# taz.de -- Berlin-Wahl: Piratinnen und Piraten: Partei mit Testosteronüberschuss
       
       > In der Piratenpartei gibt es deutlich weniger Frauen als Männer. Kein
       > Problem, finden die meisten Piratinnen: Über Genderfragen sei man
       > weitgehend hinaus.
       
 (IMG) Bild: Wenig Frauen an Bord: Bei den Piraten machen vor allem die Männer was klar.
       
       Natürlich ist es eine Karikatur. Das goldene Eichhörnchen auf der
       Einladungskarte, die elegant geschwungene Schrift auf dem Briefumschlag.
       Die französischen Höflichkeitsformeln. Die kleinen Törtchen mit
       pastellfarbenen Güssen, verpackt in farblich passende Tütchen. Die hohen
       Absätze, die breiten Gürtel und die Kleider: alles Karikatur, alles
       Übertreibung dessen, was als gesellschaftlich feminin wahrgenommen wird, um
       auf die Rückständigkeit von Geschlechterrollen im Allgemeinen und in der
       eigenen Partei im Besonderen hinzuweisen.
       
       Es ist ein Abend kurz vor der Abgeordnetenhauswahl. Im ersten Stock eines
       Neuköllner Altbaus klingelt es im Minutentakt an der Tür. Treppe hoch,
       erster Stock, linke Tür, hier trifft sich heute "Le Kegelclub", eine
       informelle, unregelmäßig zusammenkommende Gruppe von Menschen aus der
       Piratenpartei, die sich als Piratinnen fühlen. So beschreibt es Piratin
       Lena Rohrbach. Ein gutes Dutzend sind heute gekommen, um bei Törtchen,
       Torte und Bowle den Abend zu verbringen.
       
       Im Wohnzimmer stehen Julia Schramm und Manuela Schauerhammer. In der Hand
       ein Glas Bowle, hinter ihnen blumenförmige Lampen, die die goldene Wand
       anstrahlen, passend zum goldenen Stuck an der Decke. Um die Ecke leuchten
       Blumenborten von der Wand, aus den Boxen klingt leise Cembalomusik. Es wäre
       kitschig, hätte nicht die Dekoration in den hohen Räumen so viel Luft sich
       zu entfalten. Und würden nicht die Gespräche der anwesenden Piratinnen
       ihren ganz eigenen Kontrapunkt setzen.
       
       Schramm ist eine von denen, die den Abend und den Kegelclub organisieren.
       Etwa seit einem halben Jahr gebe es die Treffen - immer dann, wenn man mal
       wieder Lust habe zu quatschen, erklärt sie. Manchmal sei man zu fünft,
       manchmal kämen um die zwanzig. Heute Abend ist ein gutes Dutzend
       versammelt, immer wieder kommen Mitglieder dazu, einige verabschieden sich.
       Wahlkampf, die Terminkalender sind dicht.
       
       Die Piratenpartei hat ein Frauenproblem - oder ein Männerproblem, je nach
       Sichtweise. Das ist die Diagnose auf den ersten Blick. Knapp 1.000
       Mitglieder gibt es im Berliner Landesverband, wie viele davon Frauen sind,
       wird nicht gezählt. "Die Piratenpartei lehnt die Erfassung des Merkmals
       ,Geschlecht' durch staatliche Behörden ab", heißt es dazu im
       Grundsatzprogramm der Partei, auf das ihre Anhänger gern hinweisen.
       Kästchen zum Ankreuzen nebst den Wörtern "männlich" und "weiblich" gibt es
       auf dem Anmeldeformular für die Piratenpartei nicht.
       
       Doch wer auf Termine geht, um Piraten zu treffen, merkt schnell: Hier
       herrscht Männerüberschuss, und zwar deutlich. Egal ob im Straßenwahlkampf,
       beim wöchentlichen Netzwerken in der Neuköllner Kneipe Kinski oder auf der
       Landesliste. Eine einzige Frau steht da zwischen 14 Männern. Eine zweite
       hatte bei der Listenaufstellung ihre Kandidatur aus privaten Gründen
       zurückgezogen.
       
       Im Kegelclub will man diese Diagnose nicht durchgehen lassen. "Klar
       spiegelt sich die Prägung von Geschlechterdifferenzen auch bei den Piraten
       wider, aber weniger als bei anderen Organisationen", sagt Schramm. Die
       anderen nicken. Die Argumentation, die die Piraten seit ihren Anfängen
       nutzen: Man sei über Genderfragen weitgehend hinaus, es gehe nicht einfach
       darum, Frauen in bestimmte Positionen zu bringen, sondern qualifizierte
       Menschen. Und außerdem unterschlage ja die Unterscheidung zwischen Frauen
       und Männern Transgender und intergeschlechtliche Menschen. Wobei, "Frauen"
       sagen sie hier nicht, sie sagen "Menschen, die als Frau sozialisiert
       wurden". Zumindest halten die meisten es so.
       
       Doch das innere Verständnis der Partei ist das eine, die Außenwirkung das
       andere. "Es fällt schon auf, dass nur eine Frau auf der Liste ist", sagt
       Rohrbach. "Das ist auch nicht besonders repräsentativ für den Landesverband
       Berlin", ergänzt Schauerhammer. Eine Spur von Ratlosigkeit ist in der Runde
       zu spüren. Natürlich würden Frauen in Organisationen durch Frauen
       angezogen, wirft eine Piratin ein. Wo wenig Frauen seien, kämen wenige
       dazu. Nur, wie ließe sich das ändern?
       
       Einen Versuch startete vor anderthalb Jahren Leena Simon. Sie hatte auf
       einem Parteitag angekündigt, eine Mailingliste für weibliche Mitglieder zu
       gründen. Es gebe bei den Piraten genauso machistische Diskussionen wie
       überall und ebenso Frauen, die eine andere Atmosphäre brauchten, um sich zu
       äußern, argumentierte sie damals. Gleichstellung und Gleichberechtigung sei
       eben nicht dasselbe. Und schließlich spreche man auch in der Partei
       standardmäßig von "Piraten", nicht von "Piratinnen". Warum eigentlich
       nicht? Wenn doch alle so gleich seien?
       
       Simons Initiative löste einen Sturm der Entrüstung aus. Der Landesvorstand
       lehnte die Idee ab, im Internet hagelte es blöde Witze, Diffamierungen und
       Anfeindungen.
       
       Beim Kegelclub steht Simon im Piraten-T-Shirt neben dem Tisch mit den
       aufgetürmten Kuchen, wirft ihre Tasche auf den Boden und entschuldigt sich
       für das Outfit: Sie komme gerade vom Flyer-Verteilen. "Ich musste das Thema
       einfach ganz laut auf den Tisch bringen", sagt sie rückblickend. Auch wenn
       sie damit erst einmal eine Gegenreaktion provoziert habe, meint Rohrbach:
       Bei Begriffen wie Gender und Feminismus sei bei vielen erst einmal eine
       Schranke heruntergegangen. Aber es habe etwas geholfen, sagt eine Piratin:
       "Die Sensibilität ist heute höher." Egal ob es um derbe Witze gehe oder
       persönliche Bemerkungen. "Es ist besser, dass wir diesen Gender-Knall vor
       anderthalb Jahren hatten, als dass wir ihn jetzt haben", sagt Simon.
       
       Natürlich, der Wahlkampf. Denn es geht längst nicht nur um
       Geschlechterrollen heute Abend. Nicht alle stehen auf der Straße und werben
       um Wähler, einige arbeiten lieber thematisch, andere haben gerade wenig
       Zeit, halten sich zurück. Vom Wahlkampf geht es zum Grundsatzprogramm der
       Partei, zu offenen Positionen im Programm, zur Wohnungsdekoration, zu
       Farben von Kinderzimmern, zur geschlechterneutralen Erziehung, zu Jungs,
       die Glitzerröcke tragen wollen, zum Rollenverständnis und zur
       Sexualaufklärung in den USA, zum Datenschutz und zur Problematik, dass
       Netzpolitik oft als Luxusthema gilt.
       
       Die Diskussion hat Tempo. Die Piratinnen reden viel und schnell, trotzdem
       fallen sie sich nie ins Wort. Es ist eine andere Atmosphäre als beim
       wöchentlichen Treffen im Kinski: Die Dynamik, die Geschwindigkeit, die
       Kontroverse und die Überzeugungen sind die gleichen, aber das
       Spannungsgeladene fehlt. Wenn sich eine Person dem Kreis nähert, bildet
       sich sofort eine Lücke, um Platz zu schaffen, zu integrieren. Ist das
       weiblich? Oder Zufall?
       
       Susanne Graf ist die einzige Frau auf der Landesliste der Piraten. Dass sie
       jung ist, 19, fällt weniger auf in einer Partei, die vor allem junge
       Menschen anzieht. "Die Frage nach dem Frauenanteil kommt oft, an
       Wahlständen bestimmt zwei-, dreimal am Tag", sagt Graf. Ja, das nerve ein
       bisschen, sie wünsche sich einfach, dass das Thema weniger Gewicht habe.
       Aber die Struktur einer Gesellschaft lasse sich eben nicht von heute auf
       morgen verändern.
       
       "Natürlich wollen wir, dass Frauen stärker in der Politik präsent sind",
       sagt sie und benutzt dabei fast die gleichen Worte wie Simon. Eine Quote
       wäre da eine denkbare Übergangslösung. "Aber viele Frauen bei uns lehnen
       eine Quote ab, weil sie keine Quotenfrau sein wollen." Laut Graf sind im
       Berliner Landesverband gar nicht weniger Frauen als bei anderen Parteien -
       sie würden nur eher im Hintergrund arbeiten. Aus Interesse, nicht aus
       vermeintlich frauentypischem Rollenverhalten, betont sie.
       
       In der Küche wird Rotwein ausgeschenkt, Kontrastprogramm zur pinkfarbenen
       Bowle. "Wir gehen kleine Schritte und werden wohl noch eine Weile daran
       arbeiten", sagt eine Piratin. Dann geht es noch einmal um die Wahl, um
       Balken und Hochrechnungen. "Alleine wenn die Leute sehen, da taucht eine
       neue Partei auf, ist das ein Riesenerfolg", sagt Simon. Und für die
       Abgeordnetenhauswahl 2016 wünscht sie sich, 50 Prozent Frauen dabei zu
       haben. Ganz ohne Quote.
       
       14 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Svenja Bergt
       
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