# taz.de -- Syrische Opposition im Exil: Wer stoppt Assad?
       
       > Weil sie Angst vor einem Bürgerkrieg haben, fürchten Dissidenten den
       > Widerstand mit Waffen. Und begründen das internationale Desinteresse mit
       > dem wenigen Erdöl.
       
 (IMG) Bild: Panzerpatrouille in der Ortschaft Nakhl bei Deraa als Abschreckung für Regimegegner.
       
       KAIRO taz | Seit sieben Monaten tobt unter Ausschluss der internationalen
       Öffentlichkeit der Aufstand in Syrien. Das Land steht auf der Kippe,
       zwischen friedlichen Demonstrationen und bewaffnetem Aufstand; zwischen
       internationaler Gleichgültigkeit und militärischer Intervention.
       
       "Baschar al-Assad hat drei Feinde: YouTube, Facebook und die
       Freitagsgebete", feixt der bekannte syrische Dissident Muhammad Mamoun
       al-Homsi. Diese Aufzählung offenbart ungewollt die Schwächen der syrischen
       Opposition: Sie hält kein Territorium, hat keinen Platz in der Hauptstadt
       besetzt und verfügt über keine Führung. So müssen die neuen Medien und die
       kurzen Demonstrationen nach den Freitagsgebeten herhalten.
       
       Wie viele andere syrische Oppositionelle hat auch al-Homsi in den
       vergangenen Wochen in Kairo sein Quartier aufgeschlagen, anderthalb
       Flugstunden von Damaskus entfernt. Dort, vorzugsweise im Safir-Hotel am
       westlichen Nilufer, geben sie Journalisten Interviews. Kairo entwickelt
       sich nach Istanbul zum Hauptstützpunkt jener Syrer, die sich in ihrer
       Heimat nicht mehr blicken lassen können, weil sie dort sofort in den
       Kerkern des Regimes landen würden.
       
       Auch der Menschenrechtsaktivist Abdel Karim al-Rihawi flüchtete Mitte
       September nach Kairo, nachdem er zuvor zum wiederholten Male verhaftet
       worden war. Zehn Tage blieb er diesmal in Haft; die nächste Festnahme, so
       fürchtete er, würde er nicht überleben.
       
       ## Inzwischen fast 3.000 Tote in Syrien
       
       "Die Ernte des Arabischen Frühlings in Syrien nach sieben Monaten Aufstand
       ist bitter", sagt der Leiter der syrischen Gesellschaft für Menschenrechte.
       "Wir haben mindesten 5.000 Tote, über 6.000 Vermisste und 70.000 Menschen
       im Gefängnis", zählt al-Rihawi auf. Die Zahl der Syrer, die in den
       vergangenen Monaten festgenommen, gefoltert, einbehalten und zum Teil
       wieder freigelassen wurden, schätzt er auf mehr als 200.000. Überprüfen
       lassen sich diese Zahlen kaum. Das Regime in Damaskus räumt bisher ein,
       dass es 1.400 Tote gab, das UN-Menschenrechtsbüro spricht seit der vorigen
       Woche von 2.900 Toten.
       
       Oppositionelle wie al-Homsi und al-Rihawi warnen inzwischen davor, dass
       sich die Qualität des syrischen Aufstands verändert. "Das Volk versucht,
       nach tunesischem und ägyptischem Muster friedlich zu bleiben", sagt
       al-Homsi. Doch das werde, davon ist er überzeugt, nicht mehr lange so
       bleiben. Die Menschen wüssten, dass das Regime aus einem bewaffneten
       Aufstand Nutzen ziehen würde, um diesen nach alter Manier niederzuschlagen.
       
       "Ich befürchte, dass die Geduld des Volkes überstrapaziert ist und dass wir
       den traurigen Tag erleben werden, wenn die Revolution sich in einen
       bewaffneten Aufstand verwandeln wird. Das Regime will den bewaffneten
       Aufstand, denn dann kann es verbrannte Erde hinterlassen", glaubt er.
       
       "Das Problem mit dem bewaffneten Widerstand ist, dass er in einen
       Bürgerkrieg ausarten kann", fürchtet auch al-Rihawi. "Dadurch könnte
       vielleicht sogar irgendwann das Regime gestürzt werden, aber dann hätten
       wir eine Katastrophe. Es wäre in solch einer Situation schwer, den Leuten
       die Waffen wieder abzunehmen. Es wäre eine große Herausforderung für die
       nächste Regierung die Lage zu beruhigen. Offene Rechnungen würden beglichen
       werden, es käme zu Racheaktionen", prophezeit er.
       
       ## Probleme zwischen den Religionsgruppen
       
       Das könnte sich dann in Syrien entlang der Religionsgruppen entwickeln,
       fürchten inzwischen viele Beobachter. Das Gros der Aufständischen besteht
       aus Sunniten, die sich seit Jahrzehnten von der herrschenden Minderheit der
       Alawiten an den Rand gedrängt fühlen. Auch die christliche Minderheit macht
       sich sorgen, welche Rolle in einem zukünftigen Syrien die Islamisten
       spielen könnten.
       
       Al-Homsi und al-Rihawi wischen diese Befürchtung allerdings als
       Regierungspropaganda beiseite: "Wenn das tatsächlich geschieht, dann ist
       das Regime dafür verantwortlich, das diese Karte ausspielt, um seine Macht
       zu erhalten", sagt Al-Homsi. Aber, so fügt er hinzu, die Syrer hätten
       dieses Spiel schon längst durchschaut und würden darauf nicht hereinfallen.
       
       Al-Homsi stellt eine Rechnung auf: "Wenn es nicht zu einer internationalen
       Intervention kommt, ist der bewaffnete Aufstand fast unausweichlich." Er
       spricht damit einen wunden Punkt der syrischen Opposition an. Und die ist
       in in der Frage einer ausländischen Intervention gespalten.
       
       ## Vorbild Übergangsrat der libyschen Rebellen
       
       Vor Kurzem wurde in Istanbul der Syrische Nationalrat gegründet. Zu diesem
       Zusammenschluss wichtiger Oppositionsgruppen gehören unter anderen die
       Lokalen Koordinationskomitees, die die Aktionen im Inneren des Landes
       organisieren, die syrische Sektion der Muslimbrüder, die Gruppe der
       "Damaszener Erklärung", mehrere kurdische Organisationen sowie die liberale
       Gruppe von Burhan Ghalioun, einem Professor an der Pariser
       Sorbonne-Universität, der auch als Sprecher des Rates fungiert.
       
       Nach dem Vorbild des Übergangsrats der libyschen Rebellen hofft der
       syrische Rat als internationaler Ansprechpartner anerkannt zu werden. In
       der Frage der internationalen Intervention hat sein Sprecher Ghalioun eine
       dehnbare Formel gefunden: "Wir lehnen eine ausländische Intervention ab,
       die die Souveränität des syrischen Volkes untergräbt", erklärte er auf
       einer Pressekonferenz bei der Gründung des Rates. Stattdessen spricht er
       vorsichtig davon, dass die internationale Gemeinschaft ihrer Verantwortung
       für den Schutz der Zivilisten gerecht werden müsse.
       
       Al-Homsi, der nicht dem neuen Rat angehört, findet in Kairo deutlichere
       Worte. "Internationale Intervention, das ist das Schreckgespenst, das das
       Regime an die Wand malt", sagt er. "Ausgerechnet dieses Regime spricht von
       Souveränität, während die iranischen Revolutionswächter und die Hisbollah
       die Souveränität Syriens längst ausgehöhlt haben und das Land wie ein
       Privatbesitz der Familie Assad verwaltet wird", echauffiert er sich.
       
       "Was sind die Regeln und Verträge der internationalen Gemeinschaft wert?
       Einmal schützen sie die Zivilisten, einmal nicht, einmal intervenieren sie,
       einmal nicht", sagt er, auf die Entwicklung in Libyen anspielend. Doch den
       Luxus, eine ausländische Intervention abzulehnen, könnten sich die Syrer
       nicht mehr leisten.
       
       ## "Wir haben kein Erdöl"
       
       Al-Homsi fordert sogar einen Eingriff der Nato. Seine Idee: Es müsste
       international an den Grenzen zur Türkei, zu Jordanien oder Irak eine 30
       Kilometer breite Zone durchgesetzt werden, eine Art befreites Gebiet, in
       dem die Sicherheitskräfte Assads nicht mehr agieren könnten. Dort könnten
       auch die übergelaufenen Soldaten Schutz finden. Unter solchen Umständen
       würden viel mehr Soldaten dem Regime davonlaufen.
       
       Das internationale Zögern erklärt damit, dass das syrische Regime de facto
       als Garant für die Sicherheit Israels fungiere. Trotz aller Propaganda ist
       die Grenze zu Syrien in den 30 Jahren der Assads die sicherste und ruhigste
       Grenze. Und noch einen anderen wichtigen Grund für das internationale
       Desinteresse meint al-Homsi zu kennen: "Wir haben keine große
       Erdölvorkommen wie Libyen."
       
       Al-Rihawi, der dem neu gegründeten Nationalrat angehört, ist dagegen fest
       davon überzeugt, dass es am Ende eine Intervention geben und der
       Nationalrat internationale Anerkennung finden werde. Lange könne die
       internationale Gemeinschaft das Schlachten in Syrien nicht mehr ignorieren.
       Es werde früher oder später eine Flugverbotszone eingerichtet werden. Zudem
       würden die übergelaufenen Soldaten mit militärischen Operationen beginnen,
       meint er. Das einzig andere mögliche Szenario wäre, dass Assad
       international überzeugt davon werden kann, abzutreten. Das aber sei, meint
       al-Rihawi, "mehr als unwahrscheinlich".
       
       9 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim Gawhary
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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