wir dort darstellen, bestimmt die Art, wie wir wahrgenommen werden,"
       ist er überzeugt. Ähnlich der Form unseres Körpers beim Zusammentreffen mit
       anderen Menschen: Beide sagten nichts über unseren Charakter aus, aber
       seien "maßgeblich für die anfängliche Attitüde unseres Gegenübers."
       
       ## Frage nach dem Frauenbild
       
       Das oberflächliche Gebaren der Menschen aus den "Human
       Resources"-Abteilungen überraschte Nils nicht. Schon bevor der Kommentar zu
       finden war, bedurfte es nicht mehr als seines vollen Namens, um merkwürdige
       Fragen und Annahmen hervorzurufen.
       
       Wie sein Frauenbild aussehe, wollten einige Personaler wissen. Andere
       lobten ihn, er habe sich ja bereits ganz hervorragend integriert. Nils ist
       in Aachen geboren, dort zur Schule und zur Uni gegangen; weder war er
       jemals in Iran noch spricht er Farsi – dafür reist er, seit er denken kann,
       mit den Pfadfindern umher. Integrieren musste er sich lediglich in London,
       als er seinen Master am Imperial College machte – die meisten Rankings
       führen die Uni unter den zehn besten der Welt.
       
       Nach seiner Ausbildung in Deutschland zu bleiben, das musste Nils vor
       Jahren einmal seinem globalisierungskritischen Großvater versprechen.
       Damals sagte er noch: "Warum nicht? Mir gefällt's doch hier." Heute sagt
       er: "Irgendwann hatte ich einfach keinen Bock mehr."
       
       Seit Mitte Juni entwickelt Nils nun Messtechnik in den Niederlanden. Dort
       war bedeutungslos, was in Deutschland Vorbehalte hervorrief: seine
       Herkunft, sein taz.de-Kommentar oder beides in Kombination. Die einzige
       Bemerkung zum Iran kreiste um die köstliche Küche und die Hoffnung auf ein
       bisschen mehr Demokratie – solle ja auch ein nettes Reiseland sein.
       
       ## Ein neuer Name per Heirat
       
       Seine Geschichte sieht Nils als Indiz für "die Verschlechterung der
       Standortbedingungen Deutschlands": selbst Schuld, wer ihn nicht einstellen
       möchte. Was er bei Google über andere Menschen herausfinde, nehme er "mit
       einem Körnchen Salz" - es klingt wie ein mitleidiger Rat, nicht wie ein
       wütender Vorwurf. Er ist nicht verbittert. "Jede Scheiße, die dir passiert,
       hat auch ihre positiven Seiten", sagt er. Derzeit schreibt er seine
       Doktorarbeit, deren Erkenntnisse kann er in Holland sofort einfließen
       lassen; der neue Job macht ihm Spaß. Und die Nähe zu seinen Freunden bleibt
       ihm erhalten, er arbeitet im Grenzgebiet – aber seine Steuern gehen in die
       Niederlande und "das ist auch gut so", sagt er.
       
       Vielleicht begegnet man Nils mit weniger Ressentiments, sollte er
       irgendwann zurückkehren: Mit der Heirat im kommenden Jahr möchte er den
       Namen seiner Freundin annehmen. Nils Weinmeister wird er dann heißen. Für
       ihn ist das ein Stück Privatsphäre. "Ich bin einfach nur noch gelangweilt",
       sagt er müde lachend, "und freue mich, nicht gleich von jedem
       Aushilfspraktikanten in der Personalabteilung per Google gefunden und
       gestempelt zu werden".
       
       *Name geändert
       
       29 Jul 2011
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
       
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