# taz.de -- Vom Statussymbol zum Revolutionstool: Ein Mensch, ein Staat, ein Blackberry
       
       > Der Blackberry war lange ein Statussymbol von Eliten und anderen
       > Angebern. Nun nutzen die Plünderer in England das Gerät, um sich zu
       > organisieren.
       
 (IMG) Bild: Vom Präsidenten- und Manager- zum Revolutionstool: das gefallene Blackberry-Handy.
       
       Die Randale in London wäre ohne Blackberry in dieser Form nicht möglich.
       Bei den plündernden Jugendlichen ist das ehemalige Managerwerkzeug wegen
       des Blackberry Messaging Service (BBM) sehr verbreitet, da dieser deutlich
       günstiger ist als SMS. Zudem kann der Blackberry etwas, das bisher nicht
       groß beachtet worden ist: Die mit ihm versendeten Botschaften werden
       verschlüsselt, können also von den Behörden nicht eingesehen werden. Eine
       echte Killer-Applikation. So können die Randalierer sich organisieren wie
       eine satellitengestützte Hobbyguerilla.
       
       Die Staaten der Erde fühlen sich bedroht. Von Saudi-Arabien über England
       bis nach Deutschland beginnt den Autoritäten zu dämmern, dass etwas
       stattgefunden hat, das sie nicht haben kommen sehen.
       
       Bis noch vor wenigen Jahren waren das Ausspähen und Bewahren von
       Geheimnissen Domänen der Behörden. Die Geheimdienste, aber auch die
       Finanzämter kamen an Informationen, zu denen der Bürger keinen Zugang
       hatte. Schön, wenn man vertrauen kann, besser, man schaut genauer hin.
       
       Wikileaks war der Donnerschlag, nach dem keine Behörde in der ganzen Welt
       noch so tun konnte, als sei alles beim Alten. Heute schaut nicht mehr bloß
       der Staat auf den Bürger, der Bürger schaute zurück. Und nicht nur das: Der
       Bürger hat seit einigen Jahren auch die Möglichkeit, seinerseits
       Geheimnisse zu bewahren. Er kann ohne großen Aufwand seine Festplatte
       verschlüsseln, seinen Mailverkehr sichern und Dank Blackberry muss er sich
       auch mobil nicht mehr in die Karten schauen lassen.
       
       Wenn Kindern wissen, jemand beaufsichtigt ihre Klassenarbeit, dann pfuschen
       sie weniger. Wenn man Bürgern vermittelt, man könne sie jederzeit sehen,
       dann - so die Theorie - sollten sie die Gesetze williger befolgen.
       
       Wenn nun der Bürger den Spieß umdreht und seinerseits den Staat auf die
       Befolgung der Gesetze verpflichten will, indem er ihn kontrolliert und
       seine Daten einsieht, dann ist das eine radikale Umkehrung der
       Machtverhältnisse.
       
       ## 
       
       Wenn Machtverhältnisse sich umkehren, dann werden in der Regel Guillotinen
       aufgestellt. Auf die Revolution folgt der Prozess, gerne auch ein kurzer,
       und wer eben noch an der Macht war, liegt jetzt im Krankenbett im
       Gerichtssaal und behauptet, er habe von nichts gewusst. Nun gehört es aber
       eben zum Wesen der Macht, alles zu wissen, und damit man nicht irgendwann
       behaupten muss, nichts gewusst zu haben, ist es wichtig, diesen
       Wissensvorsprung zu bewahren. Und da ähneln sich die Ideen von absoluten
       Monarchien und parlamentarischen Demokratien erstaunlich.
       
       Saudi-Arabien will den Blackberry ebenso verbieten wie Indien. In England
       bemüht sich der Hersteller, den Behörden Entgegenkommen zu signalisieren.
       
       Nun ist England nicht Saudi-Arabien und randalierende Jugendliche sind
       keine Demokratiebewegung, und doch ist der Blackberry ein Symbol.
       
       Schon immer hat die Straße aus einer neuen Technologie etwas Unerwartbares
       gemacht. Der erste kommerziell erhältliche Sampler kostete mehr als ein
       Einfamilienhaus. Doch derselbe technische Fortschritt, der gerade noch
       denen, die eine Million Dollar übrig hatten, einen unschätzbaren Vorsprung
       gegeben hatte, sorgte in den folgenden Jahren für eine massenhafte
       Nutzbarmachung des Samplers.
       
       Heute kann sich jeder einen Sampler runterladen. Auf einmal hatten
       Drogendealer aus der Bronx ein Orchester bei sich im Wohnzimmer stehen. Und
       so haben heute Kleinkriminelle aus Tottenham die Möglichkeit, mobil und
       verschlüsselt zu kommunizieren wie bis vor Kurzem bloß Geheimagenten.
       
       ## Volk twittert und blackberryt, der Staat flickrt zurück
       
       Das soll man nun nicht mehr dürfen, genau wie man nicht mehr anonym im Netz
       surfen können soll. Wo kämen wir denn da hin, da kann ja jeder kommen. Wenn
       das alle machen würden, dann wäre ja jeder Staat im Staat.
       
       Fast möchte man die alt gewordene Mode, an jeden Begriff ein "2.0" hinten
       dranzuhängen wieder aufleben lassen und vom Bürgerkrieg 2.0 sprechen. Das
       Volk twittert und blackberryt und der Staat flickrt zurück. Auf ihrem
       Flickr-Account "metropolitanpolice" postet die Londoner Polizei Bilder der
       von Überwachungskameras gefilmten Randalierer. Und von Unbeteiligten.
       
       Überall wird überwacht, als wäre das Volk ein Tätervolk, das vor sich
       selbst geschützt werden muss. Nirgendwo ist die Überwachungsdichte so groß
       wie in London. Dass nun ausgerechnet in diesem Ostberlin der Moderne
       Ausschreitungen dieser Größenordnung geschehen, könnte eigentlich darauf
       hindeuten, dass gegenseitiges Misstrauen nicht unbedingt der Königsweg
       eines gesellschaftlichen Miteinanders ist. Überwachung ist eine Form von
       Gewalt, und Gewalt, das wussten schon "Die Ärzte", erzeugt Gegengewalt.
       Vertrauen ist gut, mehr Vertrauen ist besser. Anonyme Kommunikation ist ein
       Menschenrecht. Und sie bleibt es, selbst wenn dieses Recht nun missbraucht
       wird.
       
       10 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Malte Welding
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Überwachung
       
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