# taz.de -- Hilde Schramm über ein schwieriges Erbe: Kontaminiertes Geld
       
       > Versuch, zurückzugeben: Hilde Schramm, die Tochter von Hitlers
       > Chefarchitekt Albert Speer, über ihr lebenslanges Engagement von AL bis
       > zur Stiftung „Zurückgeben“.
       
 (IMG) Bild: Aus der Bildersammlung Albert Speers: Arnold Böcklins Darstellung der Campagna (1859, Ausschnitt).
       
       Dr. Hilde Schramm, Erziehungswissenschaftlerin, studierte Germanistik,
       Latein, Soziologie u. Erziehungswissenschaften. Sie arbeitete nach dem 2.
       Staatsexamen als Soziologin u. habilitierte Erziehungswissenschaftlerin i.
       d. Lehrerbildung a. d. Freien Universität Berlin. 1961 heiratete sie den
       späteren FU-Germanistikprofessor Ulf Schramm (er starb 1999), bekam 2
       Kinder. 1968 Gründung der Großfamilien-Hausgemeinschaft in Lichterfelde
       West (zur strikten Vermeidung der üblichen Kleinfamilienstrukturen). 
       
       Für die AL war sie mehrere Jahre Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses
       und 1989/90 dessen Vizepräsidentin. Im Lauf ihres Lebens initiierte und
       unterstützte sie viele Projekte, vor allem solche, die sich auf vergessene
       Nazi-Opfer beziehen (auf Zigeuner, Homosexuelle, sog. Asoziale u. a.). 1994
       Mitbegründerin der STIFTUNG ZURÜCKGEBEN zur Förderung jüdischer Frauen in
       Kunst und Wissenschaft. Anlass war eine Erbschaft. 2004 wurde sie
       Vorsitzende des Vereins KONTAKTE/KOHTAKbI e.V. Gemeinsam mit dem Gründer
       Eberhard Radczuweit setzte sie sich ein für ehemalige sowjetische
       kriegsgefangene Zwangsarbeiter, die keinerlei Ansprüche geltend machen
       konnten. (Sie ist noch heute im Beirat). 
       
       2004 erhielt sie von der Stadt Berlin den Moses-Mendelssohn-Preis (für ihr
       Lebenswerk). Ihr Preisgeld von 10.000 Euro gab sie KONTAKTE e. V. und der
       STIFTUNG ZURÜCKGEBEN. Sie ist Herausgeberin und Verfasserin mehrerer
       Bücher, zuletzt „Meine Lehrerin Dora Lux“ (Hamburg 2012). Hilde Schramm
       wurde 1936 in Berlin geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie von 1938–1945
       auf dem Obersalzberg (innerhalb des „Führersperrgebietes), 1946–1955 lebte
       sie mit der Mutter und den 5 Geschwistern zusammen im Heidelberger Haus
       ihrer Großeltern väterlicherseits. 
       
       Ihr Vater, Albert Speer, war Hitlers Chefarchitekt u. ab 1942 der Manager
       d. deutschen Kriegswirtschaft u. Rüstungsproduktion. Er hat das
       Zwangsarbeitersystem perfektioniert und benutzte fast 8 Millionen
       Zwangsarbeiter, um die Rüstungsproduktion um das 3- bis 6fache zu erhöhen.
       (1946 wurde er im Nürnberger Prozess gegen d. Hauptkriegsverbrecher zu 20
       Jahren Haft verurteilt und saß im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis d.
       Alliierten bis zur Entlassung 1966.) 
       
       Hilde Schramm wohnt quasi bei uns um die Ecke, in einer dieser großen alten
       Villen mit Ziegelornamenten und Kutscherhäuschen im Garten hinter dem Haus.
       Das repräsentationslüsterne, in der Gründerzeit reich gewordene Bürgertum
       hat sich diese Häuser zwischen 1860 und 1900 in der Lichterfelder
       Villenkolonie bauen lassen. Sie war übrigens die erste durchgeplante
       Villenkolonie des Deutschen Reiches und zeichnet sich durch eine derartige
       architektonische Vielfalt aus, dass man sich heute fragen muss, wo
       eigentlich der Einfallsreichtum und die Originalität der Architekten
       geblieben ist.
       
       Im düsteren Flur riecht es nach Weihrauch und Myrrhe. Wir folgen Frau
       Schramm eine gewundene Holztreppe hinauf in die seitliche erste Etage, wo
       sie drei ineinander übergehende, große Räume bewohnt. Einer dient mehr der
       Repräsentation, der mittlere ist Arbeitsraum mit Bücherregalen, Ordnern und
       rundem Tisch, und nebenan, im hellsten, hat sie ihr privatestes Reich und
       auch einen Balkon zum Garten hin. Wir werden an den runden Tisch gebeten,
       mit Tee und Süßem bewirtet und fragen, ob die WG noch existiert.
       
       ## Ungleichheit ruiniert jedes Zusammenwohnen
       
       „Im Prinzip ja, aber nicht mehr in der alten Konstellation natürlich.
       Einige sind gestorben, eine bekam Alzheimer – die haben wir hier gepflegt
       bis zum Tod, was sehr schwierig war, aber wir haben durchgehalten. Man kann
       sagen, unser Konzept hat funktioniert, auch mit anderen Bewohnern später.
       Wir haben von Anfang an gesagt: Kein Zwang, keine Ideologie. Und wir waren
       uns klar, Ungleichheit ruiniert jedes Zusammenwohnen.
       
       Ungleichheit in der Art, dass die einen, denen das Haus gehört, die es
       gekauft haben, keine Miete zahlen – insofern Nutzen bzw. Profit aus dem
       Haus ziehen –, während die anderen, denen nichts gehört, dadurch auch noch
       eine höhere Miete zahlen müssen. Wir haben uns entschlossen, dass die, die
       dieses Haus besitzen, gleich viel an Miete zahlen wie die anderen auch.
       Damals hatten wir noch die Formel: Wir haben Privateigentum und wir
       vergesellschaften es. Aber das hat sich gehalten bis heute, wo das Haus mir
       alleine gehört und andere Mieter hier wohnen. Es hat sich bewährt!
       
       Wir haben ausgesprochen bezahlbare Mieten, 3,34 Euro mit allen
       Betriebskosten, also bruttokalt. Leider steigen die Heizkosten wieder im
       Moment. Ich liege so bei insgesamt 600 Euro warm im Moment. Wir haben jetzt
       eine ökologische Sanierung der Fenster gemacht und wir wollen unsere
       Heizung umstellen auf Kraft-Wärme-Koppelung, wenn sich wieder Geld
       angesammelt hat. Und, was uns noch sehr nützlich war, wir hatten immer
       mehrere Küchen, so dass man sich ausweichen kann, wenn man das möchte, oder
       wenn andere Leute nachziehen.
       
       ## Ungeheures Privileg
       
       Also das war ein ungeheures Privileg, dass mir dieses Erbe zugekommen ist,
       schon in so jungen Jahren. Nein, nicht von meinem Vater! Es stammt von den
       Eltern meines Vaters, die sehr wohlhabend waren, ein großes Haus in
       Heidelberg hatten, Gründerzeit – nicht geerbt, sondern selbst gebaut. Mein
       Großvater war Architekt. Aber das Erbe hat mein Vater – der ja im Gefängnis
       war – nicht bekommen. Er wurde übersprungen nach dem Krieg, damit es nicht
       konfisziert wurde. Es ging gleich an uns und wir haben relativ früh
       ziemlich frei drüber verfügen können, so dass wir vorzüglich studiert haben
       und ich auch einen Teil in das Hausprojekt stecken konnte. So ein Haus, das
       ist doch was Gescheites?!
       
       Als mein Vater dann wieder da war, hatte er erst mal keine Einnahmen, das
       Vermögen seiner Eltern hatten ja wir, und eine Pension hat er aus
       verständlichen Gründen nicht erhalten. Wir hätten ihm ja was gegeben? Aber
       er hat dann bald von seinem Buch, den ERINNERUNGEN gelebt, sehr gut, sehr
       komfortabel gelebt. Das geht uns aber nichts an.“ (Er war einer der
       bestverdienenden Bestsellerautoren der Nachkriegszeit, alleine die 1969
       erschienen „Erinnerungen“ wurden in 16 Sprachen übersetzt. Ähnlich die 1975
       erschienenen „Spandauer Tagebücher“, Anm. G. G.)
       
       „Ich will es mal kurz darstellen, so gut ich es kann: Er hat sich ein Haus
       gekauft im Allgäu, weil ihm der Trubel um seine Person oft zu viel wurde,
       und er hatte den Heidelberger Hausstand, dafür brauchte er auch Geld und
       für viele andere Dinge … er hatte einen sehr hohen Lebensstandard gehabt.
       Keine Frage. Er hat verschwenderisch gelebt, aber das ist ein anderes
       Thema. Und ja, es stimmt, er hat viel Geld gespendet, auch an jüdische
       Wohlfahrtsorganisationen, regelmäßig, anonym! Und er hat auch viele Leute
       unterstützt, auch seinen Bruder. Er hat viel Geld weggegeben, Summen kann
       ich nicht nennen, aber ich weiß, dass er großzügig war. Es wurde allmählich
       aber weniger und weniger, es gingen auch die Auflagen zurück. Ich denke, er
       hat es verbraucht, von Resten abgesehen.
       
       Aber wie dem auch sei. Ich habe von meinem Vater, also aus dem, was er
       während der NS- Zeit erworben hat – Vermögen oder was immer –, nur die
       Bilder geerbt. Nachher kam noch Geld aus dem Haus im Allgäu – das hat mein
       Bruder übernommen – und meinen Anteil habe ich voll und ganz an KONTAKTE
       gegeben. Das Geld kam aus dem Buch und damit wollte ich nichts zu tun
       haben. Mit den Bildern war es so, mein Vater hatte damals, bis 1943, eine
       Reihe von Bildern gekauft. Dann galten sie als im Krieg verschollen,
       verbrannt. Nachdem sie wieder aufgetaucht sind – vorher waren sie ja bei
       Herrn Frank ’untergetaucht‘ –, hat mein Vater dann auch verkaufen lassen,
       anonym, über das Auktionshaus Lempertz in Köln. Und was dann übrig blieb …
       das einzig richtig wertvolle Bild war ja eins von Böcklin, davon hatte ich
       auch einen Anteil … Ach, es war alles sehr kompliziert …“
       
       Anhand meiner Recherchen, versuche ich mal die Geschichte der
       Bildersammlung – die hier ja eine zentrale Rolle spielt – kurz zu
       skizzieren: A. Speer kaufte zwischen 1937 und 1943 eine stattliche Anzahl
       von Gemälden (vor allem aus der Frühromantik) bei HABERSTOCK, dem
       Hauptkunsthändler des NS (Lieferant für Hitler, Goebbels, Göring, Bormann,
       und Beschaffer für das „Führermuseum Linz“. Er profitierte von den
       jüdischen Zwangsverkäufen und war ab Kriegsbeginn auch als „Aufkäufer“ in
       den überfallenen und besetzten Ländern unterwegs. Bilder, die durch seine
       Hände gegangen waren, trugen eine Kennzeichnung auf der Rückseite des
       Rahmens. 1943 allerdings fiel er in Ungnade und trat aus der Partei aus).
       
       ## Recherchen in Mexiko
       
       In den letzten Kriegstagen übergab Speer seine Sammlung zu treuen Händen an
       Robert Frank (Jahrgang 1879 und von 1927 bis 1933 Generaldirektor der
       Preußischen Elektrizitätswerke. Er war ihm so eine Art väterlicher Freund).
       Frank und seine Frau Marguerite wanderten nach dem Krieg mit den Bildern
       nach Mexiko aus. Er hat die Sammlung später als verbrannt und verschollen
       erklärt. Franks lebten später wieder in Deutschland, in Bad Honnef. Dort
       starb er 1961, seine Frau starb 1978. Der Testamentsvollstrecker fand bei
       der Durchsicht zufällig regelmäßige jährliche Überweisungen an ein
       Speditionshaus in Mexiko, Mietzahlungen für 2 Container.
       
       Bei seinen Nachforschungen in Mexiko fand er die Bildersammlung Speers in
       diesen Containern (u. a. Böcklins Campagna-Landschaft, Gemälde seines
       Lehrers Schirmer oder auch von Architekten wie Schinkel und Klenze). Es gab
       dann 1979 zwischen Franks Erben und Speer (er hatte keinen
       Eigentumsnachweis) eine private Vereinbarung, die inzwischen nach
       Deutschland geholte und beim Auktionshaus Lempertz gelagerte Sammlung zu
       teilen. Speer bestand u. a. auf dem Böcklin. Die Erben verkauften sofort.
       
       Speer ließ peu à peu und in aller Diskretion einige Bilder über Lempertz
       verkaufen, wobei das Auktionshaus vorsichtshalber prüfte, ob die Bilder
       „restitutionsverdächtig“ sind. Albert Speer starb 1981. Seine Frau
       Margarete starb 1987. Danach wurden die verbliebenen Bilder, bzw. deren
       Erlös, unter seinen 6 Kindern aufgeteilt (darunter der von Böcklins
       Campagna-Landschaft von 1859).
       
       Hilde Schramm sagt: „Ich habe das Bild nie gesehen. Es hängt jetzt irgendwo
       im Museum, als Stiftung. Ich selbst habe auch damals noch mal
       nachgeforscht, bei den Bildern jedenfalls, die ich hatte, ob da nicht doch
       ehemaliges jüdisches Eigentum mit dabei ist, aber im Berlin-Museum konnte
       mir auch niemand weiterhelfen. Es war mir dann auch egal. Ich hätte es
       gerne gewusst. Keine Frage, aber das war nicht mein Kriterium. Selbst wenn
       es stimmen sollte, dass diese Bilder und alles, was mein Vater sonst noch
       an Antiquitäten und Stoffen usw. erworben hat, nun zufällig nicht aus
       jüdischem Besitz stammen sollte, dann hat er dennoch das Geld dafür
       ’verdient‘, indem er einem Unrechtsstaat gedient hat.
       
       ## Mein Vater, der Hauptkriegsverbrecher
       
       Mein Vater war einer der Hauptkriegsverbrecher. Das war für mich
       entscheidend. Ich wundere mich allerdings manchmal, dass ich vorher nie
       über die Bilder nachgedacht hatte. Aber die gingen mich ja nichts an. Ich
       lebte ja nicht mehr in Heidelberg. Und wie mein Vater sein Leben bestritt,
       das war doch nicht mein Thema. Und nach seinem Tod wollte ich mit seinem
       ganzen Erbe nichts zu tun haben! Auch als dann nach dem Tod meiner Mutter
       das plötzlich mit seinen Bildern kam, saß ich da und sagte: Nein, davon
       will ich nichts! Aber da hat mein Bruder Albert gesagt: ’Nimm’s, du kannst
       doch was anderes daraus machen!‘ Und ich muss sagen, er hat Recht gehabt.
       
       Es waren dann so etwa 150.000 Mark, die ich aus dem Verkauf bekam. Im
       Grunde kein großes Vermögen. Aber mir war klar, ich will es nicht
       verbrauchen, nicht verkonsumieren, nicht vererben. Ich will damit etwas
       Vernünftiges machen! Damals war dieser Krieg in Jugoslawien – ich war
       ziemlich aktiv in der Friedensbewegung, sobald der Krieg losging, gleich am
       Anfang – und ich hatte zusammen mit einer Frau, Bosiljka Schedlich (macht
       seit 1991 den Verein Südost-Europa-Kultur e. V. in Berlin, Anm. G. G.) und
       Leuten aus Ex-Jugoslawien und mit Leuten aus der Friedensbewegung eine
       Initiative gegründet, zur Unterstützung der Friedensbewegung dort.
       
       Auf alle Fälle habe ich dann Faltblätter gemacht und Geld eingeworben, das
       hat alles hier stattgefunden“, sie pocht auf die Tischplatte, „an diesem
       ehemaligen Kinderladentisch. Und im Niemöller-Haus. Wir haben
       Veranstaltungen gemacht, Geld hin geschickt – ich habe mein eigenes auch
       immer dazugegeben. Das waren keine riesigen Summen, aber es war der
       richtige Weg. Damals dachte ich, warum gebe ich nicht das ganzes Geld da
       rein?!
       
       Dann habe ich aber, bevor ich diesen Entschluss gefasst habe, mit ein paar
       Freundinnen zusammengesessen – wieder hier an diesem Tisch! Ich sagte,
       helft mir, sagt mir, wie ich mein Geld sinnvoll verwenden kann. Es war
       Birgit Rommelspacher dabei, Marlis Dürkop, Christine Holzkamp war, glaube
       ich, auch dabei. Und da kam dann von Birgit die Idee für solch eine
       Stiftung. Sie hatte damals grade ein Projekt Antirassismus, wohl auch mit
       Frauen. Die Idee für die Stiftung wird immer mir zugeschrieben, aber das
       ist falsch. Manches war in meinem Leben meine Idee, das mit Ex-Jugoslawien,
       das war meine Idee. Und bei KONTAKTE, das
       Kriegsgefangenen-Zwangsarbeiter-Projekt, das war, glaube ich, auch meine
       Idee.
       
       Aber die Stiftung ZURÜCKGEBEN war überhaupt nicht meine Idee! Beim
       Jugoslawienprojekt wäre das Geld weg gewesen. Wir haben uns gesagt, wir
       müssen was draus machen, was beständig ist. Etwas, das einen inhaltlichen
       Bezug hat zur Herkunft des Geldes. Dann kam schon der Vorschlag mit der
       Förderung jüdischer Frauen. Daraus entstand dann eine Initiativgruppe, aus
       zum Teil sehr radikalen jüdischen Feministinnen und Nichtjüdinnen, es war
       durchaus kompliziert – ich denke, ganz unterschwellig gab’s auch ein
       Problem mit mir. Ich kann das ja verstehen. Es ist ja schwer, dieses Geld
       anzunehmen, weil es kontaminiertes Geld ist. Den Namen ZURÜCKGEBEN hat dann
       eine jüdische Frau eingebracht.
       
       Wir haben es hingekriegt und die Stiftung 1994 gegründet, vier Frauen,
       Irene Anhalt, Birgit Rommelspacher, ich – und eine Frau, die jetzt nicht
       mehr genannt werden will. Mit dem, was ich eingebracht habe, und dem, was
       auch andere noch eingebracht haben, hatten wir nachher 180.000 DM. Für ein
       Stiftungskapital eigentlich viel zu klein. Wenn man es mal mit der
       BEWEGUNGSSTIFTUNG vergleicht, die fingen 2002 mit 500.000 Stiftungskapital
       an – junge Erben, mit hoher Professionalität – und sie sind jetzt bei 5
       Millionen. Soziale Bewegungen zu fördern, das spricht eben mehr an,
       besonders die alten Linken, die Geld haben!
       
       ## Ethisch, sozial und ökologisch
       
       Es ist wahnsinnig toll, was die Stiftung macht, wunderbar! Heute übrigens
       feiern sie ihr 10-jähriges Bestehen. Wenn ich noch Geld hätte, es nicht
       schon hergegeben hätte, ich hätte es da reingegeben, ganz sicher! Sie haben
       uns auch schon beraten, es hat aber nicht viel genutzt. Es gehen viel zu
       wenig Spenden ein. Unser Stiftungskapital ist den vergangenen 18 Jahren
       auch nur mäßig angestiegen. Wir legen es ethisch, sozial und ökologisch an
       – so haben wir wenigstens keine Spekulationsverluste gehabt.
       
       Es bewegt sich jetzt bei 150.000 Euro. Es bleibt natürlich unangetastet,
       aus den Kapitalerträgen bezahlen wir nur unsere Bürokosten, Miete usw. Also
       bei uns wird niemand bezahlt, alle arbeiten ehrenamtlich. Wir haben eine
       sehr gute Sponsorin für die Öffentlichkeitsarbeit, für die Flyer und alles.
       
       Bei uns werden alle Spenden, ohne jeden Abzug ihrem Zweck zugeführt! Das
       ist auch für die Spender wichtig, dass sie wissen, wo ihr Geld hingeht: Es
       geht direkt in die Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft.
       Insgesamt wurden bisher 92 Frauen gefördert, davon einige mehrmals. Die
       Gesamtsumme? In 18 Jahren waren das 282.450 Euro, bis Februar 2012. Unter
       den Geförderten sind überwiegend freiberuflich tätige Frauen,
       Berufsanfängerinnen, Migrantinnen aus Osteuropa. Es sind Musikerinnen,
       Tänzerinnen, Filmemacherinnern, Künstlerinnen jeglicher Art oder auch
       Wissenschaftlerinnen, die historische Sachen machen zum Thema.
       
       Mehr als 90 Prozent der Projekte beschäftigen sich mit jüdischen Themen,
       obwohl die Ausschreibung da keinerlei Vorgaben macht. Wir haben ein
       Jahresbudget von etwa 20.000–25.000 Euro. Es hat sich jetzt so
       eingependelt, dass jede Frau so etwa 3.000 Euro bekommt. Die jetzige Jury
       tendiert dazu, möglichst viele Frauen zu fördern, es war schon mal anders,
       damals hat eine Frau praktisch alles gekriegt. Das Problem ist eben, es
       gehen leider weit mehr Anträge ein, als die Stiftung fördern kann, weil es
       uns an Spenden fehlt.
       
       Anfangs, als wir uns alle zusammentaten, da waren wir noch der Meinung, das
       zündet! Kontaminiertes Geld ist ja in der ganzen Gesellschaft unterwegs und
       interessiert auch die Enkel noch. Wir haben viel Aufklärungsarbeit gemacht
       und die ’Nachwirkungen‘ immer sehr breit gefasst, absichtlich, es ging uns
       nicht nur um ererbtes Geld oder Gegenstände, es ging uns auch um die ganz
       alltägliche Vorteilsnahme. Um rasche Berufskarrieren, durch Berufsverbote,
       Vertreibung und Deportation der Juden. Aufschwung bei den Geschäftsleuten,
       durch den Ausschluss der Konkurrenz, um freie Wohnungen, Häuser, Läden,
       Arzt- und Anwaltspraxen, um Geschäfte- und Geschäftsverbindungen.
       
       ## Immense Gewinne
       
       Im Krieg bekamen Ausgebombte eine neue Ausstattung aus dem Fundus und so
       weiter. Und auch nach dem Krieg war das ja mit der Währungsreform nicht zu
       Ende, wie wir wissen. Auch die deutsche Nachkriegswirtschaft, der Staat,
       die deutsche Bevölkerung, hat von der Vertreibung und Vernichtung der
       jüdischen Bevölkerung durch die Nazis noch ganz erheblich profitiert.
       
       Ganz wichtig, das will ich hier noch einschieben, sind auch die immensen
       Gewinne, die mit der Ausbeutung der Arbeitskraft von Millionen von
       Zwangsarbeitern im NS gemacht wurden. Das geht in der öffentlichen
       Wahrnehmung immer unter. Wir haben damals bei KONTAKTE das ganze Elend der
       alt gewordenen Zwangsarbeiter in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion
       kennengelernt. Zu einer sog. Entschädigungsregelung kam es ja erst 60 Jahre
       nach Kriegsende und die Auszahlungen dauerten 7 weitere Jahre, so dass
       einige sie gar nicht mehr erlebt haben. Und diejenigen ehemaligen
       sowjetischen Kriegsgefangenen, die zu den unmenschlichsten Bedingungen
       Zwangsarbeit leisten mussten, gingen vollkommen leer aus.
       
       Sie stellten vergeblich Anspruch auf Kompensation für geleistete
       Zwangsarbeit in der deutschen Kriegswirtschaft und wurden abgewiesen.
       Kriegsgefangene Zwangsarbeiter haben, so der Bescheid 2003, ’keine
       Leistungsberechtigung‘ nach deutschem Recht. Wir kamen dann auf die Idee,
       selbst die Initiative zu ergreifen, und haben angefangen Spenden
       einzuwerben. Seither sammelt KONTAKTE sehr erfolgreich private Spenden und
       vergibt 300 Euro an jede Person. Es ist nur, wenn überhaupt, ein Tropfen
       auf einen heißen Stein.
       
       Aber es ist wichtig für die Betroffenen, überhaupt mal wahrgenommen zu
       werden. Es gibt viele erschütternde Briefe.“ (KONTAKTE/KOHTAKbI e.V.
       veröffentlicht seit 2004 auf seiner Webseite die „Freitagsbriefe“ von
       ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen. Briefe von 2004–2006 wurden als
       Buch veröffentlicht: „Ich werde es nie vergessen“, Berlin 2007. Anm. G. G.)
       
       „Was ich vorhin sagte, war: Alle diese Gewinne haben sich bis heute
       entsprechend vermehrt und wurden Bestandteil des Reichtums in diesem Land,
       den alle zu spüren bekamen. Die ’Wirtschaftswunder-Kinder‘ der gut
       situierten Eltern bekamen ihre Ausbildung, ihr großzügiges Studium, ihre
       ganze Sicherheit bezahlt, quasi mit kontaminiertem Geld. Sie haben
       sozusagen ihre gesamte soziale Struktur daraus bezogen. Daran sind sie
       natürlich nicht schuld, aber man sollte es wissen. Die jüdischen Nachkommen
       der Überlebenden hatten kein schützendes familiäres Netz, ihre Kinder und
       Enkel müssen bis heute mit den spürbaren Folgen fertig werden. Und wir als
       Stiftung ZURÜCKGEBEN appellieren an unsere Erben. Es geht ja eigentlich nur
       um eine kleine Geste, um eine Geste der Anteilnahme.
       
       ## 10.100 Milliarden Dollar Reinvermögen
       
       Man muss sich das mal klar machen: Insgesamt verfügen „die privaten
       Haushalte“ in Deutschland über ein Reinvermögen von 10.100 Milliarden Euro.
       Davon ist ein erheblicher Teil kontaminiert. Aber das ist nur sehr schwer
       zu vermitteln. Mir ist in meinem Leben klar geworden, dass man immer
       hingucken muss – gestern und heute –,wie verdienen Leute ihr Geld, durch
       wessen Ausbeutung. Da bin ich stur, an dieser Stelle, und ich sage es noch
       mal: Der ganze Reichtum, der heute erworben ist, der ist nicht unschuldig –
       überhaupt nicht! Man sollte sehen, wie viele unterschiedliche Formen von
       Vorteilsnahme auf Kosten anderer an unserer Geschichte hängen.
       
       Sie und ich und unsere Nachgeborenen sind die Erben. Da gibt es natürlich
       viel Abwehr. Schon allein beim Wort ’ZURÜCKGEBEN‘. Das ist mit Schulden
       verknüpft, Geborgtes gibt man zurück. Bei zu Unrecht Genommenem kommt die
       Schuld ins Spiel, für Geraubtes wird Rückgabe gefordert. Damit will niemand
       was zu tun haben, das widerspricht dem Selbstbild der bürgerlichen
       Ehrvorstellungen. Also das Spenden wird bei uns nicht leicht gemacht. Zu
       wissen, man kann nichts ’wieder gutmachen‘, es gibt keine Freisprechung,
       man kann nicht auf Dankbarkeit zählen, das motiviert nicht.
       
       Man bekommt nichts zurück, weil man es ja bereits hat. Jeder, der spendet,
       bekommt vielleicht das Gefühl, ich setze mich dem Verdacht aus, ’unrechtes
       Gut‘ zu besitzen, ich bekenne mich jetzt sozusagen schuldig. Das Ganze
       provoziert Abwehr. Keine Frage.
       
       Ich möchte eben besonders auch die ansprechen, die zwar viel verstanden
       haben, aber trotzdem ihr Erbe weiter so verwenden, als gäbe es den
       Zusammenhang gar nicht. Und jetzt rede ich mal wieder von mir: Ich bin doch
       heilfroh, dass ich das Zeug losgeworden bin. Dass ich damit auch noch was
       Sinnvolles machen konnte.“ Ich werfe ein: „Und dann hatten sie auch noch
       das Meiste davon. Es ist eine Tatsache, dass ’Wiedergutmachung‘ immer
       übertroffen wird von der Wiedergutwerdung, ob man das nun so will oder
       nicht.“ Sie sagt, ohne jede Erregung: „Keine Frage! Das habe ich auch
       selbst schon so formuliert.
       
       Was soll ich machen?! Es gibt auch reichere Erben mit kontaminiertem Geld.
       Und es gibt auch andere Versuche, sich mit der Familiengeschichte
       auseinander zu setzen. Also ich habe die Biographie ’Der Vater‘ gelesen,
       von Niklas Frank.“ (Sohn von Hans Frank, dem Generalgouverneur im besetzten
       Polen, auch genannt „der Judenschlächter“. Er wurde als
       Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg zum Tode verurteilt, Anm. G. G.). „Er
       macht eine gnadenlose Abrechnung und bleibt dann zurück in seiner Reinheit,
       hat die weiße Weste an. Also ich habe keine weiße Weste. Meinem Gefühl nach
       nicht. Das ist nicht mein Part, dieses Schädelspalten. Aber er hatte ja
       vielleicht wirklich Eltern, wo das eher geht. Bei meinen geht es nicht.
       Mein Vater, meine Mutter haben gute Züge gehabt. Das ist das Problem.
       
       ## Ich will nicht über meinen Vater sprechen
       
       Ich habe jedenfalls den anderen Weg gewählt und ich hatte das Glück, unter
       diesem Dach der Stiftung untergekommen zu sein. Ich wollte mich eigentlich
       im Hintergrund halten, gleichzeitig aber habe ich versucht, die Stiftung
       über Fernsehauftritte und Interviews bekannt zu machen, nicht aus
       Eitelkeit, sondern damit Geld dazukommt. Das ist ein Zwiespalt. Die Leute
       wollen unbedingt eine Identifikationsfigur. Und natürlich musste ich immer
       über meinen Vater reden und das transportiert aber was Falsches, denn es
       entlastet die anderen, in einem gewissen Sinn, die keinen solchen Vater
       haben.
       
       Das mache ich jetzt nicht mehr, ich sage bei Interviews oder Diskussionen
       immer, ich will nicht über meinen Vater sprechen! Und es gibt noch ein
       anderes Problem: Jetzt, wo die Stiftung bekannt ist, besteht auch die
       Gefahr, dass sie eine Alibifunktion bekommt, das wollen wir natürlich
       nicht! Aber ich kann da nichts machen. Ich bin nur Beirätin – neben so
       bekannten Frauen wie Margarete Mitscherlich, Adrienne Goehler, Christina
       von Braun u. a. Aber ansonsten habe ich nichts zu sagen, war nie im
       Vorstand – schon gar nicht in der Jury, die völlig autonom ist und nur aus
       jüdischen Frauen besteht, und das finde ich auch richtig so …
       
       Ich bin lediglich eine ganz gute Multiplikatorin. Eine Zeitlang waren alle
       ziemlich allergisch gegen meine dauernde Präsenz in den Medien usw. Ich
       habe mich dann immer mehr zurückgezogen. Aber nun sitze ich doch wieder
       hier mit Ihnen, obwohl ich nur eine Mitgründerin bin, nicht die
       Initiatorin, nicht die Mutter der Stiftung, die Seele auch nicht und schon
       gar nicht die Sprecherin. Allenfalls so was wie die ’Graue Eminenz‘.“ „Die
       Geldgeberin“, sage ich, „das interessiert uns.“ „Ja, das war der Anlass. Es
       ist ein Dilemma, aus dem man nicht raus kommt. Das Ganze …
       
       Und wenn ich jetzt ehrlich bin, kommt noch was ganz Schlimmes. Ich habe
       auch einen ehrgeizigen Zug. Und ich schmück mich dann auch mit der
       Stiftung. Jedenfalls wird mir das zugetragen. Und ich bekomme Anerkennung
       dafür. Habe viele Kontakte. Ich habe gern Politik gemacht, trete auch gerne
       auf. Das ist so zwiespältig. Ich hätte vermutlich gut Karriere machen
       können, wenn ich nicht immer im Kopf hätte: Bloß nicht wie dein Vater
       ehrgeizig werden! Das ist überall? Alles lauert.
       
       Ich glaub, ich hätte wirklich was werden können. Was? Na ja, es ist ja nun
       egal. Immer, wenn ich wo dabei war, immer dann, wenn es gut wurde, bin ich
       weg. Man springt über eine Kluft, damit man nicht reinfällt. Ich konnte
       nichts werden! Obwohl es so einen starken Zug gibt in mir, der das auch
       will, was werden. Aber der andere, nichts zu werden, der war stärker …“
       
       7 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriele Goettle
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Medien
 (DIR) Köln
       
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