# taz.de -- Syrischer Student über Revolte: Im Netz der grausamen Giraffe
       
       > Er ist 22 Jahre alt, Student und lebt in der syrischen Hauptstadt
       > Damaskus - und wie viele Oppositionelle hat er zwei Profile auf Facebook
       > - eines für Harmloses und eines für die Revolte.
       
 (IMG) Bild: Inkognito in der Menge gegen das Assad-Regime.
       
       Ich hoffe, die Internetverbindung wird halten. Die Geheimdienste haben in
       unserem Gebiet eben das Netz für fünf Stunden lahmgelegt. Das machen sie
       immer, wenn sie dort gerade eine Aktivität von unserer Seite vermuten.
       Reißt die Verbindung, so können wir nicht aufs Telefon ausweichen, denn das
       Telefonnetz und der Mobilfunk werden abgehört.
       
       Es ist gefährlich, sich gegen das Regime in meinem Land zu äußern, deshalb
       kann ich meinen wahren Namen nicht nennen. Mohammed ist der in Syrien am
       weitesten verbreitete männliche Vorname. So möchte ich genannt werden.
       Mohammed, der Patriot. Mit einem Smiley dahinter, bitte.
       
       Früher fanden bestimmte Gespräche in der Öffentlichkeit nur im Flüsterton
       statt. Seit Mitte März haben vergleichsweise viele Menschen angefangen, auf
       Facebook zu veröffentlichen, was sie wirklich denken: Baschar al-Assad, der
       Präsident, muss weg. Die meisten von uns haben zwei Profile, ein scheinbar
       echtes für die harmlose Kommunikation und ein anderes für die Rebellion.
       
       Die Zahl derer, die auf unserer Seite, der Seite der Demonstranten, sind,
       wächst. Die Menschen haben mehr Vertrauen in die Zukunft. Seit dem Beginn
       des Arabischen Frühlings ist das eine wirklich große Veränderung unseres
       Zustandes.
       
       Nachdem zu Beginn der Unruhen klar wurde, dass die Facebook-Seite "The
       Syrian Revolution 2011" und eine andere Seite von den Geheimdiensten
       beobachtet wird, weil dort vereinbarte Treffen von Demonstranten im Vorfeld
       von der Polizei verhindert wurden, hatten die Menschen zunächst gänzlich
       aufgehört, Facebook zu benutzen, um sich für den Protest gegen die
       Regierung zu organisieren. Wir wussten schon zuvor, dass unsere
       Onlineaktivität in Syrien kontrolliert wird, aber jetzt wurde uns bewusst,
       dass Geheimdienstler sich ebenfalls falsche Facebook-Profile zugelegt
       haben, um das Treiben auf der Seite zu beobachten. Die Protestbewegung
       organisiert sich dennoch hauptsächlich über Facebook. Twitter wird hier
       eher weniger benutzt. Nicht viele Syrier haben Internet und noch weniger
       davon auf ihrem Handy.
       
       Seit dem Beginn der Revolutionsbewegung hat jeder Freitag auf Facebook
       einen Namen. Es hat angefangen, als jemand, der an den Protesterhebungen
       teilnahm, an einem Freitag dort Videos von einer Demonstration und ihrer
       Niederschlagung durch die Exekutive hochgeladen hat. Dieser Freitag wurde
       nach dem ersten Opfer des tunesischen Aufstands benannt. Später erhielten
       die Freitage Namen wie "Freitag der Befreiung" oder "Der Freitag, an dem es
       kein Zurück mehr gibt". Auf der Seite stehen auch Informationen darüber,
       was passiert ist, und die Namen der aufgeflogenen Spione der Geheimdienste
       werden dort veröffentlicht. Auch liest man dort die Namen derer, die vom
       Militär bei Demonstrationen getötet wurden, wo Hilfe gebraucht wird.
       
       Die öffentliche Diskussion über den Regimewechsel wird durch die vielen
       Verhaftungen gelähmt und dadurch, dass viele Menschen Angst haben, sich zu
       äußern. Viele sind durch die Gegenpropaganda der Regierung im Netz
       eingeschüchtert - denn deren Anhänger sind auch auf Facebook.
       
       Die Menschen, die sich nicht trauen, hinter der Revolution zu stehen,
       obwohl sie eigentlich auf unserer Seite sind, sollen sich schämen. Es
       werden vor allem sehr junge Menschen sein, die bald wieder auf die Straße
       gehen. Ich habe auf al-Dschasira Videos von 15- bis 18-jährigen
       Demonstranten gesehen. Seit einigen Wochen haben die Schulen angefangen und
       das neue Semester an den Universitäten hat ebenfalls begonnen. Das wird, so
       hoffen ich und meine Freunde, einen Wendepunkt herbeiführen. Denn seit wir
       wieder an Schulen und Unis versammelt sind, können wir uns besser
       organisieren, um Straßen und Plätze zu besetzen.
       
       Die Organisation von Protesten gegen Assad läuft schon jetzt über Facebook.
       Es werden Treffpunkte veröffentlicht und Tipps, wie man sich vor dem
       Militär schützen könnte. Wir machen auch Informationen, wie man Proxies
       benutzt - das sind Zwischenstationen im Netz, mit denen sich die eigene
       IP-Adresse verschleiern lässt, so dass man anonym surfen kann -, möglichst
       vielen zugänglich. Wenn wir auf Facebook Veranstaltungen für unsere
       Treffpunkte kreieren, versuchen wir, möglichst viel über Codewörter zu
       kommunizieren, die sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreiten.
       
       ## "Die Spione" und "Die anderen"
       
       Wir schreiben zum Beispiel, dass wir unser Mitgefühl mit den Opfern von
       Fukushima zeigen wollen, dabei sprechen wir eigentlich von unserer Trauer
       über eine niedergeschlagene Demonstration in Hama. Assad wurde lange Zeit
       wegen seinem langen Hals "die Giraffe" genannt, die Regierung waren "die
       Anderen", wenn wir posten, dass wir auf eine Party gehen, heißt das, "wir
       gehen demonstrieren", und uns selbst nannten wir eine Zeit lang auch "die
       Spione", um die Verwirrung komplett zu machen.
       
       Über die Codes haben wir es lange Zeit geschafft, uns an einem Treffpunkt
       anonym zu verabreden, und jeder von uns trug ein Kleidungsstück in einer
       bestimmten Farbe, zum Beispiel Weiß, um zu zeigen, dass wir gegen das
       Regime sind. Es kamen Menschen verschiedener Altersgruppen zu diesen
       stillen Treffen. Eines Tages wurden einige von uns bei einer solchen Aktion
       verhaftet. Einer kam zurück mit einem Messer im Bauch. Wenn man heutzutage
       von der Polizei festgenommen wird, zwingen sie uns, sich bei Facebook
       einzuloggen, um zu sehen, ob man dort bei der Protestbewegung aktiv ist.
       Wir öffnen natürlich nur unsere ungeschützten Profile.
       
       Zu den Menschen in den Protesthochburgen Hama und Homs haben wir spärlichen
       Kontakt. Hier in Damaskus ist es vergleichsweise ruhig, denn es ist die von
       Assad am meisten kontrollierte Stadt. Alle Regierungsgebäude sind hier.
       Doch bald wird es auch hier kochen, glaube ich. Wenn das Militär sich
       entlang der konfessionellen Linie zwischen Aleviten und Sunniten spaltet,
       werden die Kräfteverhältnisse neu verteilt. Ich habe überhaupt keine
       Ahnung, wie, denn in dieser Revolutionsbewegung gibt es keine Anführer und
       auch keine Diskussion darüber, was nach der Revolution passieren soll. Klar
       ist nur eins, nämlich das Assad gehen soll, weil er ein Schlächter ist. Ich
       habe in den letzten Monaten viel zu oft darüber diskutiert, warum ich das
       glaube. Ich muss jetzt handeln.
       
       PROTOKOLL: ALISSA STARODUB
       
       Das Interview wurde über verschlüsselte E-Mails geführt und aus dem
       Englischen übersetzt.
       
       12 Oct 2011
       
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