# taz.de -- Schnellverfahren in London: "Er ist eine Gefahr"
       
       > Im Akkord werden in London festgenommene Randalierer Haftrichtern
       > vorgeführt. 15 Minuten nehmen die sich um zu entscheiden, ob der
       > Betroffene in Untersuchungshaft bleiben muss.
       
 (IMG) Bild: "Jeder, der gewalttätig wurde, wird ins Gefängnis geschickt", hatte der Premierminister David Cameron verkündet.
       
       LONDON dpa | Auch im Eilverfahren mahlen die Mühlen der Justiz langsam. Es
       ist kurz vor Mitternacht. Seit 10 Stunden sitzt John Malick* (Namen
       geändert) im Westminster Magistrates' Court. Seine Ex-Frau habe ihn am
       Morgen angerufen, sagt er. "Unser Sohn Jay wurde gestern festgenommen." Was
       sie ihm vorwerfen, weiß John nicht. Jay ist einer von mehr als 1.000
       mutmaßlichen Straftätern, die bei den schweren Krawallen in Großbritannien
       von der Polizei festgenommen wurden und nun im Akkord Haftrichtern
       vorgeführt werden. Jay ist 14.
       
       "Jeder, der gewalttätig wurde, wird ins Gefängnis geschickt", hatte der
       britische Premierminister David Cameron verkündet. Das gilt im britischen
       Recht im Zweifel auch schon für 14-Jährige. Teile der Gesellschaft müssten
       endlich lernen, Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen, forderte
       der Regierungschef - und in einem schmucklosen 70er-Jahre-Bau, nur einen
       Steinwurf von der berühmten Westminster Abbey entfernt, wird seither 24
       Stunden am Tag der erste Schritt getan: die Anhörung beim Haftrichter.
       
       John Malick könnte man wohl am besten als einen bulligen Typen beschreiben.
       "Ich habe lange als Sicherheitsmann gearbeitet", erzählt der gebürtige
       Senegalese. Dann wurde er krank, später arbeitslos. Inzwischen lebt der
       38-Jährige in Manchester, seine Ex-Frau mit den vier Kindern in einem
       Ostlondoner Wohnblock. Sie spricht kein Englisch. "Es musste wohl so
       kommen, dass er irgendwann vor Gericht landet", sagt John. Jay ist der
       Prototyp des Londoner Nachwuchskriminellen: Schwarz, arm und aus einem
       kaputten, nicht integrierten Elternhaus in Ostlondon.
       
       David steht mit zwei Gerichtsdienern hinter der Glasscheibe, die den Stand
       der Angeklagten von Saal 6 des Magistrates' Courts trennen. Er ist gerade
       16 Jahre altgeworden, hat mit sehr guten Noten seinen Realschulabschluss
       gemacht und will nun Abitur machen. "Er ist ein äußerst angenehmer junger
       Mann", sagt die Sozialarbeiterin. Die Eltern seien vor 20 Jahren aus Ghana
       eingewandert und beide berufstätig. "Die Verhältnisse sind geordnet. Die
       Prognose ist gut."
       
       ## 15 Minuten für jeden Fall
       
       Ein Vorzeige-Migrant der zweiten Generation, findet die Rechtsanwältin. Das
       Gericht solle ihm seinen kleinen Ausrutscher verzeihen. Das sieht die
       Anklägerin anders. "Er wird mit Sicherheit wieder straffällig werden. Er
       ist eine Gefahr", ist sie überzeugt. Als die Polizei David am Montagabend
       im Ostlondoner Stadtteil Walthamstow nach einer wilden Verfolgungsjagd
       festnahm, war er mit einer Skimütze und Handschuhen vermummt. Zuvor hatte
       er einen Ziegelstein auf ein Polizeiauto geworfen.
       
       Auch Jay wurde nach einer Verfolgungsjagd festgenommen, erfährt sein Vater
       John im Gericht. "Er ist über einen Zaun gesprungen und hat sich in einem
       Garten versteckt", heißt es in der Anklage. Der Anwalt schüttelt nur den
       Kopf: "Er war zur falschen Zeit am falschen Ort", sagt er kurz. Der
       14-Jährige sei mit Freunden auf dem Rückweg vom Fußballtraining gewesen,
       das wegen der Krawalle abgesagt worden war. "Als sie dann von einem
       Polizisten angesprochen wurden, ist einer losgerannt - und Jay ist
       reflexartig hinterher."
       
       Etwa 15 Minuten nimmt sich das Gericht für jeden Fall Zeit. Anklage,
       Verteidigung, Sozialhelfer, Eltern und der Angeklagte werden gehört - dann
       entscheidet der Richter: Bleibt der Angeklagte in Untersuchungshaft? Oder
       wird er unter Auflagen - beispielsweise Hausarrest - bis zum Prozess
       freigelassen? Fast ausschließlich männlich, überwiegend jung und
       dunkelhäutig sind die festgenommenen Randalierer - aber sie stammen aus
       allen Schichten der Gesellschaft. Arbeitslose sind dabei wie Schüler,
       Studenten, Designer, Sozialarbeiter und sogar ein Lehrer. Die meisten
       plädieren auf nicht schuldig.
       
       "Ich spreche hier noch nicht dein Urteil", erklärt der Richter mit milder
       Stimme und blickt abwechselnd Jay und seine Eltern an. Es klingt wie eine
       Entschuldigung für eine überzogene Polizeitaktik. Er dürfe nach Hause, aber
       nachts nicht aus dem Haus gehen. Nächste Woche werde ihm der Prozess
       gemacht. Auch Davids Prozess ist nächste Woche geplant. Er muss bis dahin
       allerdings im Gefängnis bleiben, urteilt der Richter. Sein Vater, im feinen
       Anzug vor Gericht erschienen, vergräbt den Kopf in den Händen. John Malick
       geht dagegen mit einem Lächeln.
       
       11 Aug 2011
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Britische Polizei: Oft Probleme mit der Balance
       
       Entweder zu zurückhaltend oder zu brutal: Die britische Polizei steht in
       der Kritik. Und das nicht erst seit den jüngsten Krawallen in London und
       anderen Städten.
       
 (DIR) Krawalle in London: Keine Ideen außer Chaos
       
       In den 80ern richteten sich die Krawalle gegen rassistische Polizeigewalt.
       Heute kennen weder Polizei noch Mob den Unterschied zwischen Politik und
       Niedertracht.
       
 (DIR) Sondersitzung des britischen Parlaments: Polizei bekommt mehr Spielraum
       
       Premierminster David Cameron bekräftigte, dass gegen die Randalierer hart
       durchgegriffen werde. Zudem werde geprüft, ob soziale Online-Netzwerke
       eingeschränkt werden könnten.
       
 (DIR) Schnellverfahren in England: Erste Haftstrafen verhängt
       
       Nach den Krawallen arbeiten nun Staatsanwaltschaften und Gerichte in großer
       Eile. In den englischen Städten blieb es in der Nacht weitgehend ruhig.
       Premier Cameron gerät unter Druck.
       
 (DIR) Kommentar Plünderungen: Power Shopping
       
       Der chinesische Künstler Ai Wei Wei beschreibt einen Aufruhr in der
       Provinz, an den die Unruhen in England erinnern. Hier wie dort geht es um
       ein Gefühl der Ohnmacht.
       
 (DIR) Straßenschlachten in Großbritannien: "Aufstand der Konsumgesellschaft"
       
       Großbritannien wartet darauf, ob Gewalt und Plünderungen in der Nacht
       weitergehen. Ladenbesitzer in London wappnen sich mit Holzscheiten und
       Metallstangen.
       
 (DIR) Vom Statussymbol zum Revolutionstool: Ein Mensch, ein Staat, ein Blackberry
       
       Der Blackberry war lange ein Statussymbol von Eliten und anderen Angebern.
       Nun nutzen die Plünderer in England das Gerät, um sich zu organisieren.
       
 (DIR) Straßenschlachten in britischen Städten: Cameron will härter durchgreifen
       
       Gegen die Krawalle könnten jetzt auch Wasserwerfer eingesetzt werden, sagt
       Premierminister David Cameron. Es herrsche "vollkommene
       Verantwortungslosigkeit" in Teilen der Gesellschaft.
       
 (DIR) Londons Oberbürgermeister: Energisch und ironisch
       
       Boris Johnson war früher Vizechef der konservativen Tageszeitung "Daily
       Telegraph" - heute ist er der Oberbürgermeister der Hauptstadt Englands.