# taz.de -- Der Spitzenkandidat der Piratenpartei: "Mir ist egal, neben wem ich sitze"
       
       > Die Piraten haben eine reale Chance, ins Abgeordnetenhaus einzuziehen.
       > Spitzenkandidat Andreas Baum über Transparenz, inhaltliche Defizite und
       > Fahren ohne Fahrschein. Ein Interview zum Lesen und zum Hören.
       
 (IMG) Bild: Weder links, noch rechts, sondern vorn: Andreas Baum
       
       taz: Die erste Umfrage sieht die Piratenpartei bei 5 Prozent. Herr Baum,
       Sie sind einer von denen, die dann ins Abgeordnetenhaus kämen. Was würden
       Sie dort als Erstes machen? 
       
       Andreas Baum: Das Erste wird natürlich sein, sich mit den organisatorischen
       Gegebenheiten auseinanderzusetzen. Wir haben niemanden dabei, der das schon
       gemacht hat und uns an die Hand nehmen könnte. Gleichzeitig ermöglicht es
       uns, erste Einblicke zu gewinnen in das für uns sehr wichtige Thema
       Transparenz.
       
       Wie viel Zeit geben Sie sich da? 
       
       In Tagen? Ich weiß jetzt nicht, wie lange das alles dauert mit der
       Konstituierung und so. Aber in den ersten Sitzungen wird man von den
       Piraten was hören. Es wird keine Schonfrist geben, in der wir uns zur Ruhe
       setzen.
       
       Der Listenneunte Fabio Reinhardt hat vor einiger Zeit über
       Koalitionsverhandlungen spekuliert. Spielt das eine Rolle? 
       
       Derzeit nicht. Zumal wir ja noch gar nicht wissen, wie das Wahlergebnis
       aussehen wird. Wobei wir naturgemäß einigen Parteien näher stehen als
       anderen.
       
       Welchen? 
       
       Bei der CDU erschienen uns eventuelle Koalitionsverhandlungen am
       schwersten. Einfacher wäre es sicher mit SPD, Grünen und Linken.
       
       Wäre eine Regierungsbeteiligung überhaupt das Ziel? 
       
       Es ist nichts, was wir konkret anstreben. Uns ist wichtig, dass wir mit den
       Themen, mit denen wir antreten, im Parlament vertreten sind. Es ist aber
       auch nichts, wo wir sagen würden: Das kommt unter keinen Umständen in
       Frage. Aber ich persönlich halte es nicht für realistisch.
       
       Sieht sich die Piratenpartei noch als Partei der Bürgerrechtler und
       Netzaktivisten? 
       
       Das sind Themen, die uns weiterhin beschäftigen. In Berlin sind die
       Handlungsspielräume natürlich begrenzt, viel muss auf Bundesebene
       entschieden werden.
       
       Auf die Bundesebene zu verweisen ist bequem. Was lässt sich denn in Berlin
       ändern? 
       
       Ein großes Thema hier ist Mobilität. Wir wollen, dass die S-Bahn von einem
       landeseigenen Unternehmen betrieben wird. Ein Ziel ist auch der
       fahrscheinlose Verkehr. Da gibt es haufenweise Einsparmöglichkeiten. Man
       braucht keine Fahrscheinautomaten, keine Kontrollen und keine
       Strafverfahren für Schwarzfahrer. Allein beim letzten Posten könnte man 30
       Millionen Euro sparen.
       
       Das reicht aber lange nicht, um all das gegenzufinanzieren, was im
       Wahlprogramm steht. 
       
       Das ist richtig. Wenn man aber mal probiert durchzurechnen, was bestimmte
       Sachen kosten würden, dann stößt man schnell an Grenzen. Um bei der S-Bahn
       zu bleiben: Hier können wir den Vertrag zwischen der S-Bahn und dem Land
       nicht einsehen, uns fehlen also schlichtweg Zahlen. Ähnlich ist es mit
       unserer Forderung nach einer Klassengröße von 15 Schülern, wofür man mehr
       Lehrer braucht. In Schulen gibt es immer kleinere Posten, wo man sparen
       kann - beispielsweise bei der Software der Schulrechner. Wenn wir da
       Genaueres wissen, müssen wir gegenrechnen und schauen, wie weit wir unsere
       Ziele umsetzen können.
       
       Angesichts der Haushaltslage ist es doch so: Wer sich entscheidet, eine
       Sache zu finanzieren, zieht bei einer anderen Geld ab. Welche Lösung haben
       Sie da? 
       
       Man muss das klar kommunizieren. Wenn man sagt: Wenn ihr für die eine Sache
       seid, wird das so oder so viel kosten und auf diese Art und Weise
       finanziert werden. Dann können die Wähler entscheiden, ob sie das möchten
       oder nicht. Oder sie sagen - und da sind wir einzigartig - sie haben einen
       viel besseren Vorschlag. Macht das doch so und so.
       
       Also ist Bürgerbeteiligung vor allem Kommunikation? 
       
       Zunächst mal muss es Angebote geben, wo die Bürger informiert werden, und
       zwar einfacher als bisher. Und es muss Möglichkeiten geben, dass sie dazu
       eine verbindliche Meinung abgeben.
       
       Das führt aber auch zu ziemlichem Aufwand für die Wähler. 
       
       Die Beteiligung soll ein Angebot sein, keine Pflicht. Es wäre illusorisch
       zu glauben, dass jeder Berliner ganz heiß ist, sich zu beteiligen. Aber er
       muss die Möglichkeit haben. Dass man alle fünf Jahre mal seine Stimme
       abgeben darf, ist einfach nicht mehr zeitgemäß, dafür sind die Probleme
       mittlerweile zu komplex.
       
       Intern setzt Ihre Partei für Entscheidungsfindungen auf ein elektronisches
       Verfahren. Wie soll das für alle Berliner funktionieren, schließlich hat
       nicht jeder einen Computer? 
       
       Es hat auch nicht jeder Pirat einen Computer. Aber es gibt Möglichkeiten,
       zum Beispiel in Bibliotheken Computer zu nutzen. Aber es muss auch nicht
       alles digital funktionieren. In den USA gibt es die Möglichkeit, dass
       ältere Menschen über Faxgeräte mit ihren Enkeln über Facebook oder Twitter
       kommunizieren.
       
       Es gibt im Wahlprogramm noch schwarze Löcher. Zu Umweltpolitik etwa steht
       gar nichts drin. Da muss der Wähler die Katze im Sack kaufen. 
       
       Natürlich gibt es noch Defizite. Das liegt daran, dass wir uns konkret mit
       den Sachen auseinandersetzen wollen.
       
       Wie soll denn so ein Defizit behoben werden, wenn es die Piratenpartei ins
       Abgeordnetenhaus schafft und eine Abstimmung ansteht? 
       
       Wir können über unser parteiinternes Abstimmungssystem schnell Meinungen
       der Mitglieder einholen. Wenn es also zur Diskussion kommt und wir eine
       Antwort liefern müssen, dann werden wir dazu in der Lage sein.
       
       Wo sehen Sie die größten Defizite? 
       
       Umweltthemen sind sicher eines davon. Auch die wirtschafts- und
       finanzpolitischen Themen werden noch eine große Herausforderung sein.
       
       Im Wahlprogramm fordert die Piratenpartei unter anderem das Studieren ohne
       Regelstudienzeit, die Abschaffung der Residenzpflicht und des
       Vermummungsverbots auf Demos. Klingt ein bisschen wie ein linksalternativer
       Wunschzettel. 
       
       Ich denke, das hängt ganz stark mit unserem Weltbild zusammen. Wir glauben,
       dass Menschen grundsätzlich gut sind. Wenn man zum Beispiel diese ganze
       Drangsalierung im Hartz-IV-Bereich abschaffen würde, dann würde man auch
       von den Betroffenen ein ganz anderes Vertrauen zurückbekommen.
       
       Ist die Piratenpartei links? 
       
       Früher haben wir immer gesagt, wir sind weder links noch rechts, sondern
       vorne. Ich glaube, wir sind nicht so einfach zu verorten, weil uns einfach
       die Traditionen fehlen,die es im linken Bereich sonst so gibt. Wir müssen
       Fidel Castro keinen Brief schicken. Wir können Themen ohne Vorbelastung
       angehen.
       
       Das Links-rechts-Schema hat ja mit der Sitzordnung im Parlament zu tun. Wo
       sähen Sie sich da? 
       
       Keinen Schimmer. Wirklich gar nicht. Ist mir ehrlich gesagt auch total
       egal, neben wem ich sitze.
       
       Was, glauben Sie, können Sie in fünf Jahren verändern? 
       
       Ich glaube, dass allein durch unser Auftauchen die anderen Parteien aus dem
       Knick kommen. Genau wie bei der Bundestagswahl die CSU auf einmal
       Netzpolitik gemacht hat. Das wäre vorher gar nicht vorstellbar gewesen.
       Aber durch uns merken die einfach, dass es Leute gibt, denen das Thema
       wichtig ist. Am meisten werden wir aber, denke ich, mit dem Thema
       Transparenz erreichen können. Ich denke, dass zum Beispiel so etwas wie die
       Wasserverträge nicht mehr abgeschlossen wird, wenn die Piraten im
       Abgeordnetenhaus sind.
       
       Das würde es vermutlich auch sonst nicht. 
       
       Na ja, dass der Senat Verträge abschließt, die geheim sind, das wird
       vermutlich ohne die Piraten schon noch passieren.
       
       Wenn die anderen Parteien die Themen der Piratenpartei aufnehmen, könnte
       die Partei überflüssig werden. 
       
       Ja, es kann sein, dass die Piraten in 50 Jahren überflüssig sind.
       
       Würde Sie das freuen? 
       
       Ja, ich denke, da wäre ich schon froh. Die meisten von uns sind ja auch
       nicht mit dem Ziel zu uns gekommen, Politiker zu werden. Sondern sie hatten
       ein Anliegen und haben einfach kein adäquates Angebot in der
       Parteienlandschaft gefunden. Und haben sich dann gesagt: Dann müssen wir es
       eben selbst machen.
       
       Woher kommen denn die potenziellen Piratenwähler? 
       
       Ein großer Teil kommt von den Nichtwählern, glaube ich. Dann gibt es einen
       großen Anteil von Grünen- und Linken-Wählern, die taktische Überlegungen
       hegen. Das finde ich aber schwierig.
       
       Warum? 
       
       Weil ich glaube, dass man nicht taktisch wählen sollte. Ich bin der
       Meinung, man sollte die Partei wählen, deren Programm man am ehesten haben
       will.
       
       Das Abgeordnetenhaus ist ein Teilzeitparlament, es gibt aber Abgeordnete,
       die widmen sich Vollzeit ihrem Mandat. Wo sehen Sie sich? 
       
       Ich wäre bereit, mich Vollzeit einzubringen. Das hängt aber von denen ab,
       die mit mir im Parlament sitzen. Es gibt sicher auch welche, die ihre
       berufliche Laufbahn nicht unterbrechen wollen.
       
       Es gab immer mal wieder kleine Parteien, die es gerade so ins
       Abgeordnetenhaus geschafft und sich dann selbst zerlegt haben. Beugen Sie
       dem vor? 
       
       Das Spannungsfeld zwischen Fraktion und Partei, das entsteht, ist für uns
       dann neu. Wir werden uns fragen müssen, wen der Parlamentarier vertritt:
       die Parteimitglieder oder die Wähler.
       
       Oder sich selbst. 
       
       Ich glaube, das ginge bei den Piraten schlechter als bei anderen.
       
       Warum? 
       
       Weil bei uns sowohl die Parteifreunde als auch die Wähler eine große
       Transparenz erwarten.
       
       Ist diese permanente Transparenz nicht auch anstrengend? 
       
       Ja, auch. Aber auch einfacher. Ich habe etwa überlegt, was von mir im
       Wahlkampf transparent sein muss. Und mich erst mal gegen einen öffentlichen
       Terminkalender entschieden. Ich dachte, das muss nicht jeder wissen.
       Irgendwann waren dann aber die Absprachen so kompliziert, dass ich gesagt
       habe, ich mache das doch öffentlich. Private Termine stehen nicht drin. Man
       muss einfach Grenzen ziehen. Was vom Steuerzahler finanziert wird oder
       politische Arbeit betrifft, sollte öffentlich sein.
       
       Wenn wir den Mitschnitt dieses Interviews online stellen, wäre das also
       noch in den Grenzen? 
       
       Ja, na klar.
       
       7 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gereon Asmuth
 (DIR) Svenja Bergt
       
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