# taz.de -- Staatskrise im Jemen: Al-Qaida nutzt das Machtvakuum
       
       > Islamistische Milizionäre erobern Städte im Süden und stoßen dabei jetzt
       > auf Widerstand. Tausende Familien fliehen vor Kämpfen und
       > Selbstmordanschlägen.
       
 (IMG) Bild: Soldaten, die sich auf die Seite der Regimegegner geschlagen haben, in Sanaa.
       
       BERLIN taz | Die Armee spricht von Versehen, die Stammeskrieger von
       Absicht: Jemens Luftwaffe bombardierte vergangene Woche am Golf von Aden
       Stammeskämpfer, die sich gegen den Vormarsch von al-Qaida zur Wehr setzten.
       Ein Dutzend Männer sollen getötet worden sein. "Der Angriff ist der beste
       Beweis für die wahren Ziele der Regierung", zitiert die unabhängige Zeitung
       al-Masdar einen Vertreter des Stammes im Wadi Hassan. Die Militärführung in
       Sanaa schütze nicht die Bürger, sondern assistiere den islamistischen
       Milizen, um Chaos zu stiften.
       
       Ohne internationale Unterstützung drohe die südliche Küstenprovinz Abyan zu
       einem "Talibanstaat wie einst Afghanistan" zu werden, warnte der Gouverneur
       Saleh al-Sawari bereits vor zwei Monaten, als er aus der Provinz floh.
       Seitdem wird die Lage immer unübersichtlicher. Milizen greifen
       Einrichtungen der Sicherheitskräfte an, bei Selbstmordanschlägen wurden
       Dutzende getötet oder verletzt. In der Provinzhauptstadt Sindschibar riefen
       Fundamentalisten ein "Islamisches Emirat" aus. Mit Unterstützung oder
       Billigung des Regimes, wie viele unken?
       
       Nur so viel scheint klar: Al-Qaida profitiert als bislang einzige Gruppe
       von der Staatskrise im Jemen. Seit der Explosion im Präsidentenpalast
       Anfang Juni lässt sich der verwundete Staatschef Ali Abdallah Saleh in
       Saudi-Arabien behandeln, das Militär ist gespalten, die Protestbewegung der
       Jugend und die Oppositionsparteien sind zerstritten. "Während das Regime
       auf dem Rückzug ist, sind die Mudschaheddin auf dem Vormarsch", frohlockt
       der Chefideologe von Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP), Adel
       al-Abab, in einem Online-Forum.
       
       ## Der Vormarsch kommt dem Regime nicht ungelegen
       
       Kader und Kämpfer des Terrornetzes haben den einst sozialistischen Südjemen
       zum Rückzugsgebiet erkoren. Washington betrachtet die Zelle mittlerweile
       als die weltweit gefährlichste. Mancherorts genießen die Islamisten
       Rückhalt von Stämmen, die mit der Zentralmacht im Streit liegen. Viele in
       Abyan fühlen sich von der Regierung vernachlässigt und streben nach
       Unabhängigkeit vom Norden. Sie gewähren Extremisten Unterschlupf, weil auch
       diese gegen die verhasste Regierung sind.
       
       Dennoch sind viele überzeugt, dass der Al-Qaida-Vormarsch dem Regime - oder
       dem, was davon übrig ist - nicht ungelegen kommt. Eine Stadt wie
       Sindschibar konnten die Milizen erst einnehmen, nachdem das Militär
       abgezogen war. Saleh habe einen Krieg gegen Terroristen inszeniert, um im
       innenpolitischen Machtkampf die Unterstützung der USA zu gewinnen, schreibt
       Abdullah al-Asnag, der unter Saleh in den 1970er Jahren Außenminister war.
       
       Doch wer auch immer sie instrumentalisiert: Die Gefechte, Luftangriffe und
       Anschläge sind blutige Wirklichkeit. Hunderte Menschen sollen in den
       vergangenen Wochen ums Leben gekommen sein. Tausende Familien sind auf der
       Flucht. In Aden sind Schulen, Universitäten und Moscheen von Flüchtlingen
       belagert.
       
       Die USA reagieren auf das Machtvakuum mit verstärkten Luftangriffen. Aber
       Dutzende zivile Opfer und zerstörte Häuser bringen den Dschihadisten neuen
       Zulauf. Auch die rasant steigenden Preise für Wasser, Benzin und
       Lebensmittel und der Zusammenbruch der öffentlichen Versorgung spielen
       ihnen in die Hände.
       
       Auch wenn es Sympathien gibt für die Ideologie von al-Qaida im Jemen -
       verwurzelt ist das Terrornetzwerk hier nicht. "Manche, die al-Qaida
       zunächst unterstützten, haben erkannt, dass deren Handeln gegen die
       Religion verstößt", sagt der Journalist Nasser Arrabyee, der mit
       Stammesführern in Kontakt steht. Außerdem bekämen sie Angst vor
       Luftangriffen der USA. In Lawdar, im Norden von Sindschibar, hätten
       Dutzende bewaffnete Stammesmitglieder deshalb vergangene Woche Häuser
       gestürmt und die fremden Milizionäre zum Verlassen der Stadt aufgefordert.
       Die Männer gingen, berichtet Arrabyee - ohne dass ein Schuss fiel.
       
       1 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Heymach
       
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