# taz.de -- Regimewechsel in Arabien: Diktatur ist nicht gleich Diktatur
       
       > In jedem Land verläuft die Revolution anders. Entscheidende Faktoren in
       > den Umbruchstaaten sind die Rolle des Militärs und die Basis des Regimes.
       
 (IMG) Bild: Vielleicht ist er der nächste Kandidat für einen Rücktritt: Syriens Präsident Baschar al-Assad.
       
       BERLIN taz | Sollte Ali Abdullah Saleh nach 33 Jahren wirklich abtreten,
       wäre er der vierte Herrscher, der seit Beginn des arabischen
       Umbruchprozesses die Macht verliert - nach Tunesiens Zine El Abidine Ben
       Ali, Ägyptens Husni Mubarak und Libyens Muammar al-Gaddafi. Der Logik
       zufolge - falls man im Falle von Volksaufständen von Logik sprechen kann -
       ist Syriens Präsident Baschar al-Assad der nächste Kandidat.
       
       Nach den monatelangen Verhandlungen mit der jemenitischen Führung unter der
       Schirmherrschaft Saudi-Arabiens könnte das Königshaus in Riad im Rahmen der
       inzwischen aus dem politischen Tiefschlaf erwachten Arabischen Liga einen
       ähnlichen Prozess im Fall Syrien einleiten. Das Ziel wäre ein Übergang, der
       gemeinhin als "geordnet" bezeichnet wird.
       
       Der sehr unterschiedliche Verlauf der arabischen Revolutionen seit Beginn
       des Jahres zeigt vor allem eins: Diktatur ist nicht gleich Diktatur.
       Letztlich ist jedes Land ein Sonderfall. Die unterschiedliche
       gesellschaftliche und politische Verfasstheit eines Regimes hat sowohl
       Folgen für die Dynamik des Aufstands sowie für die Chancen auf einen
       relativ friedlichen Wechsel und für die Zeit des Übergangs danach. Wichtige
       Faktoren sind dabei vor allem die Rolle des Militärs und die Basis des
       jeweiligen Regimes.
       
       Im Falle Tunesiens und Ägyptens, wo der Sturz Ben Alis beziehungsweise
       Mubaraks 28 respektive 18 Tage dauerte, bestand die Funktion der Armee
       traditionell nicht primär darin, das jeweilige Regime abzusichern, sondern
       in der Landesverteidigung, auch wenn die Führung in finanzieller und
       wirtschaftlicher Hinsicht eng an das Regime gebunden war.
       
       ## Sonderrolle des Militärs in Ägypten
       
       Nach dem Sturz der Herrscher freilich zeigten sich die Unterschiede:
       Während die tunesische Armee in den Kasernen blieb, übernahm das ägyptische
       Militär de facto die Macht und beansprucht auch künftig eine Sonderrolle.
       Die gegenwärtige Auseinandersetzung in Ägypten ist daher von
       grundsätzlicher Bedeutung: Es geht um die Frage, ob der Übergang zu
       legitimen zivilen Institutionen gelingt.
       
       Gemeinsam war Ben Ali und Mubarak im Unterschied zu anderen Herrschern
       auch, dass ihre Macht auf vergleichsweise tönernen Füßen stand. Das Geld
       blieb in der Familie und einer mit ihr verbundenen Elite, weswegen es um
       sie herum nach Beginn der Proteste ziemlich schnell ziemlich einsam wurde.
       Darüber hinaus fehlte es in beiden Regimen an einer Ideologie, auf die die
       politischen Institutionen, die bewaffneten Kräfte, die Medien und die
       Bevölkerung eingeschworen wurden.
       
       Dafür wiederum stehen Länder wie Libyen oder Syrien. Das politische System
       des Regimes Assad etwa zeichnet sich durch eine sehr enge Verquickung
       zwischen der herrschenden Baath-Partei sowie den politischen und
       militärischen Institutionen aus. Während in der ägyptischen Armee auch
       einfache Soldaten Karriere machen können, gleich, ob sie Nubier sind oder
       aus dem Nildelta stammen, sind die oberen Ränge in der syrischen Armee den
       Alawiten vorbehalten, einer schiitischen Minderheitsströmung, der auch
       Assad angehört.
       
       Das ist auch der Grund dafür, dass in Syrien fast ausschließlich einfache
       Soldaten mit leichten Waffen desertieren. Hinzu kommt eine Pluralität von
       Befehlssträngen - Militär, Partei und Geheimdienste -, die samt und sonders
       an das Regime gebunden sind, und sei es aus Angst. In Gaddafis Libyen war
       das ähnlich.
       
       ## Loyalität der Stämme
       
       Doch Assad, Gaddafi und Saleh gelang es, eine gewisse Machtbasis in der
       Bevölkerung zu etablieren. Sei es, indem sie sich die Loyalität der Stämme
       erkauften, bestimmte Landesregionen bevorteilten oder, wie im Falle
       Syriens, die sunnitische Wirtschaftselite durch eine Politik der
       Liberalisierung an das Regime banden. In diesen Ländern gab es also
       Bevölkerungsgruppen, die im Falle eines Machtwechsels durchaus etwas zu
       verlieren hatten.
       
       Im Vergleich zu Bahrain, wo eine sunnitische Minderheit die schiitische
       Mehrheit als Bürger zweiter Klasse hält, hat sich das Regime Assad im Sinne
       der Herrschaftsabsicherung als fähig erwiesen, konfessionelle Schranken zu
       überwinden. Die Tatsache, dass die syrische Bevölkerung ethnisch und
       religiös viel stärker gemischt ist als andere arabische Staaten, hat den
       Volksaufstand weder behindert noch befördert; auch die in letzter Zeit
       zunehmenden bewaffneten Angriffe der Opposition richteten sich gegen
       militärische Ziele des Regimes und nicht gegen andere Bevölkerungsgruppen.
       
       Auffallend ist, dass es sich in den Umbruchstaaten von Tunesien bis zum
       Jemen nicht um Königreiche oder Emirate handelt. In Jordanien und Marokko,
       wo es ebenfalls Proteste gab, wurde der Weg vorsichtiger Reformen
       eingeschlagen. Die offene Frage ist nur noch, ob Saudi-Arabien und die
       kleinen Staaten am Golf es schaffen werden, rechtzeitig auf diesen Kurs
       einzuschwenken.
       
       25 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Beate Seel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Jordanien
       
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