# taz.de -- Europäische Finanzpolitik: Mehr Europa, weniger Nationalstaat
       
       > Nicolas Sarkozy und Angela Merkel wollen eine gemeinsame
       > Wirtschaftsregierung und eine verbindliche Kreditobergrenze. Doch was
       > bringen diese Vorschläge wirklich?
       
 (IMG) Bild: So machen wir das: Angela Merkel und Nicolas Sarkozy sind sich einig.
       
       BERLIN taz | Sie wollten zeigen, wo es langgeht. Mit ihren Vorschlägen vom
       Dienstag haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs
       Staatspräsident Nicolas Sarkozy europäische Führungsstärke demonstriert. In
       einem Brief an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy versuchen die beiden
       stärksten Euro-Länder, den anderen Staaten einen Weg aus der Schuldenkrise
       zu weisen. Obwohl die Pläne teilweise ehrgeizig sind, bleibt fraglich, ob
       sie die gefährliche Spekulation gegen verschuldete Euro-Mitglieder
       eindämmen.
       
       Künftig sollen sich die Spitzen der Euro-Länder zweimal jährlich treffen,
       um ihre Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gemeinsam zu steuern. Der
       Zweck der neuen Übung: Wenn keines der 17 Mitglieder Extratouren reitet (zu
       hohe Schulden, zu niedrige Löhne), wird die Euro-Zone insgesamt stabiler
       und die Investoren auf den Finanzmärkte finden weniger Angriffsflächen.
       
       Dies ist ein Schritt zur stärkeren Integration Europas: Die
       Nationalregierungen übertragen Entscheidungen nach und nach an europäische
       Institutionen. Auch die EU-Kommission wird mächtiger: Sie setzt das
       sogenannte europäische Semester um. Jedes Jahr im Frühling müssen die
       Euro-Mitglieder ihre Finanzplanung nach Brüssel melden. Verstößt ein Land
       gegen die gemeinsam verabredeten Leitlinien, mischt sich die Kommission in
       die nationale Haushaltsaufstellung ein.
       
       Auch das Europäische Parlament in Straßburg würde künftig mehr Einfluss auf
       diese Verfahren erhalten. Im Rahmen der Debatte über gemeinsame europäische
       Staatsanleihen kursierte bereits die Idee, einen Ausschuss des
       EU-Parlaments mit der Kontrolle der nationalen Haushalte zu betrauen. Das
       würde die demokratische Legitimation der europäischen Einigung verbessern.
       Unter anderem in Deutschland gibt es starke Kritik daran, dass der
       Bundestag weitere Rechte an Straßburg verliert.
       
       ## 
       
       Dies ist jedenfalls der erklärte Wunsch Merkels und Sarkozys - ein gutes
       Beispiel dafür, wie die nationale Politik zugunsten einer europäischen
       zurückgedrängt wird. Dabei sollen sich alle am deutschen Vorbild
       orientieren. Die Bundesregierung darf sich ab 2016 nur noch mit 0,35
       Prozent der Wirtschaftsleistung pro Jahr neu verschulden. Der Sinn der
       Sache: Die Wirtschaftsleistung würde schneller steigen als die
       Kreditaufnahme, die Schuldenlast und Zinszahlung sänken und aus den
       nationalen Haushalten könnte man mehr Geld für vernünftige Dinge ausgeben.
       
       Einerseits ist diese Politik richtig, andererseits aber unausgewogen.
       Ökonomen wie Rudolf Hickel, Peter Bofinger und Gustav Horn weisen darauf
       hin, dass sich die Staatsfinanzen nicht sanieren lassen, wenn man die
       Wirtschaft kaputtspart. Selbst Finanzminister Schäuble sagte unlängst,
       Griechenland brauche auch ein Investitionsprogramm. Von einem neuen
       Programm zur wirtschaftlichen Belebung ist in den Pariser Beschlüssen
       allerdings nicht die Rede - nur von der gezielten Investition bereits
       vorhandener EU-Mittel.
       
       ## 
       
       Merkel und Sarkozy haben verabredet, dass ihre Finanzminister bis Ende
       September einen gemeinsamen Vorschlag für die Finanztransaktionssteuer
       erarbeiten sollen. Diese alte Forderung des globalisierungskritischen
       Netzwerks Attac könnte nach 15 Jahren damit tatsächlich umgesetzt werden.
       Die Steuer auf Aktienhandel, Devisentransaktionen und andere weitere
       Finanzgeschäfte soll die Spekulation bremsen und gleichzeitig mehr
       Einnahmen für die verschuldeten Staaten generieren.
       
       Mit einem zweiten steuerpolitischen Vorschlag wehren sich Deutschland und
       Frankreich eher gegen unliebsame Konkurrenz aus den eigenen europäischen
       Reihen. Sarkozy und Merkel machen sich dafür stark, die Steuer für
       Unternehmen zu vereinheitlichen, was beispielsweise Irland zwingen würde,
       sie zu erhöhen. Um dieses Anliegen voranzutreiben, sollen Unternehmen in
       Frankreich und Deutschland ab 2013 ähnliche Steuern zahlen - ein Beispiel
       für die angestrebte europäische Vereinheitlichung der Steuerpolitik. Wenn
       beide sich in der Mitte träfen, müsste Deutschland seine Firmensteuer
       leicht erhöhen, Frankreich seine etwas senken.
       
       ## 
       
       Sarkozy und Merkel kümmern sich um die langfristige Stabilität der
       Euro-Zone. Ihre Vorschläge, denen die anderen Regierungen erst noch
       zustimmen müssen, sind aber keine Medizin gegen die akute Krise. Weil die
       Investoren auf den internationalen Kapitalmärkten die Zinsen für
       Staatsanleihen in die Höhe treiben, wird es selbst für Spanien und Italien
       teurer und schwieriger, sich zu finanzieren. Gemeinsame europäische
       Staatsanleihen (Eurobonds) könnten helfen, aber Merkel lehnt sie offiziell
       ab - teilweise aus Angst vor den Euro-Skeptikern in der eigenen Partei.
       
       17 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Spanien in der Eurokrise: Schuldenbremse gezogen
       
       Wenige Monate vor den Neuwahlen beschließt die spanische Regierung
       gemeinsam mit der Opposition, eine Defizitgrenze in der Verfassung zu
       verankern.
       
 (DIR) CDU-Finanzexperte über die Eurokrise: "Eurobonds verlängern Schuldenparty"
       
       Einheitliche Euro-Anleihen nehmen den Spardruck von Regierungen, sagt
       Klaus-Peter Flosbach. Und erwartet von seiner Fraktion ein klares Nein zu
       Eurobonds.
       
 (DIR) Steuereinnahmen sprudeln stärker: Schäuble bleibt cool
       
       Die Konjunktur ist eingebrochen – auf die Steuereinnahmen der ersten sieben
       Monate schlägt das aber noch nicht durch. Die Bundesbank warnt in ihrem
       Monatsbericht vor Abgabensenkungen.
       
 (DIR) Knatsch in der schwarz-gelben Koalition: Rote Linie Eurobonds
       
       Nach der Sommerpause muss Kanzlerin Merkel nicht nur in Europa kämpfen –
       auch in den eigenen Reihen muss sie sich durchsetzen. Doch die Zahl der
       Neinsager ist in der Sommerpause gewachsen.
       
 (DIR) Finanzkrise: Regierung sagt Nein zu Eurobonds
       
       Das Finanzministerium rechnet mit Mehrkosten von bis zu 25 Milliarden Euro
       nach zehn Jahren – wenn die Eurobonds eingeführt werden. Die
       Bundesregierung ist dagegen.
       
 (DIR) Kolumne Macht: Die europäische Katastrophe
       
       Ein Ende des Euro beträfe alle. Doch bei ihren Entscheidungen schätzt die
       Bundesregierug das Melodram mehr als das Argument.
       
 (DIR) Schuldenbremse in Deutschland: Kein Modell für alle Euro-Staaten
       
       Die Schuldenbremse hat sich in der Praxis noch nicht bewähren können. Sie
       funktioniert nur mit einem starken Bundesverfassungsgericht.
       
 (DIR) Kommentar Europäische Schuldenbremse: Merkels Beruhigungspille
       
       Angela Merkel konnte sich mit ihrer Forderung nach einer Schuldenbremse für
       die Eurostaaten durchsetzen. Aber es bleibt der Verdacht, dass es ihr vor
       allem um Innenpolitik ging.
       
 (DIR) Das Parlament und die Euro-Krise: Abgeblitzt
       
       Die Bundesregierung hält nichts davon, den Vertrag zur Ausweitung des
       EU-Rettungsschirms vom Parlament absegnen zu lassen. Andere Länder sind da
       offener.
       
 (DIR) Die Kosten der Eurobonds: Das große Horrorszenario
       
       Das Münchener Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo behauptet, Eurobonds
       könnten für Deutschland teuer werden – bis zu 47 Milliarden Euro jährlich.
       
 (DIR) Exportindustrie will Eurobonds: Angst vor einer "Spirale nach unten"
       
       Die deutsche Exportwirtschaft befürwortet europäische Staatsanleihen. Sie
       stellt sich damit gegen das offizielle Nein zu Eurobonds der
       Bundesregierung.
       
 (DIR) Sonderteffen Merkel und Sarkozy: Zwei erste Geigen
       
       Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy sprechen sich für
       eine "Wirtschaftsregierung" in der Euro-Zone aus. Eurobonds lehnen sie
       strikt ab.
       
 (DIR) Eurobonds-Modelle: Und was hätten wir davon?
       
       Es gibt nicht nur "ganz oder gar nicht". Diskutiert wird auch die Idee,
       zwei verschiedene Eurobonds auszugeben – gemeinsame und nationale.