# taz.de -- Mögliche Klage gegen Betreuungsgeld: Die Familie bleibt dem Staat überlassen
       
       > Die mögliche Verfassungsklage von SPD und Grüne gegen das Betreuungsgeld
       > könnte scheitern. Denn der Staat darf in der Familienpolitik viel selbst
       > entscheiden.
       
 (IMG) Bild: Das Betreuungsgeld: Eher symbolische Wirkung als familienpolitisches Rollback?
       
       BERLIN taz | Verstößt das geplante Betreuungsgeld gegen das Grundgesetz?
       Neben der politischen Debatte über den Sinn der Koalitionspläne werden –
       wie immer in Deutschland – auch verfassungsrechtliche Argumente dafür
       angeführt.
       
       SPD und Grüne drohten am Wochenende mit dem Gang zum Verfassungsgericht,
       falls das Gesetz 2013 beschlossen wird. Die beiden Bundestagsfraktionen
       könnten allerdings nur zusammen klagen, weil sie allein nicht das für eine
       „abstrakte Normenkontrolle“ erforderliche Viertel der
       Bundestagsabgeordneten erreichen. Klagen könnte allerdings auch je eine
       rote oder rot-grüne Landesregierung.
       
       Die Kritiker stützen sich vor allem auf zwei Gutachten von
       Rechtsprofessorinnen, die seit 2010 vorliegen. Margarete Schuler-Harms
       schrieb für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, Ute Sacksofsky für die
       grüne Bundestagsfraktion. Die vorgebrachten Verfassungsbedenken sind
       allerdings nicht zwingend. Der Erfolg einer Klage wäre also ziemlich
       unsicher.
       
       Erstens wird bemängelt, dass das Betreuungsgeld nur an Familien fließen
       soll, die ihre ein- bis dreijährigen Kinder nicht in eine Kita schicken.
       Das diskriminiere Eltern, die Kitas nutzen, und verstoße gegen den
       allgemeinen Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz) und gegen die
       Pflicht, Familien „neutral“ zu fördern, die aus Artikel 6 (Schutz der
       Familie) entnommen wird.
       
       ## Weiter Spielraum
       
       Allerdings hat der Gesetzgeber nach gängiger Karlsruher Rechtsprechung
       einen weiten Spielraum bei der Gestaltung der Familienförderung, auch weil
       es um ein Geflecht unterschiedlichster Maßnahmen geht. Es erscheint
       jedenfalls nicht offensichtlich willkürlich, wenn der Staat neben den
       Milliarden, die in den Aufbau einer subventionierten Kita-Infrastruktur
       fließen, auch Eltern, die keine Kitas nutzen, finanziell fördert. Am
       Gleichheitssatz dürfte das Betreuungsgeld wohl kaum scheitern.
       
       Zweitens wird auf die seit 1994 ausdrücklich im Grundgesetz stehende
       staatliche Pflicht „zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung
       von Frauen und Männern“ verwiesen (Art. 3 Abs. 2). Diese Pflicht werde
       verletzt, wenn ein Familienbild gefördert wird, bei dem typischerweise die
       Frau zeitweise aus dem Beruf aussteigt. Angeblich seien alle Gesetze
       verfassungswidrig, „die die überkommene Rollenverteilung verfestigen“, so
       Sacksofsky. Das hat das Bundesverfassungsgericht freilich noch nie
       entschieden.
       
       Vielmehr hat Karlsruhe dem Staat bei der Verwirklichung des
       Gleichstellungsgebots bisher weiten Gestaltungsspielraum gelassen.
       Sacksofsky und Schuler-Harms räumen selbst ein, dass ein Betreuungsgeld von
       monatlich 150 Euro nicht wirklich ein familienpolitisches Rollback auslösen
       kann, sondern eher „symbolische Wirkung“ habe und sich wohl auf
       „Mitnahmeeffekte“ beschränke.
       
       Die Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf meint, dass die rechtliche
       Kritik am Betreuungsgeld zumindest dann „weitgehend“ entfalle, wenn es auch
       an berufstätige Eltern gezahlt wird – weil diese eine Tagesmutter statt
       einer Kita wählen.
       
       Drittens kritisiert Schuler-Harms, dass der Bund das Betreuungsgeld gar
       nicht einführen dürfe, weil hier kein Bedürfnis nach einheitlichen
       Lebensverhältnissen bestehe. Allerdings wurden der Kita-Ausbau und das
       Elterngeld auch vom Bund beschlossen. Auch wenn keines der
       verfassungsrechtlichen Argumente einen Erfolg in Karlsruhe garantiert oder
       nahelegt, so könnte die Bundesregierung die andauernde rechtliche
       Diskussion zum Anlass für einen gesichtswahrenden Rückzieher nehmen.
       
       24 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Ausbau von Betreuungsplätzen: Zehn Punkte gegen den Druck
       
       Der Ausbau der Kinderkrippen stockt. Doch ab August 2013 haben Eltern einen
       Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Nun plant die Bundesregierung ein
       Zehn-Punkte-Programm zur Beschleunigung.
       
 (DIR) Streit ums Betreuungsgeld: Druck auf Schröder steigt
       
       Unionsabgeordnete fordern von der Familienministerin, rasch einen
       Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld vorzulegen. Ansonsten müsse man ihr die
       Zuständigkeit entziehen.
       
 (DIR) Diskussion um Betreuungsgeld wird schärfer: Mit voller Kraft in die Kita?
       
       Unverhofft hat Hannelore Kraft eine Debatte über eine „Kita-Pflicht“
       ausgelöst. Unionspolitiker empören sich über ein aus dem Zusammenhang
       gerissenes Zitat.
       
 (DIR) Nationale Betreuungsstudie: Schlechtes Zeugnis für Kitas
       
       In einer bundesweiten Befragung schneiden Kitas schlecht ab. Nur eine von
       zehn Einrichtungen ist „gut“. Die Hälfte der Kindergärten gilt als
       „unzureichend“.
       
 (DIR) Kommentar Betreuungsgeld: Der Bayer treibt die Merkel
       
       Angela Merkel hat sich aufgrund offener Drohungen von CSU-Chef Horst
       Seehofer kompromisslos auf das Betreuungsgeld festgelegt. Doch das Projekt
       wird an ihr kleben bleiben.
       
 (DIR) Kein Betreuungsgeld zum Hartz IV: Die „Kita-Fernhalteprämie“
       
       Das umstrittene Betreuungsgeld soll nur Familien mit Geld zukommen.
       Hartz-IV Empfängern wird diese Leistung vom Arbeitslosengeld II wieder
       abgezogen.
       
 (DIR) Geplantes Betreuungsgeld: Keine Herdprämie für arme Eltern
       
       Die schwarz-gelbe Koalition will Hartz-IV-Bezieher vom geplanten
       Betreuungsgeld ausschließen. Die 150 Euro sollen von den Bezügen abgezogen
       werden. Die SPD findet die Idee „absurd“.
       
 (DIR) Kommentar Betreuungsgeld: Ein rosarotes Strohfeuer
       
       Die Konservativen setzen aufs Urbild der Mutter, auf die der öffentlichen
       Sphäre entgegengesetzte fürsorgende Frau. Ein wenig mehr Rente soll
       Kritiker beruhigen.
       
 (DIR) Union streitet um das Betreuungsgeld: Mehr Rente für ein Ja zur Herdprämie
       
       Die CDU will den Streit ums Betreuungsgeld befrieden und einigen Eltern 50
       Euro mehr Rente zahlen. Damit sollen Kritiker in der Partei umgestimmt
       werden.
       
 (DIR) Zoff ums Betreuungsgeld: SPD droht mit Verfassungsklage
       
       Sobald der Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld vorliegt, will die SPD
       möglicherweise in Karlsruhe dagegen klagen. CSU-Chef Horst Seehofer sieht
       wegen des Themas gar die Koalition gefährdet.