# taz.de -- Doping-Spekulationen bei Olympia: Das große Rätsel China
       
       > Die Erfolge der chinesischen AthletInnen in London stehen unter Verdacht.
       > Haltlos ist diese Vermutung sicher nicht - aber auch nicht fair.
       
 (IMG) Bild: Die 16-jährige Ye Shiwen schwamm auf der 400-Meter Lagen-Strecke Weltrekord und kraulte auf den letzten 50 Meter schneller als Ryan Lochte
       
       Es wird munter gemutmaßt. Wie machen die Chinesen das nur? Das Ausmaß ihrer
       Dominanz überrascht. Nach nur drei Wettbewerbstagen führten sie die
       Medaillenwertung mit neun Goldmedaillen überlegen vor den USA an, die es
       auf fünf erste Plätze brachten.
       
       Dieses Mal beherrschen sie nicht nur wie vor vier Jahren in Peking bei
       Randsportarten wie Gewichtheben und Synchronschwimmen, sondern beeindrucken
       auch in einer olympischen Kernsportart: dem Schwimmen. Bei den Spielen 1996
       in Atlanta standen sie in der Nationenwertung noch hinter den Deutschen.
       
       Ein Wettbewerb hat die Gerüchteküche besonders zum Brodeln gebracht. Auf
       der 400-Meter Lagen-Strecke schwamm die zierliche 16-jährige Ye Shiwen
       nicht nur in Weltrekord, sondern kraulte auf den letzten 50 Meter schneller
       als der muskulöse US-Star Ryan Lochte, der in derselben Disziplin gewann.
       Doping-Experte Fritz Sörgel findet dies „ungewöhnlich“, insbesondere weil
       die Chinesin ihre Bestleistung innerhalb eines Jahres um 7 Sekunden
       verbessert hat.
       
       Der Arzt und einstige deutsche Brustschwimmer Mark Warnecke mahnt zur
       Vorsicht mit spekulativen Aussagen. „Es ist mir zu einfach, wenn man sagt:
       ’Die ist so schnell, die muss gedopt sein.‘ “ Ohne Nachweise sei das alles
       müßig. Indirekt lässt aber auch er Skepsis erkennen. „Ich habe schon eine
       Privatmeinung zu den Chinesen.“ Mehr will er dazu nicht sagen.
       
       ## „Drei Wellen“ in den achtziger Jahren
       
       Molekularbiologe und Doping-Experte Werner Franke wird deutlicher. Er wolle
       nur über Fakten sprechen, betont er, und berichtet von den „drei Wellen“.
       In den achtziger Jahren hätten die chinesischen Schwimmer erstmals „lauter
       Wunder“ vollbracht. Nachdem sie auf dem Weg zur WM beim australischen Zoll
       mit Koffer voller Wachstumshormone aufgeflogen waren, seien sie plötzlich
       wieder hinterhergeschwommen.
       
       Ähnliches wiederholte sich später mit den Mittelstreckenläufern und den
       Diskus- und Kugelstoßern. „Wenn ihre Mittel nachweisbar waren, verschwanden
       sie wieder aus den Siegerlisten“, bilanziert Franke. Nun hat sich China das
       nächste Ziel gesetzt: Erfolge in den Kernsportarten.
       
       Von dem vielfach verbreiteten Eindruck, es gebe in China ein staatlich
       gelenktes Dopingsystem wie anno dazumal in der DDR, will er aber nichts
       wissen. Er spricht von einem Kampf der Provinzen untereinander, die bei den
       nationalen Meisterschaften härter gegeneinander konkurrieren als bei
       internationalen Wettbewerben.
       
       Der Sport sei in China für viele ein Vehikel, um gesellschaftlich
       aufzusteigen. Der Staat sei eher damit beschäftigt, die wilden Auswüchse
       des Systems zu beschneiden, Imageschaden abzuwenden und nachweislich
       gedopte Sportler noch härter zu bestrafen, als es die
       Welt-Anti-Doping-Agentur vorsieht. Sanktioniert wird aber meist erst im
       Nachhinein.
       
       ## Jintropin und Eposin
       
       Auf anderen Gebieten ist man laxer geworden. Dopingmittel, die vor vier
       Jahren wegen der Spiele in Peking und der damit verbundenen weltweiten
       Aufmerksamkeit vom Internetmarkt verschwunden waren, kann wieder jeder
       Chinese bestellen. Franke nennt etwa das Wachstumshormon Jintropin und das
       Epomittel Eposin.
       
       Dennoch ist es verwunderlich, dass China in Sachen Doping die Rolle des
       Schurkenstaats exklusiv zugewiesen wird. Hajo Seppelt, der vor vier Jahren
       für die ARD eine Dokumentation über das chinesische Sportsystem gefilmt
       hat, warnt davor, die Chinesen zu dämonisieren: „Es wird dort gewiss nicht
       intelligenter gedopt als anderswo.“
       
       Gewiss ist China auch deshalb zum Mysterium geworden, weil es für Ausländer
       so schwierig ist, den Ursachen ihrer Erfolge auf die Spur zu kommen. Ines
       Geipel, die ehemalige DDR-Sprinterin und heutige Professorin an der
       Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst, erinnert sich an „albtraumhafte
       Recherchen“ vor den Spielen in Peking, als sie von 30 Geheimdienstlern
       begleitet worden sei.
       
       ## Andere Körperkonzepte und militärischer Drill
       
       Die mangelnde Transparenz, meint Seppelt, dürfe man aber nicht automatisch
       mit systematischem Doping in Verbindung bringen. Diese sei zwar
       unvorteilhaft, hätte aber auch kulturelle Hintergründe. Von einem staatlich
       gelenkten Dopingsystem in China will auch er nicht sprechen.
       
       Auf die kulturellen Eigenheiten in China kommt auch Ines Geipel zu
       sprechen. Die anderen Körperkonzepte in China, die Bereitschaft zum
       militärischen Drill würden mit dem auch weltweit praktizierten Doping eine
       „kongeniale Symbiose“ eingehen. Für Mark Warnecke ist dies sicherlich eine
       zu steile These. Er zwingt sich zur Nüchternheit: „Der Rekord von Ye Shiwen
       ist faszinierend, wenn man durch die neutrale Brille schaut.“
       
       31 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Kopp
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