# taz.de -- Moshe Zuckermann zum Gaza-Konflikt: „Die Deutschen begreifen Israel nicht“
       
       > Dass mit Hamas indirekt verhandelt wurde, ist gut. Frieden wird es aber
       > nicht geben, denn Israel will ihn nicht, sagt der Historiker Moshe
       > Zuckermann.
       
 (IMG) Bild: Die Israelis demonstrieren, um „den Lebensstandard der Mittelschichten zu verbessern“, nicht aber gegen den Krieg.
       
       taz: Herr Zuckermann, nach acht Tagen Beschuss und vielen Toten wurde
       endlich ein Waffenstillstand zwischen Israel und Hamas verkündet. Wie
       wichtig finden Sie diese Meldung? 
       
       Moshe Zuckermann: Sehr wichtig. Ohne Waffenstillstand wäre die Gefahr
       weiter gewachsen, dass Israel eine Bodenoffensive in Gaza beginnt. Und das
       kann sich weder Israel noch die Hamas noch sonst irgendwer wünschen.
       
       Ab jetzt bemühen sich beide Konfliktparteien ernsthaft um Deeskalation? 
       
       Ja. Wie lange das anhalten wird, ist natürlich eine ganz andere Frage.
       
       Hat es Sie überhaupt überrascht, dass es jetzt zu einer Eskalation mit Gaza
       gekommen ist – oder haben Sie im Vorfeld der israelischen Wahlen im Januar
       2013 damit gerechnet? 
       
       Die Frage lässt sich natürlich leicht zynisch beantworten. Das möchte ich
       aber nicht. Obwohl auch ich dazu neige, einen Zusammenhang zwischen dem
       Wahlkampf und der Militäroffensive zu sehen. Fraglos hat Ehud Barak, ein
       Mann, der bereits politisch tot war, in der letzten Woche sehr gepunktet.
       Während es seine Partei voraussichtlich nicht ins Parlament schaffen wird,
       kann er nun darauf hoffen, als Verteidigungsminister berufen zu werden.
       
       Alles lief für die Konservativen also nach Plan? 
       
       Vorsicht. Wer sorgsam Ideologiekritik betreibt, weiß ja, dass Menschen oder
       abstrakter gesprochen „Subjekte“, die von einem Ereignis profitieren,
       dieses nicht unbedingt persönlich gewollt haben müssen. Dass einem Barak,
       Netanjahu und Liebermann die Gewalteskalation zupass kamen, heißt nicht,
       dass sie diese dezidiert geplant haben. Sie haben die Aktion ja auch an der
       richtigen Stelle abgebrochen und eine Bodenoffensive verhindert. Ob bewusst
       oder nicht – sie haben damit das gerade erst gewonnene politische Kapital
       bewahrt.
       
       Ein solcher politischer Opportunismus findet sich auch bei der Hamas. 
       
       Auch die Hamas steht schon länger unter Zugzwang und musste sich gegen
       interne Konkurrenz vonseiten der radikalen islamistischen Gruppen, wie dem
       Dschihad, und auch gegenüber der PLO profilieren. Das haben sie getan – und
       dafür eine ganze Menge Tote und massive Zerstörung in Kauf genommen.
       
       Trotzdem ist die Hamas als politischer Sieger aus dem Clash hervorgegangen? 
       
       Ja. Denn die Fatah, die einzige Partei, die in den letzten Jahren der
       Gewalt abgeschworen hat, steht jetzt total im Abseits. Israel musste
       indirekt mit der Hamas verhandeln.
       
       Hillary Clinton und der ägyptische Präsident haben einen guten Job gemacht? 
       
       Vor allem Mursi. Ich möchte nicht als Optimist falsch verstanden werden …
       
       … die Gefahr besteht, glaube ich, nicht … 
       
       … aber das einzig Positive, das die Konfrontation gebracht hat: In Israel
       wurde angesichts der Arabellion und der Muslimbrüder in
       Regierungsverantwortung ja immer der Teufel an die Wand gemalt. Jetzt
       konnte man sehen, dass Mursi zu vermitteln weiß, und Israel musste sich –
       wenn auch über Bande – darauf einlassen. An der Verhandlung mit der Hamas
       führt ja kein Weg vorbei.
       
       Könnte Mursis erfolgreicher Vermittlungsversuch dazu führen, dass die
       Arabellion in Israel positiver gesehen wird? 
       
       Nein. Die letzte Woche hat wieder gezeigt, wie groß die Kriegs- und
       Militärbegeisterung hier ist. Israel hat kein Interesse an der Beilegung
       des Palästina-Konflikts, deshalb haben sie die Fatah auch verhungern
       lassen. Es will weiterhin die Quadratur des Kreises: die Okkupation und
       ruhige Grenzen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es wieder zu einem
       Zusammenstoß kommt. Und zwar nicht nur mit Gaza. Eines Tages, werden die
       Leute im Westjordanland die Schnauze voll haben, und es wird eine dritte
       Intifada geben. Das will man hier nicht sehen. Man denkt ja immer, wenn man
       die Vogel-Strauß-Politik weiter betreibt, den Kopf in den Sand steckt und
       auf Stagnation setzt, dann bliebe man in einem politischen Vakuum. Das ist
       aber nicht so, alles ist im Fluss.
       
       Angesichts der Umwälzungen in den direkten Nachbarländern und auch der
       Tatsache, dass Iran die Hamas weiter aufrüstet, ist das von Ihnen
       skizzierte totale Beharren auf der militärischen Eskalationslogik schwer
       vorstellbar. 
       
       Das ist ein typischer Blick aus Berlin. Rational betrachtet, müsste Israel
       natürlich Interesse an einem Frieden mit den Palästinensern haben, hat es
       aber nicht. Das ist das, was man in Deutschland nie begreifen will. Israel
       will sich aus den besetzten Gebieten nicht zurückziehen und fordert, dass
       die Okkupierten das einfach hinnehmen. Das ist aber nicht zu haben.
       
       Von welchen Kräften in Israel gehen emanzipative Impulse aus? 
       
       Von keinen.
       
       Keine Kritiker? Israel hatte doch erst jüngst riesige Protestbewegungen. 
       
       Da ging es doch nur darum, den Lebensstandard der Mittelschichten zu
       verbessern. Und obwohl 400.000 Leute auf die Straße gegangen sind, und das
       in einem Land, in dem nur 7 bis 8 Millionen Menschen leben, wurde nichts
       erreicht. Also nichts Ernstzunehmendes.
       
       Welche Partei setzt nicht auf die Fortsetzung der Konfrontationspolitik? 
       
       Die Kommunisten und die Meretz-Partei, das sind die israelischen Grünen,
       eine sehr sympathische Partei. Sie werden wohl im nächsten Parlament wieder
       drei oder vier Sitze bekommen. Genauso wie ich oder meine Tageszeitung, die
       Haaretz, sind alle, die das System infrage stellen, also nach
       grundsätzlichen Alternativen suchen, im gegenwärtigen Israel vollkommen
       marginalisiert. Auch das will in Deutschland niemand sehen.
       
       Kein Lichtblick, nirgends? 
       
       Die Tatsache, dass sich einige amerikanische Juden von der israelischen
       Politik distanzieren, diese vorsichtige Distanznahme sorgt in Israel für
       Irritation. Hier könnte sich ein Raum auftun für ein womöglich auch
       kritisches Denken. Irgendwann.
       
       23 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
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