# taz.de -- Anklage gegen Beate Zschäpe: „Nie zu etwas gezwungen“
       
       > Beate Zschäpe bezeichnet die NSU-Mitglieder Mundlos und Böhnhardt als
       > ihre „Familie“ im Untergrund. Ansonsten schweigt sie. Bald wird Anklage
       > erhoben.
       
 (IMG) Bild: Das Innenleben des NSU lässt sich ohne Beate Zschäpes Aussagen nur schwer rekonstruieren.
       
       Nachdem Beate Zschäpe am Abend des 13. November 2011 mit dem Hubschrauber
       nach Baden-Baden geflogen und dann mit dem Auto nach Karlsruhe zum
       Haftrichter gebracht wurde, sagte sie in einer Pause einen Satz, der hoffen
       ließ, sie würde zur Aufklärung der brutalsten rassistischen Mordserie in
       der Bundesrepublik beitragen. Sie habe sich „nicht gestellt, um nicht
       auszusagen“, sagte die Rechtsextremistin einer Polizistin.
       
       Doch anders als an jenem Sonntagabend vor zehn Monaten angekündigt,
       schweigt die 37-Jährige seitdem. In den kommenden Wochen soll nun Anklage
       gegen die Frau erhoben werden, die als einzige noch lebende Terroristin des
       Nationalsozialistischen Untergrunds gilt. Sieben Staatsanwälte
       beschäftigten sich ausschließlich mit der Angelegenheit, die Arbeit an der
       Klageschrift habe „absoluten Vorrang“, schrieb die Bundesanwaltschaft vor
       Kurzem dem Bundesgerichtshof.
       
       Ein Entwurf von 250 Seiten sei schon fertig. Der Grund für die Eile der
       obersten Ankläger: Die Richter hatten ihnen bei Zschäpes Haftprüfung Ende
       Mai Druck gemacht. „Flächendeckende Abklärungen“, hieß es in dem Beschluss,
       rechtfertigten kein „Zuwarten mit der Anklageerhebung“.
       
       Auch den Wunsch, „angesichts der Verstrickung weiterer Personen zunächst
       das historische Geschehen in Gänze aufklären“ zu wollen, will der
       Bundesgerichtshof nicht als Argument für Verzögerungen hinnehmen. Seitdem
       herrscht in Karlsruhe Schlaflosigkeit. Als Deadline für eine Anklage
       verspricht die Bundesanwaltschaft einen Termin „deutlich vor“ dem 15.
       November.
       
       ## Insgesamt 1.380 Bände Akten
       
       Und stöhnt zugleich über den Umfang der Akten: Sie umfassen 600 Bände, dazu
       kommen 780 Bände aus den jahrelang in die falsche Richtung vorangetriebenen
       Ermittlungen zu den zehn Morden zwischen 2000 und 2007. Allein die
       Zeugenaussagen der Nachbarn und Urlaubsbekanntschaften des Neonazi-Trios
       Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe füllen Regalmeter.
       
       Vieles davon bringt die Ermittler allerdings nur bedingt weiter. Unzählige
       Fotos zeigen ein unbeschwertes Trio: Zschäpe im Schlauchboot, im
       Eselstreichelzoo, beim Planitzer Teichfest. Das belegt, wie erschreckend
       offen der selbsternannte Nationalsozialistische Untergrund leben konnte.
       Doch das Innenleben des NSU lässt sich ohne Zschäpes Aussagen nur schwer
       rekonstruieren.
       
       Für 1998 bis 2000 gibt es eine Vielzahl von Aussagen früherer Helfer, von
       2001 an wird es aber immer dünner. Daher konnte eine der drängendsten
       Fragen auch noch nicht geklärt werden: Inwiefern war Beate Zschäpe in die
       Morde eingebunden? Dass sie eine lange Haftstrafe erwartet, ist klar.
       
       Allein für das Anzünden des letzten Unterschlupfs in der Zwickauer
       Frühlingsstraße 26 wird die Bundesanwaltschaft ihr versuchten Mord
       vorwerfen: Im Wohnhaus befand sich eine fast 90-jährige gehbehinderte Frau.
       Darauf stehen bis zu 15 Jahre Haft. Die Bundesanwaltschaft will Zschäpe
       aber nicht nur wegen der Brandstiftung und der Mitgliedschaft in einer
       Terrorgruppe zur Verantwortung ziehen, sondern auch wegen einer Beteiligung
       an den Morden des NSU.
       
       ## Mittäterschaft oder Beihilfe?
       
       Doch ob mit „Beteiligung“ eine Mittäterschaft gemeint ist oder nur eine
       Beihilfe, ist noch offen. Diese Frage dürfte aber die Öffentlichkeit und
       die Opferangehörigen sehr interessieren. Hinweise, dass Zschäpe an einem
       der Tatorte war oder gar selbst zur Waffe griff, finden sich in den mehr
       als zehntausend Seiten an Ermittlungsakten, die die taz ausgewertet hat,
       nicht. Immerhin aber gibt es eine ganze Reihe von Indizien, dass Zschäpe
       von den Morden und Anschlägen gewusst hat.
       
       So haben die Ermittler im Schutt des Zwickauer Hauses zwei
       Zeitungsausschnitte mit ihren Fingerabdrücken gefunden. Einer stammt vom
       Kölner Express und thematisiert den Bombenanschlag des NSU in der
       Keupstraße im Juni 2004. Der andere Artikel erschien in der Münchner TZ und
       thematisiert den Mord am Gemüsehändler Habil Kilic im August 2001.
       
       Ein weiterer brisanter Fund ist eine schriftlich fixierte Wette zwischen
       Zschäpe und Böhnhardt. Darin verpflichtete sich die Rechtsextremistin, wenn
       sie ihr Gewicht nicht bei „schlanken 62 Kilogramm“ halte, 200 Videoclips zu
       schneiden. War damit eine Hilfe bei der Produktion des NSU-Bekennervideos
       gemeint? Auf einem zweiten Zettel wettet Zschäpe unter ihrem Alias „Liese“
       mit einem „Killer“.
       
       Belastet wird Zschäpe auch von der Aussage eines Helfers des Trios, Holger
       G. Der brachte, wie er zugab, den Neonazis 2001 oder 2002 eine Waffe in den
       damaligen Unterschlupf in der Zwickauer Polenzstraße. Einer der beiden Uwes
       habe sie durchgeladen – vor Zschäpes Augen. Sie soll den Waffenkurier auch
       am Bahnhof abgeholt haben.
       
       ## Drei schussbereite Pistolen
       
       In der letzten, videoüberwachten und schallgeschützten Wohnung des Trios in
       der Frühlingsstraße lagen laut einer Analyse der Kriminaltechniker gleich
       drei Pistolen schussbereit herum: Eine Walther PP, eine Radom VIS und eine
       Erma EGP. Zuletzt soll Zschäpe bei ihrer mehrtägigen Flucht im November
       2011 nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt dann die DVDs verschickt haben,
       in der sich der NSU zu neun Morden an Migranten und einem Mord an einer
       Polizistin bekennt.
       
       „Taten statt Worte“, heißt es dort. Die wenigen Worte, die Beate Zschäpe
       nach Auffliegen des NSU doch mit den Ermittlern gesprochen hat, lassen
       ebenfalls tief blicken. Nachdem sie sich am 8. November 2011 gestellt
       hatte, erzählte sie Polizisten in Zwickau: Mundlos und Böhnhardt seien im
       Untergrund ihre „Familie“ gewesen – und hätten sie „nie zu etwas
       gezwungen“.
       
       9 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolf Schmidt
       
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